Neapel. Das geschichtsträchtige und jüngst renovierte Palazzo Caracciolo di Avellino im Stadtkern Neapels dient einer umfangreichen, von Pierre Bal-Blanc kuratierten, Überblicksschau mit Videoschwerpunkt des polnischen Künstlers Cezary Bodzianowski. Auf der obersten Ebene der – mit Keller insgesamt vier Stockwerke umfassenden – Ausstellung kommt es zu einer dialogischen Gegenüberstellung zweier Videoarbeiten, der aktuellen Arbeit Bodzianowskis La Noia und Marek Koniecznys Santa Conversatione (1975). In der ersten lässt Bodzianowski auf Meeresniveau ein auf seinem Zeigefinger montiertes Plastiksegelschiff gegen seine Nase steuern, wobei die Gerade des hinter ihm liegenden Meereshorizonts dabei ebenso geschickt illusorisch benützt wird wie die, überwiegend von seiner Frau Monika Chojnicka geführte Kamera, sodass die Betrachter*innen tatsächlich von einem, sich auf Frontalkurs mit dem Künstler befindlichen Schiff ausgehen müssen. Entgegengesetzt wird seinem Video die einzige Arbeit, die nicht von Bodzianowksi ist, sondern von seinem ehemaligen Warschauer Akademie-Gastprofessor, der trotz seines Einflusses auf eine jüngere Generation polnischer Künstler*innen nahezu unbekannte Marek Konieczny (1936–2022). In seinem Video Santa Conversatione reibt sich im Loop ein goldener Hinterkopf zwischen zwei ebenfalls vergoldeten Brüsten, ehe man gegensätzlich zum Schein der luxuriösen Körperlichkeit auch die absolute Dunkelheit im Visier des einen Protagonisten mit erahnt. Die in der Gegenüberstellung zutage tretende Kluft zwischen sowohl konstruierter Weite als auch perspektivischer Enge und diesbezüglich wertfreier Kamera lässt hier erstmals eine höhere Medienreflexivität und inhaltliche Tiefe erkennen, als sie üblicherweise mit dem Werk Bodzianowskis, dem surreal-komischen Trickser und Clown der ins Absurde gedrehten Alltagssituationen, bisweilen assoziiert wird und die sich innerhalb dieser mit barocken Fresken gestalteten Ausstellungsräume optimal entfalten. Ein Video mit die Treppe herabfallenden Tischtennisbällen erwartet einen an einer Treppe, die der im Video nicht unähnlich ist, und führt die Besucher*innen hinab in Etage zwei, wo sich mit Signals (2023) eine der bewegendsten, bedingungslos traurigen und abermals sehr klugen Arbeiten befindet. Das Video setzt mit dem Öffnen der automatischen Klappe einer Klimaanlage ein, unter der der Künstler mit Hut und Sonnenbrille sitzt und wo er auf den neben ihm durch das geöffnete Fenster eintretenden Autolärm und das Gehupe der Straße mit eigenen Piepgeräuschen und Lauten antwortet und interagiert. Dieser Irrtum in der Adressierung, dieses durch die akustischen Signale der Autos Angesprochenseins und die damit verbundene umgehende Aktivierung des eigenen akustischen Warnsystems, einer fehlgeleiteten Sehnsucht nach Teilhabe an diesem Verkehrstreiben, eine bedrückend einsame Missinterpretationen des Sounddesigns der Fahrzeuge bis hin zum Schließen der Klimaanlagenklappen am Ende des Videos generieren eine starke Unsicherheit, ob man gerade eine interessante Psychose oder eine triftige Allegorie allgegenwärtiger Medialisierung, sprich Entzeitlichung, Enträumlichung und Vervielfältigung von Kommunikation studiert. Dieses weit über das in den kurzen und einfachen Videos hinausreichende – und dem darin von Bodzianowski in passiv-sisyphushafter Melancholie dargestellte und von Monika Chojnicka dokumentierte – Wirken und Anregen findet in der mit eigenen künstlerischen Unzulänglichkeiten in Bezug zu vorangegangenen historischen malerischen Leistungen anderer und mit dem gleichnamigen Beatles-Song unterlegten Videoarbeit Because (2003) eine imposante Fortsetzung, wobei der Videoausschnitt und die barocken Engelsdarstellungen mit den malerischen Grenzen des Präsentationshintergrunds im Raum einmal mehr beeindruckend ineinander fallen. In Catwalk (2008) kreuzt ebendieser wandlungsfähige Protagonistenautor auf nackten Zehenspitzen durch das Alltagstreiben in Jerusalem und lässt dieses dadurch verstärkt und detailreicher hervortreten. Im ersten Geschoss treffen zwei Videos aufeinander: In Alter Fuego (2008) wird ein Stahlregal in einem Käfig vom Künstler laut und aggressiv herumgeschleudert und übelst deformiert, während er in Alter Ego (2008) ein weiteres Stahlregal nach allen Regeln der inszenierenden Fotografie im Fotostudiostil als das Objekt des Begehrens schlechthin porträtiert. Das Wandmosaik Memories of 23rd Street von Keith Godard in der New Yorker U-Bahn und die darauf dargestellten Hüte als Hommage an (Hut-)Mode und die damit assoziierten New Yorker*innen wie Maud Nathan, Oscar Wilde, Mary Garden, Sara Bernhardt, Julia Ward Howe, Mark Twain, Mary Pickford und viele mehr unterläuft und appropriiert er, indem er sich jeweils mit Hinterkopf vor die historischen Hutdarstellungen stellt und sich diese so quasi verkehrt aufsetzt. Das Video H20oooo (2023), welches ihn in fortschreitender Blockierung zum eigenen Wasserhahn durch stetes Tieferlegen einer Bettwurst vor dem Badezimmerspiegel zeigt, lehnt schräg im Stiegenhaus der Fondazione Morra Greco, der Monitor, auf dem Smoke on the Water (2007) läuft, steht wiederum vor einem Fenster, welches auf den laufenden Fernseher der gegenüberliegenden Privatwohnung blicken lässt. Viele der Beamergeräte sind zudem auf Kühlschränken oder Kästen positioniert, und so fügt sich diese tolle, alle Verweigerungs- und Melancholieregister ziehende Gegenwartsneurosenrevue eindrucksvoll in den Ausstellungsort, die Stadt Neapel, diese immerwährende Hochburg der Körpersprache und nonverbalen Kommunikation, wie eine Hand in einen Handschuh.