Sie haben in der Rezeption der US-Atombombentests eine wichtige Rolle gespielt: die Fotografien von Zuschauer*innen auf Tribünen, die – ausgestattet mit Schutzbrillen und sehr nahe dran an den Explosionen – fast wie im Kino das Schauspiel betrachteten.
Eine vergleichbar verharmlosende, scheinbar unbehelligte Beobachter*innenposition hat Katrin Hornek in ihrer Ausstellung in der Wiener Secession nicht vorgesehen: Anstelle des White Cubes, der Distanzierung verspricht, hat sie den Oberlichtsaal in eine stark riechende, düstere Landschaft verwandelt. Ein gräuliches Gummigranulat bedeckt den Boden und zwei Erhebungen; entlang der Wände ist weißer Marmorsand ausgestreut, und in zwei länglichen, schwarzen Becken spiegeln sich die vermeintlich abstrakten „Zeichnungen“ von der Decke in einer Flüssigkeit wider.
Davon ausgehend, dass man den katastrophalen gegenwärtigen Zustand der Welt nicht nur intellektuell begreifen, sondern auch körperlich spüren muss, setzt Horneks Inszenierung als Erstes auf der sensorischen Ebene an: Betritt man die Installation, kann man sich weder dem intensiven Geruch noch der Soundscape des*der Klangkünstler*in Zosia Hołubowska entziehen. Gleich aus mehreren Lautsprechern rauschen die teils atmosphärisch-experimentellen Klänge (darunter Field Recordings), teils alarmierend-schrillen, synthetischen Töne an den Besucher*innen vorbei. Zeitweise ziehen sie die ganze Aufmerksamkeit ab, zwischendurch werden sie aber auch wieder leiser und machen anderen Eindrücken Platz. Den einzigen, hier noch übrig gebliebenen „Lebewesen“ zum Beispiel: mehrere, aus Gummi, Beton und Polyurethan individuell gestaltete Schildkröten, die in der Ausstellung Wissen über die Nuklearwaffentests in Form von Bild-, Sprach- und Textnachrichten auf Mobilgeräten vermitteln. Aber welche Bilder dafür verwenden, jenseits der Allmacht suggerierenden Fotografien der Atompilze, den Symbolen des Kalten Krieges? Wen zu Wort kommen und die Geschichte der anhaltenden Hölle erzählen lassen, in die die Explosionen die Bevölkerung rund um die Testgelände – bei Semipalatinsk in Kasachstan etwa oder dem Bikini-Atoll im Pazifik – stürzten?
Ausgehend von diesen Fragen haben die Künstlerin und die Autorin/Choreografin Sabina Holzer die Geschichten Betroffener, ihre Bilder und Zeugenberichte gesammelt sowie neueste Studien (unter anderem von der Los Alamos Study Group oder der Universität Delaware zum aktuellen Zustand des Bikini Atolls) recherchiert und so Austausch über Historisch-Wissenschaftliches, aber auch bedrückend Emotionales initiiert.
Das Zusammenbringen von interdisziplinärer Forscher*innen und ihren Ergebnissen ist für die Arbeit von Katrin Hornek ebenso ausschlaggebend wie der Fokus auf „sinnesbasierte Praktiken“ (Hornek) oder die Überzeugung, dass die Vorstellung vom Menschsein auch philosophisch und intellektuell neu gedacht werden muss. Als Mitglied der Forschungsprojekts The Anthropocene Surge war sie aus diesem Grund auch an der Suche nach weltweit nachweisbaren, stratigrafischen Markern beteiligt, um die fachliche Anerkennung des Beginns des „Menschenzeitalters“ in den 1950er-Jahren voranzutreiben. Fündig wurde man unter anderem bei Grabungen am Wiener Karlsplatz, wo man in einer Sedimentschicht der Nachkriegsjahre (1950–56) einen deutlichen Anstieg der Radionuklidkonzentration, die sogenannte Bombenspitze, nachweisen konnte.
Von den entscheidenden geologischen Gremien wurde die Anerkennung trotz aller Bemühungen erst vor Kurzem mit dem Argument abgelehnt, dass die Motivation für die Umbenennung nicht politisch oder sozial sein dürfe.1 Das sehen Befürworter*innen wie Hornek anders: Sie erachten gerade die mit der Einführung des Begriffs einhergehende politische Bewusstseinsbildung als maßgeblich für ein nötiges Umdenken und Verhaltensänderungen, die man auf allen nur erdenklichen Ebenen anregen muss. Und dazu gehört, dass die nachteiligen Auswirkungen der Menschheit auf den Planeten anerkannt, nachgewiesen und bezeugt werden müssen. Letzteres macht in der Ausstellung neben anderen Karipbek Kuyukov: Der Maler wurde in der Nähe des kasachischen Testgeländes in Semipalatinsk ohne Arme geboren. Er berichtet via Bild- und Textnachrichten von den Fehlgeburten seiner Mutter, die sich als junge Frau im Freien mit bloßen Händen vor den Explosionen schützte. Seine Gemälde zeigen Menschen ohne Gesichter, er war bei der Geburt zweiköpfiger Kühe dabei und berichtet, dass man die Bewohner*innen vor den Zündungen einfach aufforderte, zu Hause zu bleiben.
Für die indigene Bevölkerung des Bikini-Atolls war das keine Option, so viel war den US-Verantwortlichen klar. Zwischen 1946 und 1996 wurden rund um die pazifischen Inseln von den USA, Großbritannien und Frankreich circa 315 Nuklearwaffentests durchgeführt. Eine davon war die Bombe „Baker“, die man 1946 in 27 Metern Tiefe in der Lagune des Atolls zündete. Durch die Explosion entstand am Meeresgrund ein massiver Krater, und sie versenkte sämtliche Schiffe, die man zu „Forschungszwecken“ mit Tieren an Deck rundherum stationiert hatte.
Im Rahmen des Projekts Mapping Operation Crossroads Nuclear Battlefield 73 years later der University of Delaware wurde 2019 eine Höhenkarte des Meeresgrunds angefertigt. Hornek hat die Scans der Verheerungen, ein massiver Krater und mehrere Schiffswracks, auf der lichtdurchlässigen Decke reproduziert, wo sie wie Mahnmale Schatten werfen.
Fast unweigerlich erinnern die unheimlichen Hinterlassenschaften an die Fotos aus Hiroshima, wo der Atomblitz die Umrisse der Menschen in den Boden einbrannte. Bis heute findet man dort am Strand „Hiroshimates“: So werden die Materialklumpen aus geschmolzenem Beton, Holz, Stahl usw. genannt, aus denen die Stadt einst bestand.
Hornek macht mit dem Fokus auf die materielle Zusammensetzung der Welt Zusammenhänge und Abhängigkeiten lesbar: Der ausgestreute weiße Marmorsand besteht so wie Korallen oder auch Knochen aus einer schwammartigen Substanz, die nicht nur Kalzium einbaut, sondern auch Caesium-137, ein Produkt der Kernspaltung, absorbiert.
Auf diese nicht sichtbaren Materialtransfers referiert auch eine der gestischen „Figuren“, die die Choreografin Karin Pauer und drei Tänzer*innen für ihre Performance erarbeiteten: Die Posen betonen die Fragilität des menschlichen Körpers und signalisieren das Eindringen von Radioaktivität in die Knochen. Bisweilen halten sich die Tänzer*innen schützend die Arme vors Gesicht; gleichzeitig treten sie als Repräsentant*innen einer extraktiven Ökonomie und industriellen Rohstoffgewinnung auf. Es wird gierig gegraben, gekämpft und geforscht, aber irgendwann mit Gesten des Widerstands auch ein „Bis-hierher-und-nicht-weiter“ deutlich gemacht.
Eine solche Position nimmt auch die von den Marshallinseln stammende Poetin Kathy Jetn̄ il-Kijiner ein: Als Nachfahrin der evakuierten indigenen Bevölkerung des Bikini-Atolls sucht sie in ihrem Video zum Gedicht Dome Poem2 den gewaltigen Betonsarg auf, in dem man die radioaktiven Überreste begraben hat. Heute sind die Inseln vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht, und das Wasser frisst sich in den Beton, was aus ihrer wütenden Frage „Who gave them this power (to burn)?“ auch einen Appell zur Verantwortungsübernahme für das gegenwärtige Leben auf dem Planeten macht.
Katrin Hornek – testing grounds. In Zusammenarbeit mit Karin Pauer, Sabina Holzer und Zosia Hołubowska. Secession Wien, 8. März bis 2. Juni 2024.
[1] https://www.derstandard.at/story/3000000218570/der-falsche-abgesang-auf-das-anthropozaen
[2] https://www.kathyjetnilkijiner.com/dome-poem-iii-anointed-final-poem-and-video/