Mit dem Roman Use Me at Your Own Risk. Visions from the Darkest Timeline legt die Kurator*in und Autor*in Anuradha Vikram einen radikalen Gegenentwurf zu ihrem vorherigen Essayband Decolonizing Culture (Sming Sming Books, 2017) vor. Im Lockdown 2020–21 entstanden, ist es das erklärte Ziel des Buches, anstelle eines wissenschaftlichen Textes durch zugänglicheres Storytelling ein breiteres Publikum zu erreichen und aufzurütteln, so Vikram im Nachwort, das den schmalen Band als „activist art“ verstanden wissen möchte.
Damit fügt sich Use Me at Your Own Risk geschmeidig in den Trend der letzten Jahre, Fiktion da einzusetzen, wo Kritik nicht wirkmächtig genug zu sein scheint. Insbesondere Science-Fiction, wie etwa jene Octavia Butlers, hat dabei breite Rezeption in der Kunstwelt erfahren. Sie nennt Vikram unter anderen auch als Vorbild: „Novelists like J. G. Ballard, Octavia Butler, Philip K. Dick, Kathy Acker, and William Gibson informed my thinking long before critical theory did, and this project marks a return to the form that launched me as a reader and a writer.“
Während Vikram also scheinbar aus einer Frustration mit der Wissenschaft heraus hehre Absichten verfolgt, bleibt der Roman jedoch hinter solch literarischen Vorbildern zurück. Vielmehr wird deutlich, dass sich die argumentative Vorgehensweise eines wissenschaftlichen Aufsatzes schlecht in Prosa übersetzen lässt. Selten ist kaum verhohlene Didaktik unterhaltsam, und Use Me at Your Own Risk bildet dabei keine Ausnahme. In den fünf kurzen Kapiteln bedient Vikram größtenteils schale Dystopie- und Sci-Fi-Tropen und spielt die wenig originellen Szenarien mit eindimensionalen Charakteren durch – in einer sprachlichen Schlichtheit, die selten berührt.
So schildert das äußerst knappe Kapitel „Workplace Incident“ in Form eines Berichts eines Angestellten an den Vorgesetzten das „Problem“ eines weiblich-gelesenen Roboters, der – zu Bewusstsein gelangt – im Callcenter nicht mehr die kapitalistische Logik zu bedienen scheint und abgeschaltet werden soll, nicht jedoch, ohne sexistischem und rassistischem Verhalten ausgesetzt zu sein.
Das ebenfalls recht kurze Kapitel „Slave to the Algorithm“, in dem eine Beauty-Influencerin in die Cloud hochgeladen und in eine Kryptowährung umgewandelt werden soll, trieft einerseits vor Sexismus, liest sich aber andererseits so wirr und umständlich, dass der Eindruck entsteht, Sätze und ganze Absätze müssten von einer KI geschrieben worden sein. So wird etwa die Unterwäsche der Influencerin folgendermaßen beschrieben: „A carefully placed, hefty gemstone occluded any detail that might harm sponsor relations, while enhancing the desirability of the sex organs by augmenting primal associations with the allure of wealth.“ Die Lektüre des Nachworts bestätigt den Eindruck: Vikram habe mit früher GPT-Software und „internet prose“ experimentiert. Beim Lesen wirken solche Passagen jedoch störend und ungelenk; sie verdeutlichen die Unfähigkeit einer Künstlichen Intelligenz, plastische Prosa zu schreiben. Ob genau das vielleicht die Absicht Vikrams ist, bleibt jedoch unklar.
Stattdessen stellt sich auch in den längeren Kapiteln der Eindruck ein, dass deren Glaubwürdigkeit – und so auch die politische Wirkmacht von Storytelling, die Vikram beschwört – an mangelndem „Worldbuilding“ scheitert. In „Catfish“ wird David, Forscher und gemeinsam mit seinem Partner London Vater zweier Kinder, von einem vermeintlichen ehemaligen One-Night-Stand getäuscht und um eine größere Geldsumme gebracht. Nicht nur sind die Charaktere flach und fast ausschließlich durch Beschreibung gefasst – die alte Regel des „show, don’t tell“ scheint vergessen –, auch die Welt, in der sich die Handlung (und von der Bezeichnung „Roman“ abgeleitet, offenbar die aller Kapitel) abspielt, scheint unzureichend gezeichnet, unlogisch oder einfach widersprüchlich. 2046 (das Jahr, in dem der Roman spielt) herrscht eine nicht näher erklärte Quarantäne; Davids Familie lebt in Oakland an der US-Westküste unter einer geodiätischen Kuppel, die – anfangs beschrieben – in Folge bereits wieder vergessen scheint. So verlässt David die Stadt im „individual autonomous vehicle“ der Familie, ohne jegliche Art von Checkpoint zu passieren; er durchquert eine Landschaft, die als Ackerland beschrieben wird, in der aber auch Vögel, von der Augusthitze ohnmächtig, am Straßenrand liegen. Man fragt sich, wie unter diesen Umständen etwas Ackerland sein kann, nicht zuletzt da anderswo im Kapitel der Westen der USA auch mehrfach als von nuklearen Experimenten gezeichnet beschrieben wird.
In ähnlichem Stil erzählt „Smart Home“ vom Umzug einer wohlsituierten Akademikerfamilie aus den USA zurück nach Indien, wo die Verhältnisse im Gegensatz zum Global North lebenswerter erscheinen. Nachdem der Familienvater bei der Einweihungsparty des luxuriösen Smarthomes zwei lokale Straßenperformer*innen beschimpft hat, kippt die Situation schnell – ist es der mysteriöse Brunnen im Haus oder doch die Künstliche Intelligenz Aurora, die die Familie daraufhin aus dem Haus jagt? Das Kapitel „Property Values“ kommt erzählerisch etwas mehr in Schwung, verharrt aber in derselben humorlosen Didaktik: Zwei Kinder, durch Umweltkatastrophe quasi zu Hause gefangen und allein gelassen, tauchen ins „Hyperverse“ ab, in dem sich die gleichen kapitalistischen Mechanismen und Gewaltexzesse reproduzieren, die in der Realität offenbar zur Katastrophe geführt haben.
Die Lehren, die sich aus den einzelnen Kapiteln ziehen lassen, sind vorhersehbar und wenig subtil: Wie futuristisch Technologie auch sein mag, das menschliche Verhalten bleibt mittelalterlich.