Heft 2/2024 - Artscribe


Carola Dertnig – Dancing through Life

2. Februar 2024 bis 26. Mai 2024
OK Linz / Linz

Text: Annette Südbeck


Linz. Mit den kurzen Videos der Werkserie True Stories (2003–13), die Missgeschicke im Alltag und Momente des Scheiterns zeigen, holt Carola Dertnig die Besucher*innen ihrer Ausstellung Dancing through Life bereits im Foyer des Linzer Kulturzentrums ab. In ihren Inszenierungen, in denen sie beispielweise aus der Hose gerutschte Nylonstümpfe hinter sich herzieht, durch die Innenstadt spaziert, während ihr Strickkleid sich langsam aufribbelt oder sich verzweifelt mit dem Kinderwagen durch zu enge Absperrungen im Stadtraum kämpft, setzt die Künstlerin Slapstick gezielt als Mittel ein, um durch das Stören der Ordnung und ihre Abweichungen vom erwarteten Verhalten nicht nur indignierte Blicke, sondern auch gesellschaftliche Normen herauszufordern. Film um Film entlang des Stiegenaufgangs positioniert, funktionieren die Videos wie eine wegweisende Einführung zur Ausstellung und setzen zugleich den Ton: Im Vergleich zur vorangegangenen Generation feministischer Künstlerinnen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren-Performances machten, agiert Dertnig mit einer größeren Verspieltheit, Clownerie und Leichtigkeit. Dabei nutzt sie diesen Zugang gezielt als einen erweiterten Handlungsraum, um feministische Anliegen mit ungebrochener Ernsthaftigkeit zu verfolgen.
Die von Michaela Seiser kuratierte Ausstellung umfasst ein fast 30 Jahre umspannendes und medial äußerst vielfältiges Œuvre. Die Präsentation folgt keiner strengen Chronologie, sondern unternimmt eine sehr überzeugende Positionsbestimmung, welche die zentralen künstlerischen Strategien Dertnigs unter verschiedenen Blickwinkeln dekliniert und die roten Fäden in ihrer Praxis pointiert herausarbeitet. Zu den Grundmotiven zählen dabei Formen der Selbstentäußerung und -behauptung durch Tanz, Bewegung und Performance, ebenso wie der Konnex von Bühne und öffentlichem/urbanem Raum und im Besonderen ein feministisches Spekulieren, das Erzählungen alternativer Geschichte(n) mit sorgfältigen Recherchen zur Historizität und Theorie von Performance und häufig auch mit autobiografischen Zugängen verknüpft.
Erfahren lässt sich dies etwa in der Erzählung über die Wiener Aktionistin Lora Sana (2005), die auf fehlende historische Aufzeichnungen verweist und indem sie diese als Fiktion ergänzt, die dominierende Geschichtsschreibung subversiv unterläuft. Das im selben Raum aufgestellte Bühnensofa (2018) wirft die Frage – wem Aufmerksamkeit geschenkt wird, wer also auf der Bühne steht oder stehen darf – unter anderem Blickwinkel erneut auf. Das Objekt wurde als Bank für das Haus der Musik in Innsbruck konzipiert und lässt sich mit wenigen Handgriffen ausklappen und in eine kleine Bühne verwandeln. Die Transformation vom Sitzmöbel zur Bühnenplattform etabliert ein vielseitiges Wechselspiel zwischen Rückzug und Exposition, Publikum und Akteur*in, Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit. Die Veränderbarkeit des Objekts ist untrennbar verbunden mit einer potenziellen Veränderbarkeit von Situationen, sie offeriert die Möglichkeit einer agitatorischen Aneignung und damit letztlich auch die Option, Machtstrukturen umzukehren.
Dertnigs jüngsten Werke beruhen auf der intensiven Auseinandersetzung mit der Feldenkrais-Methode. Das Nachdenken über unterdrückte Realitäten und die Möglichkeiten, Strukturen aufzubrechen, wird hier weniger agitatorisch formuliert, ist aber darum nicht weniger grundlegend, zielt doch bereits die Methode darauf ab, durch die Aufteilung von Bewegungsabläufen in kleine Einheiten eine Veränderbarkeit von dem Körper eingeschriebenen, schädlich verfestigten Handlungsmustern zu erreichen. Dertnig übersetzt die typischen Feldenkrais-Bewegungen in Skulpturen aus schwungvoll gebogenen Metallstäben, die sie im großen Ausstellungssaal als die Figurengruppe Trois Amis (2024) auf einer runden Plattform inszeniert und mit Spuren und Dokumentationen weiterer performativer Akte in einen Dialog setzt. Als Darstellungen der komplexen Interaktionen von Körper, Material und Raum sind die linearen Gestelle zunächst autonome Figuren, sie werden darüber hinaus von der Künstlerin aber auch als Werkzeuge eingesetzt. Zum einen hat sie damit wie mit einer Art von Zeichenstab in der Verlängerung des eigenen Körpers jene malerische Komposition aus tänzerischen Kreisbewegungen geschaffen, die als monumentales, sechs mal sieben Meter messendes Bühnenbild hinter der Skulpturengruppe hängt. Zum anderen finden sie in der Filmetrilogie es ist eh schon alles da (2018), donauspuren digitale weite und andere dinge (2019) und vorblinzeln (2024) als Requisiten Verwendung. Die Akteurinnen der Filme, drei junge Frauen, darunter die Tochter der Künstlerin, interagieren und improvisieren mit den Skulpturen und anderen Objekten in so unterschiedlichen räumlichen Situationen wie dem ehemaligen Atelier Friedensreich Hundertwassers, den dystopischen Plätzen eines Wiener Büroviertels oder dem Garten des Belvedere 21. Ihre spielerischen Aneignungen und Erkundungen neuer Handlungsformen erzählen von ihrem erwachenden Selbstbewusstsein, Freundschaft und Herausforderungen, kurz: ihrer Gegenwärtigkeit im Leben.
Die Ausstellung folgt einer Kreisbewegung und endet, wie sie beginnt: Im Zwischenstock des Stiegenhauses hat Dertnig, eingefügt in die Reihe der Slapstickvideos, die eigens für den Ort konzipierte, interaktive Installation all in all lifelong red tights (2024) realisiert. Sie übersetzt das Motiv der roten Strumpfhose aus den True Stories in eine architektonische Dimension und platziert zwischen den von der Decke hängenden, eigens angefertigten zehn Meter langen Strümpfen eine große Schaukel. Die Aufforderung an die Besucher*innen, sich inmitten dieser übertrieben langen Beine in Schwingung zu versetzen, ist auch Anstoß, über die eigenen Bewegungen, Handlungen und Haltungen nachzudenken. Dabei kann und darf einem durchaus etwas schwindlig werden.