Heft 2/2024 - Artscribe


Lacan, die Ausstellung: Wenn Kunst auf Psychoanalyse trifft

31. Dezember 2023 bis 27. Mai 2024
Centre Pompidou-Metz / Metz

Text: Rahma Khazam


Metz. Dem Titel entsprechend geht es in Lacan, die Ausstellung: Wenn Kunst auf Psychoanalyse trifft nicht so sehr um Jacques Lacan selbst – der rund 40 Jahre nach seinem Tod immer noch eine kontroversielle, abwechselnd geschmähte oder bewunderte Figur ist – als vielmehr um seine komplexe und höchst unorthodoxe Beziehung zur Kunst. Natürlich ist er dennoch allgegenwärtig – seine Stimme hallt durch den Raum, während zahlreiche von ihm geprägten Begriffe und Neologismen an den Wänden prangen und er selbst die Besucher*innen in einer eingangs gezeigten Fernsehsendung aus dem Jahr 1974 anspricht.
Der Schwerpunkt liegt jedoch darauf, wie diese Begriffe von der Kunst genährt wurden und wie sie in Kunstwerken aus verschiedenen Bewegungen und Epochen widerhallen. Nach Lacan kann ein Kunstwerk nicht analysiert werden, sondern ist selbst ein Mittel, um die Welt zu analysieren oder zu interpretieren, und wo die Kunst hinführt, folgt die Psychoanalyse.
Die Ausstellung vereint Werke, die Lacans Denken Tribut zollen, und Werke, die keiner dieser Kategorien zuzuordnen sind, sich aber dennoch mit ähnlichen Themen wie Lacan befassen. Die verschiedenen Sektionen der Ausstellung beleuchten die Streifzüge des französischen Psychoanalytikers zu Themen wie Sexualität, Patriarchat, Identität, Genre und Macht. Besonders spannend ist das Kapitel „Der Ursprung der Welt“, in der Courbets gleichnamiges Gemälde, das Lacan und seine Frau 1955 erwarben, neben Kunstwerken hängt, die sich kritisch mit weiblicher Nacktheit auseinandersetzen: sei es VALIE EXPORTS Aktionshose: Genitalpanik (1969/2001), eine Schwarz-Weiß-Fotografie, auf der die Künstlerin mit gespreizten Beinen und einem Maschinengewehr in der Hand ihr Schamhaar entblößt und die Pose eines harten, aggressiven Machos einnimmt, oder Agnès Thurnauers Origine World #3 (2014), die Courbets Gemälde mit feminisierten Namen männlicher Künstler, von Marcelle Duchamp bis Jacqueline Pollock, überschreibt. In der angrenzenden Abteilung „Las Meninas“ wurde die Auswahl zweier Werke – ein Porträt der Infantin Margarita Teresa von Velázquez und Lucio Fontanas Concetto Spaziale, Attese (T.104) (1958) – gewissermaßen von Lacan selbst diktiert, da er den Schlitz, den er im Kleid der Infantin in Las Meninas (1656) wahrnahm, mit Lucio Fontanas Risswunden in der Leinwand verglich. Mathieu Merciers Neuinterpretation von Marcel Duchamps Étant donnés (1946–66), die die Betrachter*innen dazu einlädt, durch Gucklöcher auf eine nackte Figur zu blicken, übernimmt das Motiv der „Öffnung“ und betont die Idee des Voyeurs.
Für Lacan hat das Schauen noch andere Bedeutungen. Die verschiedenen Augen, die uns in den wunderschön kuratierten Werken in der angrenzenden Sektion anstarren, scheinen sein Argument zu bestätigen, dass wir Kunstwerke ansehen und dass Kunstwerke auch auf uns zurückblicken. In René Magrittes Der falsche Spiegel (1928) erwidert ein leeres Auge unseren Blick, in dem man eine schwarze Pupille vor einem wolkenverhangenen, blauen Himmel sieht. Und auf einer Gravur von Claude-Nicolas Ledoux, die einem 1804 veröffentlichten Text des visionären Architekten entnommen ist, verbindet ein menschliches Auge, auf dem sich das Innere des Theaters von Besançon spiegelt, die Sehenden und das Gesehene miteinander.
Julien Bismuths kurzes Video einer Sardinendose, die auf einer Wasseroberfläche auf und ab schwimmt, erinnert an Lacans Erfahrung auf einem Fischerboot, als seine Aufmerksamkeit auf eine Sardinendose auf dem Meer gelenkt wurde. Die Dose sollte eine der Inspirationen für sein Konzept des Blickes werden, demzufolge wir die Dinge ständig betrachten, aber auch selbst beobachtet werden: Wir betrachten die Dinge von einem einzigen Punkt im Raum aus, doch wir sind ständig den Blicken anderer von allen Seiten ausgesetzt.
Leider veranschaulichen andere in der Ausstellung gezeigte Werke nicht immer eine so enge Übereinstimmung mit Lacans Denken. Nehmen wir das objet petit a, ein Lacan’scher Schlüsselbegriff, der den Mangel ausdrückt und sich nicht nur auf den Blick, sondern auch auf den Schlitz oder den Sturz bezieht – Letzterer wird durch den eher reduzierten Kontrast zwischen Brancusis aufrecht stehender phallischer Skulptur Princesse X (1915–16) und Carl Andres waagrecht auf dem Boden liegender 21 Pb LEADITER (2003) dargestellt. Die Vielzahl zeitgenössischer Künstler*innen in der Ausstellung, die von Dora García und Paul McCarthy bis hin zu Andy Warhol und Sarah Lucas reichen und in vielen Fällen nur eine flüchtige Verbindung zu Lacan zu haben scheinen, beginnt ebenfalls ihren Tribut zu fordern. Ohne das enge kuratorische Hin und Her zwischen Lacans Ideen und den gezeigten Kunstwerken, das andere Teile der Ausstellung so lohnenswert macht, wirken vor allem die letzten Abschnitte wie eine Übersicht über die neuesten Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst, in der Lacan überall und nirgends zugleich vorkommt. In der Tat ist die kuratorische These dann am überzeugendsten, wenn man sie nicht so sehr auf die zeitgenössische als vielmehr auf die moderne Kunst anwendet. Die moderne Kunst und die Psychoanalyse entstanden beide innerhalb weniger Jahrzehnte und teilten bestimmte Interessen: Insbesondere die Surrealist*innen waren von den Träumen und den Mechanismen des Unbewussten fasziniert. Lacan war sich dieser Entwicklungen bewusst, zumal er mit Künstlern wie Picasso, Duchamp, Dalí und Masson persönlich bekannt war.
Umstritten ist auch die Entscheidung, die Werke feministischer Künstlerinnen wie Cindy Sherman und Carolee Schneemann im Zusammenhang mit Lacan auszustellen. Die feministische Theoretikerin Judith Butler wurde von der Lacan’schen Psychoanalyse beeinflusst, andere Feministinnen betrachten sein Werk jedoch als einem patriarchalischen Diskurs verhaftet, was seine Anpassung an zeitgenössische Entwicklungen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität problematisch macht.
Sowohl die Psychoanalyse als auch die Kunst beschäftigen sich mit dem Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft, und durch die Gegenüberstellung von Kunst und Lacan’schen Konzepten zeigt diese ehrgeizige, aber allzu umfassende Ausstellung einige auffällige Gemeinsamkeiten. Die unausweichlichen Unterschiede seien darüber jedoch nicht vergessen.

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Übersetzt von Redaktion