Heft 2/2024 - Artscribe


Joan Jonas – Good Night, Good Morning

17. März 2024 bis 6. Juli 2024
MoMA, Museum of Modern Art / New York

Text: Hedwig Saxenhuber


New York. Der Erarbeitung einer – längst fälligen – umfassenden Werkschau zur Arbeit der Performerin und Multimediakünstlerin Joan Jonas in den USA hat sich nun das MoMA in einer dreijährigen Vorbereitungszeit angenommen. Ana Janevski als verantwortliche Kuratorin entwickelte mit Lilia Rocio Taboada und Gee Wesley einen chronologischen Ansatz für die große Überblicksausstellung. „Ritual und Technologie“ sind die kennzeichnenden Merkmale von Jonas’ erster Schaffensperiode, während bei den jüngeren Werken „Landschaft und Ökologie“ im Zentrum stehen.
Joan Jonas, mittlerweile 88 Jahre jung, vermeidet das Wort Retrospektive. Sie praktiziert vielmehr einen offenen Umgang mit ihren Materialien, der sich einer linearen, „westlichen“ Sichtweise entgegenstellt. Wie Jorge Luis Borges, den sie als wichtigen frühen literarischen Einfluss nennt, ist sie von der Idee von Unendlichkeit und Variation angetrieben – von mehreren wiederkehrenden Ein- und Ausstiegspunkten anstelle eines einzigen Anfangs und Endes.
Schon im Foyer der Ausstellung wird man von der Großprojektion des 16-mm-Films Wind (1968, Kamera: Peter Campus) förmlich mitgerissen, in welcher Performer*innen an der Küste Long Islands sich extremen Wetterbedingungen aussetzen. Der Spiegel, ein wiederkehrendes Element in Jonas Arbeiten, kommt auch hier an der Kleidung zweier Performer*innen zum Einsatz, die paarweise mit verbundenen Augen gegen Wind und die Kälte ankämpfen. Neben dem Eingang ist eine Wiederaufnahme von Good Night, Good Morning (1976) in der neuen Version My New Theater VI: Good Night, Good Morning 06 (2006) platziert, die der Ausstellung den Titel gibt: Joan Jonas in ihrem Sommerhaus in Nova Scotia am Cape Breton spricht als Ritual morgens und abends einen Gruß in die Kamera, wie schon 30 Jahre zuvor, und gibt Einblick in ihre private Lebensumgebung. Für Jonas ist diese Wiederaufnahme von Elementen aus vergangenen Projekten eine Strategie, einen Dialog über die Zeit herzustellen. In der neuen Aufnahme adressiert sie die Kamera durch einen Konvexspiegel, der ihr Heim verzerrt, eine Fortführung einer lang gehegten Methode der Manipulation des Raumes. Die beiden kuratorisch wegweisenden Eingangsarbeiten decken zwei Pole der Lebensspanne der Künstlerin ab: den Aufbruch und die Bildung von Communitys in den frühen performativen Arbeiten und den selbstgewählten Rückzug im Alter.
Selten oder erstmals gezeigte Aufnahmen der Performances von Mirror Pieces und Outdoor Pieces sowie Partituren und Entwürfe wurden aus Jonas’ Archiv für die Ausstellung ausgewählt, daneben wurde Organic Honey’s Visual Telepathy (1972) als Multimediainstallation eingerichtet. Die Künstlerin trägt darin eine Maske, die sie in der 42nd Street in einem Sexshop erworben hat und ihr Alter Ego lasziv erscheinen lässt. Rituelle Manipulationen von Federn, Steinen, Objekten und spiegelnden Oberflächen beschwören phantasmagorische Szenen herauf. Anfang der 1970er-Jahre fuhr Joan Jonas mit Richard Serra nach Japan und war von Noh und dem Kabuki Theater angetan, von der Verwendung von Masken, Props und den Bewegungsabläufen. Dort erwirbt sie eine tragbare Videokamera. Der Einsatz dieser neuen Technologie veränderte ihre Arbeitsweise und ihr Verständnis von Raum und Sound grundlegend: „I was very involved with changing my appearance, and observing myself, and the persona I was creating. Dancers look at the mirrors, and I had taken workshops by dancers (Yvonne Rainer, Steve Paxton).“ Als erste Künstlerin nutzt sie „live video feeds“ in ihren „Pieces“, wie Jonas ihre Performances anfänglich nennt.
Nicht nur die visuelle Seite der Ausstellung Good Night, Good Morning ist beeindruckend, sondern auch die Klanglandschaft aus den einzelnen Arbeiten, welche die neun Galerieräume durchflutet, und die unerwarteten Überlagerungen, die so entstehen. Sound und Musik sind bei Jonas gleichwertige Elemente wie der Einsatz von Literatur, Poesie, Magie, Riten, Märchen, Natur, Tiere, Ökologie, Film, Video, Performance, Installation, Props, Zeichnung. Und doch nimmt Zeichnung einen besonderen Stellenwert in ihrem Œuvre ein: Joan Jonas kann diese von oben, verkehrt, mit einem an einem Stock befestigten Pinsel und in etwaigen anderen Verrenkungen herstellen: Das Ergebnis ist Form und pure Energie.
Das laute Klappern der Hölzer im Performancefilm Songdelay (1973) gab im ersten Raum als Einstand den Rhythmus für die Betrachtung der Werke vor. Eine zweite Großaufnahme zeigt eine Diaprojektion der Performance Choreomania (1971) im Atelier von Joan Jonas in SoHo. Eine schwingende große Spiegelwand fragmentiert den Aufführungsraum physisch und bildet einen Hintergrund für die Choreografie, die Beleuchtung und die Projektion. Das Publikum wird, wie so oft, durch die Spiegel zu Akteur*innen. „One thing that interested me, it still does, is that (in these pieces) the audience is reflected in the mirrors; what gave it all an edge was that they felt uneasy. You don’t want other people to see you looking. It’s the taboo of the mirror. Visually, also, the mirror breaks up a space; your perception of it changes.“1
Besonders berührend ist eine große Wandtapete, eine adaptierte Fassung von Reading Dante III (2016): Auf der Terrasse ihres Studios in Nova Scotia sitzt Jonas inmitten von Masken, Tieren und einem kleinen Modell einer Tempelarchitektur sowie auf einem Stuhl, den Körper halb dem Publikum zugewandt und den Blick aufs Meer gerichtet.
Der Filmer und Performer Jack Smith war für Jonas’ Entwicklung prägend. Neben der Bildsprache seiner Arbeiten beeindruckte sie sein völlig natürlicher Umgang mit den Performer*innen. Diese besondere Gabe, die auch Joan Jonas zu eigen ist, haben viele ihrer Performer*innen und ehemaligen Studierenden in Interviews hervorgehoben.
Das bahnbrechende Werk von Joan Jonas ist nicht so leicht einordenbar, wie der Kunstkritiker Douglas Crimp in der Einleitung zu seinem Buch Joan Jonas: Scripts and Descriptions 1968–1982 (Berkeley: University of California 1983) bemerkt, „es entziehen sich sowohl die frühen Arbeiten sowie auch das anschließende Werk einer Kategorisierung, wie wir sie anzuwenden gewohnt waren“. Möglicherweise bringt es nun der Performer und Tanztheoretiker André Lepecki auf den Punkt, indem er Jonas’ gesamtes Œuvre als „Resonanzkammer“ sieht und fühlt.