Heft 2/2024 - Artscribe


Survival in the 21st Century

17. Mai 2024 bis 5. November 2024
Deichtorhallen Hamburg / Hamburg

Text: Martin Conrads


Hamburg. Ursprünglich, erzählt Deichtorhallen-Chef Dirk Luckow bei der Pressekonferenz, hätte der Titel der von Georg Diez und Nicolaus Schafhausen kuratierten Gruppenausstellung das Wort „Speculations“ beinhalten sollen. Das sei aber vor fünf Jahren gewesen, zu Beginn der Konzeptphase. Seitdem hätten sich die Zeiten dramatisch verändert – Klima, Corona, Ukraine, Gaza –, sodass man den Titel angepasst habe: Survival in the 21st Century. „Survival“ durchstreichen – Ambiguitätstoleranz aushalten?
(Nicht nur) Der Titel lässt rätseln. Die von einer Journalistin gestellte Frage, ob die Ausstellung denn also aus der Zeit gefallen sei, wird von den Kuratoren zurückgewiesen. Diez, selbst Journalist, derzeit Fellow der Max-Planck-Gesellschaft, weiß jedoch selbst nicht so genau, ob sie dystopisch oder utopisch sein will. Einerseits, sagt er, weder noch, vielmehr habe man Künstler*innen eingeladen, die „emanzipatorisch-antizipatorisch“ arbeiten. Andererseits habe man sich ja, vor allem, was den Klimawandel betrifft, mittlerweile „auf gesellschaftliche Resignation geeinigt“. Es bleibe nur „kryptischer Optimismus“ – ein Optimismus, der sich seiner eigenen Widersprüchlichkeit bewusst ist. Schafhausen versucht es anders, meint, identitätspolitische Fragen wären einfache Themen einer Gruppenausstellung, hier stünden sie aber nicht im Zentrum, und man habe keine Künstler*innen eingeladen, die direkt auf den 7. Oktober reagierten.
An dieser Stelle steht plötzlich ein Elefant im Raum: Was die Triggerwarnung bei der Arbeit von New Red Order solle, möchte ein Journalist wissen, der die großformatig im Eingangsbereich platzierte Installation Dexter and Sinister (2023) des New Yorker indigenen Kunstkollektivs wohl schon gesehen hat. Die Skulptur eines Bibers unterhält sich hier mit einem Baum über Landnahme als Kolonialverbrechen. „Give it back!“, heißt es da sloganhaft, weiter ist die Rede von Dekolonisierung und einer „Future of Reparations“. Offensichtlich war dies zunächst für den nordamerikanischen Kontext gedacht, in Hamburg ergänzte das Kollektiv kurz vor Eröffnung die Arbeit um ein Schild. Von einem „fehlenden öffentlichen Widerstand der deutschen Kultureinrichtungen (einschließlich dieser)“ ist darauf die Rede, angesichts eines behaupteten Genozids in Gaza. Und: „Aus unserer Sicht ist es wichtig, deutlich zu machen, dass die genozidalen Projekte Amerikas, Deutschlands und Israels unterschiedliche Manifestationen derselben perversen suprematistischen Logik sind.“
Im Gegensatz dazu an der Wand ein Statement: „Die Deichtorhallen Hamburg sowie die Kuratoren der Ausstellung distanzieren sich ausdrücklich von den Inhalten und Aussagen der Künstler im Textteil ihrer hier präsentierten Arbeiten; auch wenn die Grundsätze der Kunstfreiheit gelten.“ Das ist recht vage formuliert, weil der Dialog zwischen Baum und Biber auch auf Text beruht, und dann, weil das „auch wenn“ ins Unverbindliche führt. Was ist gemeint? Gleichzeitigkeit? Unvereinbarkeit? Gegensätzlichkeit?
Nun liegt die Pressekonferenz, in der Diez dafür plädierte, von „multiplen Wahrheiten“ zu lernen, bei Erscheinen dieses Textes einige Wochen zurück, und entweder ist bis hierhin bereits ein Skandal über die glimpflich davongekommenen Deichtorhallen hinweggerollt oder aber die Ausstellung hat sich schon verändert. Der NDR spricht in einem Kommentar Ende Mai jedenfalls bereits von einem „unerträglichen Vorgang“ angesichts der offensichtlichen Holocaust-Relativierung.
An dieser Stelle des Textes wäre es dann üblich, zu sagen, dass das Statement von New Red Order die restliche Ausstellung überschattet. Allerdings ist da gar nicht so viel sprichwörtliches Licht. Das liegt einerseits an der Ausstellungsarchitektur von Bundschuh Architekten, die ein Sich-treiben-Lassen ermöglich soll, mit ihren rigiden Boxen und Grundrissen aber Verbindungen zwischen den Arbeiten eher behindert. Andererseits bleibt vieles bei Survival in the 21st Century (die parallel laufende School of Survival vielleicht außen vor) auf einer nur abbildenden, nicht „Transformation!“ rufenden Ebene, die zudem nur mal mehr, mal weniger Dringlichkeit einfordert: Da ist, eindrücklich, das Video Vidourle (2019) von Yalda Afsah, in dem man Männer am und im gleichnamigen Fluss sieht. Jenseits des Bildes ist etwas, das sie erwarten, provozieren, vor dem sie flüchten. Was das ist, bleibt verborgen, aber das Unberechenbare des Ereignisses ist präzise herausgearbeitet. Weg vom Metaphysischen lenkt Leon Kahane in seiner Fotoserie Frontex (2009) den Blick auf die spröden Raumarrangements des Frontex-Hauptquartiers. Dass man hier, wie auch in vielen anderen Arbeiten der Ausstellung, die, die überleb(t)en und die, die nicht überleb(t)en, nicht sieht, setzt die Atmosphäre – nicht nachteilig. Zu nennen wäre hier auch Edith Dekyndts Lichtinstallation Easy Come, Easy Go (2020), die imaginierte Tanzbewegungen eines Paares in einem französischen Café auf dem Weg ins Exil vor den Nazis nachzeichnet. Es sind allerdings auch solche Momente, in denen die Ausstellung schnell ungnädig poetisch wirkt. Ein Video wie Sharon Lockharts Eventide (2022) – schemenhaft zu erkennende Menschen suchen etwas mit Taschenlampen in der Abenddämmerung an einem Strand, bis sie verschwinden und das sternübersäte Firmament vollends übernimmt – ist zwar trostlos schön, aber war das die Aufgabe des Jahrhunderts? Oder ist das Jahrhundert damit schon aufgegeben? Überleben wäre dann eine Frage der Anthropologie, nicht der emanzipatorischen Antizipation.