Heft 2/2024 - Artscribe


Hans-Christian Dany – Hunger

2. März 2024 bis 6. April 2024
Weiss Falk / Basel

Text: Julia Moritz


Basel. Paradox beiseite: Hunger und Basel, das passt nicht zusammen. Oder doch. Denn es ist keine Frage des Niveaus, auf dem man klagen könnte oder nicht. Hunger ist niveaulos, jederzeit und überall. Der Autor Hans-Christian Dany kuratiert die Gruppenausstellung in der Galerie Weiss Falk in Basel weder als platte Provokation noch als pure Ironie, wie der tabloidhafte Titel Hunger vermuten ließe. Die Schau bewegt sich viel grundlegender unter der Gürtellinie: auf quasi-metabolischer Ebene. Gleich einer Zwiebel und ihrer mitunter schwierigen Verdaulichkeit schält sie Haut um Haut ab von ihrem übercodierten Schlagwort.
„Hunger kommt alle paar Stunden. Wenn ich ihn nicht mehr spüre, geht das Leben zu Ende. Ernährung bildet einen Kreislauf, dem ich ausgeliefert bin, bis mich der Wunsch nach Essen verlässt.“ Danys Saaltext beginnt entsprechend basal. Eine ähnliche Form von Klartext verfolgt die Ausstellungsarchitektur. Einbauten, Wandfarben, Bodendekor oder sonstige Interventionen gibt es nicht, obwohl die großzügige Schaufensterfront des ehemaligen Ladenlokals der Galerie dazu verführt. Subtil ist der Widerhall kommerziellen Zeigens trotzdem nicht: Ausgekippte, aufgerissene, hingeschmissene Einkaufstüten voller Fast-Food, Pizzaschachteln, Getränkebecher und angebrochene Alkoholflaschen verunzieren bulimisch den Boden. Eine Schweinerei, die ganz und gar nicht nach Basler Eröffnungsparty aussieht, eher nach privatem Exzess. Wie auch in vielen der Texte von Hans-Christian Dany1 wird eingangs deutlich: Das Persönliche ist das Politische – und damit zwangsverheiratet mit der Gesellschaft. Die Aufschriften der Fast-Food-Verpackungen erweisen sich auf den zweiten Blick als Kyrillisch, ihr Material als Bronze, der Restmüll als Plastikkirschblüten, muss also Kunst sein. Die Installation The Cherry Orchard (2022) vom Basler Künstler Tobias Kaspar, der sich sonst vornehmlich mit Mode und ihren hungrigen Selbstoptimierungstechniken befasst, rekurriert auf ein Theaterstück Tschechows über den Zusammenbruch der Aristokratie in Russland. Wer diesen Raum nachlässig betritt (ist das Kunst oder kann das weg?), bricht sich zumindest den Zeh.
„Hunger verbindet sich auf vielen Ebenen mit dem Außen. Seine Wirkkräfte erhalten die Ungerechtigkeiten der Welt und die Gier nach mehr“, schreibt Dany weiter. Zu Kaspars Sauerei gesellt sich ein Ferkel aus Muscheln, das etwas Kotartiges serviert. Die Kleinplastik fungiert als narratives Horsd’œuvre zu Amelie von Wulffens surrealer Bild- und Textserie, die fein säuberlich hinter den zwei Bürostühlen der Galeristen aufgereiht ist, die Haxe hübsch im Zentrum. Dort gleichen die kleinformatigen Blätter den Sprech- und Gedankenblasen der Kunsthändler und ihrer gesellschaftlich-gastritischen Verpflichtungen. Zu lesen ist da: „TRÄUME ICH LEGE ICH GEKOCHTE (WEISS ICH) ZUNGEN AUF GEPÖKELTE UND FRISCHE VON SCHWEIN, RIND UND LAMM. SIE BILDEN EIN MUSTER UND ICH WEISS, DASS SIE EIGENTLICH WORTE SIND. [...]“.
Aber auch die überbordenden großformatigen und pastosen Malereien (man möchte fast sagen „Schinken“) von Wulffens fehlen nicht. Ebenfalls prominent platziert im Eingang entführen sie schnurstracks in die traumatischen Tiefen des Themas. Dazu schreibt Dany: „In den Übertragungen der Sprache wird wiederum vom Hunger nach Liebe gesprochen. Kinder, die sich ungeliebt fühlen, werden dick. Sie essen als Ersatz oder auch aus Wut. Im selben Moment gehört das Hungern zu den verbreiteten religiösen Übungen. Profaner Hunger wird als Strafe oder Erpressung verwendet. Sättigung wird entzogen, ausgehungert, um den anderen den eigenen Willen aufzuzwingen.“
Der zweite Galerieraum führt die dem Thema angemessene Nüchternheit des kuratorischen Gestus fort. Es sprechen die Werke – für sich, miteinander, gelegentlich auch zu mir. Der Esprit, der Danys Texte mit ihren diskursiven Leckerbissen, fruchtbaren Verbindungen und überraschenden Abgängen so prägnant wie prägend, vor allem aber fast handgreiflich plastisch macht, nimmt sich in der kuratorischen Handschrift des Autors geradezu höflich zurück, gestattet Schweige- und Denkpausen, kombiniert klug, keinesfalls lehrmeisterlich, bleibt trotz skulpturaler Positionen im Ganzen eher zweidimensionales, tendenziell textliches Zeigen und Verweisen statt räumliche Argumentation. Dieses museale Moment verstärkt Nicolas Ceccaldis ornamental golden gerahmte Serie Untitled (License to Graze) (2022) impressionistisch-ramschiger Ölbilder von Rindern in maritimer Umgebung, deren Lizenzierung sicherlich eine ausgeklügelte institutionskritische Komponente beinhaltet, deren Beipackzettel mir jedoch fehlt.
„Die Ankunft des Neoliberalismus in Europa fiel in der Kunst Anfang der 1980er-Jahre zusammen mit einem neu erwachten Hunger nach Bildern. Jetzt, im Ausklang der neoliberalen Epoche, wirft das Licht der existenziellen Angst im Angesicht des Verfalls der alten Ordnung erneut die Schatten des Hungerkünstlers“, so Dany. Auch Institutionskritiker Mathieu Malouf wählt für seine Leda and the Swan (2024) das expressive Ölbild, dem er (wie einst Chefchauvinist Schnabel) zertrümmerte Teller auf der tischtuchformatigen Leinwand unterrührt, präsentiert in der zentralen Sichtachse des dritten und letzten Ausstellungsraums. Warum dieser campartige Griff in die griechische Mythologiekiste, bleibt mir ebenfalls unklar. Ingrid Wieners fantastische albumartige Analogfotografie von einem zerschmetterten Teller und Teigwaren mit der handschriftlich hinzugefügten Frage Hand of the Father or Hand of the Son? (2001) weist weiter den Weg in Richtung ödipaler Dramen und Terror am Tisch. Tischkultur und Sittenbrüche, darum Versammelte und darunter Gekehrtes lautet schließlich die thematische Zuspitzung, Klimax und Pointe von Hunger. Was in seiner Absurdität des anthropologisch Uferlosen an thematischem Wahnwitz vielleicht brüskiert, zumindest irritiert, Neugierde weckt und gekonnt teilbefriedigt, das findet in dieser kleinen Konstellation zur Ruhe bzw. zum Verweilen in der inneren Unruhe. Geschlechterverhältnisse gekreuzt mit Generationenkonflikten des psychopathologischen Auftischens und Abservierens transponieren Hunger auf die allzu menschliche und doch oder deswegen radikal spezifische Ebene, die Hans-Christian Danys Ausstellung zu einem Drei-Sterne-Augenschmaus mit bleibenden Bauchschmerzen macht.

 

 

[1] Vgl. Hans-Christian Dany: MA-1. Mode und Uniform. Hamburg: Nautilus 2018, rezensiert in springerin XXV, 1/2019