Heft 3/2024 - Artscribe


Franz Kapfer – Atlanten – Ich oder das Chaos

22. Juni 2024 bis 1. September 2024
HALLE FÜR KUNST Steiermark / Graz

Text: Margit Neuhold


Graz. Tradierte und stereotype Zeichen, Symbole und Codes der Macht stehen im Zentrum der Arbeit und der aktuellen Ausstellung Franz Kapfers. Variantenreich treten sie uns nicht nur in Denkmälern, historischen Objekten und Bauten entgegen, sondern migrieren, um als machtpolitische Motive religiöser oder säkularer Ideologien auch andernorts zu wirken. Quer durch Epochen und Kontinente rückt Franz Kapfer den Diktatoren- oder Autokratenkult eines Alexander des Großen, Napoleon Bonaparte, Wladimir Putin oder Kim Il Sung ins Zentrum, um davon ausgehend politische Machtstrukturen und deren Ausprägungen zu befragen. Für seine facettenreiche Arbeit wurde der Künstler mit dem Würdigungspreis für bildende Kunst des Landes Steiermark 2022 ausgezeichnet, Jan Tappe kuratierte die damit einhergehende Werkpräsentation.
Der Hauptraum der HALLE FÜR KUNST Steiermark zeigt jene Arbeiten, die der Ausstellung den Titel leihen: Der Schatten der Installation Ich oder das Chaos (2015) schreibt sich der Skulpturengruppe Atlanten (2014–24) ein. Die Geschichte des Louvre ist vielgestaltig und turbulent; einst zog Napoleon als Herrscher in den Palast ein. 1802 wurde aus dem Louvre das Musée Napoléon, wo die Eingriffe des ersten Kaisers Frankreichs diesen Ort prägten. Flach und in Holz hat Franz Kapfer die Ornamentumrisse des schmiedeeisernen Tores des Louvre nachgebildet. Schwarz lackiert und im Originalmaßstab von fünf mal zwei Meter hängt die Skulptur von der Decke ab; im Dunkel des Ausstellungsraums wird sie von der Rückseite angestrahlt, einzelne Symbole werden mit gespenstischer Bedeutung aufgeladen. Zentral liegt Napoleons N; davon ausgehend bilden zwei Palmetten eine horizontale Achse, um wie auf einer Weltkarte Osten und Westen anzuzeigen; deren mittleres Blütenblatt bildet einen Speer; unter Napoleon I. zeigte die nach Westen gerichtete Spitze auf die britische Macht, die die Herrschaft über die Meere anstrebte, während die nach Osten gerichtete Spitze auf Zar Alexander I. abzielte. Weiters ist dem Ornament mehrfach napoleonische Heraldik eingeschrieben: der Adler als Wappentier – der König der Lüfte und zugleich Sinnbild für den Aufstieg in den Himmel – mit seinem Donnerkeil.
Mit Thomas D. Trummer spricht Franz Kapfer über die Herkunft des Titels der Arbeit.1 Der Ausspruch Ich oder das Chaos stammt von Wladimir Putin, getätigt im Zuge der russischen Annexion der Krim 2014, die 2022 in den russischen Angriffskrieg gipfelte. Mit dieser für die Kyjiw Biennale 2015 entstandenen um Napoleon kreisenden Arbeit wies Kapfer prophetisch auf Wladimir Putins Bestrebungen hin und projiziert diese buchstäblich auf seine zuletzt entstandene Werkgruppe Atlanten.
In teilweise geöffneten Transportkisten zeigt die 34-teilige, ebenfalls akribisch aus Holz gefertigte Werkgruppe behutsam verpackte Ausrüstungsgegenstände (para-)militärischer Einheiten, darunter sind schwarz lackierte reliefartige Skulpturen von Tötungswerkzeugen, ein russisches Sturmgewehr Kalaschnikow AK12, eine Glock 17, ein Kampfmesser KM2000 BW, aber auch Skulpturen von Schutzkleidung wie Einsatzhelm, Hand- oder Armschutz. Ausgehend von einem Aufenthalt in Mexico und einem die Atlanten von Tula zeigenden Aufnäher einer mexikanischen Spezialeinheit entwickelte Franz Kapfer diese Arbeit. Aber was impliziert dieser Patch?
Die über viereinhalb Meter hohen Skulpturen der toltekischen Krieger – hiervon leitet sich der Maßstab eins zu vier der überlebensgroßen dysfunktionalen Skulpturen ab –, die als Atlanten dienten, stehen 65 km halbwestlich von Mexico-City auf den Überresten der Morgenstern-Pyramide; mittels toltekischer Lehre wird hier an ursprüngliche Unsterblichkeit und frühes mystisches Denken angeknüpft. Neben gesellschaftlicher Aufwertung durch den edlen Krieger, die dem Aufnäher innewohnt, unterstreicht Franz Kapfer die festgeschriebene Metapher der tragenden Rolle der Atlanten hin zu einer durch die militärische Spezialeinheit in der Gesellschaft tragenden, die allerdings durch das überdimensionierte Format der Skulpturen dann doch ins Emblematische und Comichafte kippt.
Zehn großformatige farbenfrohe Studien, die als Bauanleitungen der Skulpturen fungieren, trägt Franz Kapfer in die Waffenkammern des Landeszeughauses des Universalmuseum Joanneum – als Intervention und als zeitgemäße Übersetzung der ausgestellten Exponate. So lehnt eine Zeichnung des weltweit sehr erfolgreichen Fabrikats Steyr AUG hochkant neben Gewehren aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Zeichnungen eines Einsatzhelms und Armschutzes lehnen im dritten Stock zwischen glänzend polierten und ungetragenen Rüstungen, die Zeichnung einer Sturmhaube verbreitet durch die Referenz auf eine zunehmende Präsenz im öffentlichen Leben Unbehagen. Die Wahl des Mediums der Buntstiftzeichnung – infantil anmutend durch die schablonenhafte Malen-nach-Zahlen-Optik – unterstreicht die Ambiguität zwischen kindlicher Begeisterung einerseits und die Brutalität der unzähligen ausgestellten Waffen und Rüstungen andererseits, die unzählige Generationen von Besucher*innen im Zeughaus durchleb(t)en.
Zwei weitere Arbeiten abseits des Hauptraums in der HALLE FÜR KUNST Steiermark befragen die Indienstnahme von Geschichte, Mythen und Symbole und richten den Blick auf die Nationenbildung autokratischer Systeme. Schelmenhaft operiert die Installation Tyrannis (2014) um den Kult um den Makedonen-König Alexander den Großen in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje: Schablonenhaft brüllende Löwenköpfe, auf Bewegungsmelder reagierende Miniwasserspiele untermalt von Richard Wagners Walkürenritt und rotem Licht sind Versatzstücke aus dem megalomanischen Projekt eines Landes, welches den antiken Feldherrn für sich beansprucht. Franz Kapfer besuchte auch Süd- und Nordkorea. Ein maßstabsgetreuer beinahe vier Meter hoher Tiger, ebenfalls schablonenhaft und aus Holz, steht hier für den von der nordkoreanischen Herrscherdynastie Kim in Anspruch genommenen Mythos um das Grab von Tangun. Einer Legende nach soll dort vor 4.000 Jahren das koreanische Königsreich gegründet worden sein und 1993 mussten unter Kim Il Sung 1993 dazugehörende menschliche Überreste entdeckt werden. In unserer überhitzten Gegenwart mahnt uns Franz Kapfer, klug und überzeugend Prozesse der Geschichtsschreibung zu hinterfragen und zur Schau gestellten Formen politischer Repräsentationen zu misstrauen.

 

 

[1] Künstlergespräch mit Thomas D. Trummer am 27. Juni 2024 in der Halle für Kunst und Steiermark; https://halle-fuer-kunst.at/kontext/kuenstlergespraech-mit-thomas-d-trummer-und-franz-kapfer/.