Heft 3/2024 - Artscribe


Hermann Czech – Ungefähre Hauptrichtung

16. März 2024 bis 9. Juni 2024
fjk3 – Raum für zeitgenössische Kunst / Wien

Text: Yehuda Emmanuel Safran


Wien. Ich lernte Hermann Czech in den frühen 1980er-Jahren kennen, als ich an einer Ausstellung über Adolf Loos für das Arts Council of Great Britain arbeitete. Als ich auf der Suche nach Adolf Loos in Wien ankam, wurde ich prompt von Dietmar Steiner und Gustav Pichelmann mit Herman Czech bekannt gemacht. Es gibt einen Satz von John Maynard Keynes, einem anderen Engländer, der – wie ich – eine enge Verbindung zu Wien hatte, lebten dort schließlich seine größten Gegner, Ludwig von Mises und Friedrich August Hayek, der lautet: „Es ist besser, ungefähr richtig zu liegen als genau falsch.“ Dieser Satz hallt wie ein starkes Echo auf den Titel, den Hermann Czech seiner Ausstellung Ungefähre Hauptrichtung gegeben hat.
Es ist selten, dass ein Architekt in der Lage ist, seine eigene Retrospektive in einem Umfang zu kuratieren, wie es Hermann Czech in dieser Schau angeboten wurde. Natürlich, für diejenigen, die wie ich das Glück hatten, einige der Ausstellungen, die Czech gestaltet hat, wie zum Beispiel Josef Frank: Against Design im Wiener MAK 2012 zu besuchen; oder wer im Restaurant und Bar des Palais Schwarzenberg war, welche heute nicht mehr existieren, oder die zahllosen anderen Projekte, Gebäude und Ausstellungen Czechs gesehen hat, für den bzw. die präsentiert der Gang durch die Ausstellung das Vergnügen einer verdrehten Komplexität und die Prekarität und Vergänglichkeit des Lebens unserer Städte.
Das Werk von Hermann Czech würdigt jenes der Generation vor ihm, von Johannes Spalt oder Friedrich Kurrent. Es bezieht sich auf Hans Hollein und Walter Pichler. Es erinnert sich an die Lehren aus den Seminaren von Konrad Wachsmann, die er besuchte, und es integriert den Beitrag des Team X in sein Repertoire. Hermann Czechs Referenzimperium ist reich und weit offen. Es ist wahrhaft ökumenisch. Aber immer wieder zentral in ihm ist die Dialektik von Adolf Loos und Joseph Franks Akzidentismus. Vielleicht fasst kein Begriff seinen architektonischen Modus Operandi besser als „Umbau“, ein deutsches Wort, das für Czech einen weiten Bedeutungsraum hat: Umwandlung, Reworking, Alteration, Adaptation, Renovation, Rebuilding, Transformation. Hermann Czech hat Adolf Loos sehr gut verstanden – dessen viel und falsch zitierte Kritik am Ornament einer tiefen Liebe und Wertschätzung des Ornaments entsprang oder dessen Freundschaft mit Louis Sullivan. Im historischen Antagonismus zwischen Loos und Josef Hoffmann stellt sich Czech eindeutig auf die Seite von Loos, wie etwa seine Adaption eines Thonet-Stuhls deutlich macht: Leichtigkeit und Widerstandsfähigkeit. In diesen Antagonismus ist Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeschrieben, das der Erkenntnistheorie Ernst Machs verhaftet war. Diese besagt unter anderem, dass der Sinneseindruck die einzige Quelle der menschlichen Erkenntnis sei. Diese unglückliche Erkenntnistheorie führte dazu, dass Mach Einsteins Relativitätstheorie ablehnte. Loos lässt in seiner Rezension von Machs Buch über den Irrtum solche Missverständnisse zu (solche tiefgreifenden Fragen können nicht in einer Ausstellungsbesprechung geklärt werden ...). Doch die von Hermann Czech implizierte Erkenntnistheorie, wie wir sie in dieser Ausstellung erleben, inspiriert uns, diese Verbindungen herzustellen, die für unsere Position als Menschen unter Menschen, die sich nach Gewissheiten sehnen, wo keine zu finden sind, so wichtig sind. Man könnte argumentieren, dass die Details des täglichen Lebens einen solchen kurzlebigen Trost bieten. Oder wie Aby Warburg meinte (offensichtlich Flaubert zitierend): „Gott steckt im Detail.“
Diese Ausstellung zeigt uns vor allem, wie sehr der Architekt Czech seine Version der Sprache der Architektur zu kultivieren vermochte, um gleichzeitig von großen und kleinen Dingen der Institutionen und des Alltagslebens zu sprechen. Erst vor zwei Jahren konnte Czech mit einer Gruppe junger Architekten auf der Architekturbiennale in Venedig die Fähigkeit der Architektur demonstrieren, die Grenzen von Gemeinschaften und Kulturen zu reformieren, und selbst ihr Scheitern, das Potenzial ihres Projekts zu verwirklichen, war ein Widerspruch zu unserem kollektiven Verständnis des Möglichen. Was könnte eine größere Errungenschaft in der Architektur sein als dies? „Partizipation“ könnte der Untertitel dieser Ausstellung lauten. Ich besuchte die Ausstellung an jenem Wochenende, als im Ausstellungsraum eine Diskussion zu diesem Thema stattfand. Czechs Bandbreite der Interpretation und des Verständnisses dieses Begriffs dort war überwältigend.
Ähnlich wie „Umbau“ könnte Partizipation so viele Strategien, Kommunikations- und Entscheidungsmöglichkeiten bedeuten, dass fast eine Überarbeitung der Sprache erforderlich wird. So wie Wittgenstein ohne seine Erfahrungen auf der Baustelle die Sprache nicht als „Sprachspiel“ begreifen konnte, könnten die Besucher*innen und Teilnehmer*innen dieses Gesprächs beginnen, neue begriffliche Werkzeuge zu entwickeln, um mit den bisher verborgenen Möglichkeitsformen der Architektur umzugehen – von einer Brandbreite an Themen und Strategien, so reich jener in Sun Tzus Kunst des Krieges.

 

Übersetzt von Redaktion