Heft 1/2025 - Netzteil


Das Universum, die Tiefsee und wir

Zu Anne Duk Hee Jordans Ausstellung The End Is Where We Start From im KunstHaus Wien

Ada Karlbauer


Ich starte am Anfang. Die Zeilen aus T. S. Eliots Little Gidding, die sich im Titel der Ausstellung von Anne Duk Hee Jordan im KunstHaus Wien niederschlagen, formulieren schon vorweg die Bewegung eines Kreises, der sich später auch durch den Ausstellungsraum legen wird: „What we call the beginning is often the end / And to make an end is to make a beginning. / The End Is Where We Start From.“ Zwischen alten und neuen Formen von Spezien geht es um Wechselwirkungen mit anderen Formen und Kombinationen des Seins – eine räumliche Halluzination, ohne uns, oder wenn, dann the last of us, die sich hier in der Rolle der Betrachter*innen durch die Räume bewegen: Ahn*innen, die aus der Zukunft kommen.
The End Is Where We Start From beschäftigt sich auf zwei Ebenen mit den Potenzialen, die sich möglicherweise hinter einem finalen Punkt (aus humaner Perspektive) entfalten. Die all das auflösen, was das Ende herbeigeführt habt, ohne es konkret auszusprechen. Die Menschheit wird hier ausgeklammert oder nur durch die Bewegungen im Raum in Interaktion gebracht. Es ist die erste institutionelle Soloausstellung von Anne Duk Hee Jordan in Österreich. Bunte Figurationen, neonfarbene Welten, im Innen kein Außen. Hier und da ein Ort zum Verweilen, zum Eintauchen. Ende ist Anfang ist Urzeit. Weil nach dem Ende wieder der Anfang folgt, beginnt hier alles mit Organismen der Urzeit. Anfang ist Ende ist Zukunft.
Auf jeder Ebene formulieren sich andere Spielarten von möglichen oder bestehenden aquatischen Ökosystemen in Interaktion mit einem menschlichen Blick, der sich beim Eintreten noch über der Meeresoberfläche befindet. Ein „Aquascape“, gefüllt mit unterschiedlichen Schneckenarten: Posthornschnecken, Blasenschnecken, Helmschnecken, Rennschnecken und Geweihschnecken, Wurzeln und Lavasteinen, die hinter den Pflanzen fast unsichtbar sind – ein Schaubild mit dem Titel Slippy slimy slug slut (Dedicated to Jeremiah the left-coiled snail). Jede dieser Schnecken hat eine Superpower, die auch in realen ökologischen Zusammenhängen von Bedeutung ist. In The End Is Where We Start From sind sie neben den wiederkehrenden Pflanzen die einzigen lebendigen Entitäten.
Der Raum ist in Blaulicht getaucht, dazu Wandtapeten, textile Layers nebeneinander, alles ohne Abstand – die Augen müssen sich erst daran gewöhnen. Tiefer im Raum befindet sich eine Wasserlandschaft mit belebten, mechanischen und nicht-humanen Organismen. Auf den ersten Blick wirkt die Wahrnehmung von Raum und Arbeiten „blurry“: recycelte Robotertiere auf Podesten, kinetische bzw. mechanische Skulpturen, die sich auf den vagen Konturen einer Landschaft versammeln. Verdoppelungen und Reflexionen, Spiegelwesen. So long, and thank you for all the fish heißt eine verspiegelte Rauminstallation die sich über das Zentrum des ersten Stockwerks erstreckt. Der Titel, eines von vielen hier verwendeten einschlägigen Zitaten aus Popkultur und Theorie, lässt die Grüße der Delfine in Douglas Adams’ Per Anhalter durch die Galaxis nach ihrer Flucht von der zerstörten Erde reimaginieren – ein Abschied, der einen neuen Mikrokosmos entstehen lässt.
„We are all bodies of water, leaking, sponging, sloshing, dripping, sipping. As watery, we experience ourselves less as isolated entities, and more as oceanic eddies: situated, temporary, relational. […] Hydrofeminism is an action concept that flows from this embodied material imaginary.“ So heißt es in Astrida Neimanis Text über Hydrofeminismus. Teil der Ausstellung sind mehrere mit Wasser gefüllte Teichbecken, in denen sich schon aus der Ferne Bewegungen erkennen lassen. Seerosen, Zyperngras, Tillandsien. Der Meeresspiegel befindet sich hier jedoch gleichsam an der Wand, ohne zu steigen. In den Becken sieht man eine Ansammlung von hybriden Wesen oder „Critters“, die entfernt an lebende Organismen erinnern, sich bei genauerer Betrachtung aber als Roboter ganz ohne KI entpuppen. Hier kollidieren die Arten. Spiegel schaffen räumliche Fluidität.
Die Bewegungen dieser Wesen zeugen von artificial stupidity – ein Begriff, den Anne Duk Hee Jordan als Pendant zu artificial intelligence erfunden hat. Der Ausdruck von artificial stupidity zeigt sich etwa in Form einer ziellosen Rotation. Die recycelten Konstruktionen sind aus Fahrradschläuchen, Dosen und Nierenschalen (mit einem geklonten Gehirn von James Lovelock) sowie präparierten Plastikoktopussen, die in der Machart dann doch wieder auf eine menschliche Praktik verweisen. Das Ökosystem, das sich in The End Is Where We Start From auftut, ist eines der Verbindungen, der Fluidität von Übergängen und Konstanten – ein System, das sich jenseits von normativen Formen bewegen möchte. Es scheint bisweilen, als ginge es um das Verlernen von Kreisläufen.
In der Ausstellung finden sich auch keine rechten Winkel, alles ist schief. Die Arbeiten kommunizieren diesbezüglich mit dem Gebäude und umgekehrt. Manchmal scheinen die Übergänge zwischen Raumarchitektur und den Werken nahezu untrennbar. Die Fenster nach außen sind verklebt, die Realität wird ausgeblendet. Lebendige Pflanzen auf turmförmigen Konstruktionen reinigen die Luft. Diese Air Plant Towers aus der Serie I Used To Be Van Mies suggerieren die Besiedlung einer neuen Architektur in einer Welt, die von der Klimakatastrophe „gehauntet“ wird.
Über die Treppe geht es nach oben – Auftauchen in der nächsten Schicht, die einer Unterwasserwelt gleicht. Der Blick ist umgeben von leuchtenden Planktonskizzen, die sich über Textilien und hinein in die nächste raumergreifende Installation, Worlds Away, ziehen. Diese erweckt das Gefühl eines Nachttauchgangs, wie man ihn noch nie erlebt hat. Für die Immersion stehen Betten bereit: Das Meer illuminiert, der Blick nach oben gerichtet. Universum und Tiefsee werden hier zusammengedacht, als Gegenbilder in ein Verhältnis gesetzt. Der Soundscape, welche die Phytoplanktonskulpturen einhüllt, versammelt Walgesänge, Motorgeräusche, Meeresambiente, einen tiefen Bass als Herzschlag. Die Phytoplankton Sculptures hängen von der Decke, die sich wie ein Himmel über der dunklen Matratze erstreckt.
Phytoplankton ist für die Produktion eines Großteils des Sauerstoffs in der Atmosphäre verantwortlich, außerdem steht es an erster Stelle der ozeanischen Nahrungskette, von Kiesel- und Grünalgen zu Krebsen zu Walen und Fischen. Die Nahrung für sich selbst erzeugt Phytoplankton durch Fotosynthese. In der Realität sind die hier visualisierten Organismen zwar unsichtbar, manchmal wachsen sie jedoch zu Phytoplanktonblüten an, die sich als Patina sichtbar auf der Meeresoberfläche zeigt. Ein Phänomen, das aus dem Weltraum als „Meeresleuchten“ erkennbar ist. Die Perspektive wird so umgekehrt: Galaxien in der Tiefe, Algen als Sterne. „Das Universum und die Tiefsee und wir dazwischen sind für mich untrennbar“, sagt Anne Duk Hee Jordan.
Die Kreisbewegung endet bei der Rauminstallation Atmospheres of Breathing. Diese versammelt eine atmende Maschine, zwei Liegestühle sowie die Zwei-Kanal-Videoarbeit Staying With The Trouble – eine Art Chillout-Environment, das Makroaufnahmen von Monarchfaltern, Bakterien und Pilzen zeigt. Die Maschine mit dem Titel Don’t Panic praktiziert die Technik der Vier-Sieben-Acht-Atmung, die ursprünglich aus einer Yogatechnik des Pranayama stammt, in der es um bewusste Regulierung und Vertiefung der Atmung durch Achtsamkeit und beständiges Üben geht. Man beschließt die Ausstellung im dynamischen Flow der Atemmaschine, während der Körper still liegt. „Die Welt ist auch ohne Menschen sehr schön“, sagt ein Besucher im Vorbeigehen. Kein Satz könnte die Schau am Ende besser zusammenfassen.

Anne Duk Hee Jordan, The End Is Where We Start From, KunstHaus Wien, 11. September 2024 bis 26. Januar 2025.