Heft 2/2025 - Lektüre
London (Pilot Press) 2025
260 S., £ 20,–
„Please feel free to think of gardens as literal places or metaphors for a better society, gardens as lost or reclaimed Edens, gardens as sites of pleasure, freedom, complexity and abundance.“ Mit diesen Worten luden Olivia Laing und Richard Porter im Frühling 2024 dazu ein, sich an ihrem Garden Manifesto zu beteiligen. Die erste Zusage kam nach 37 Minuten, erzählt Laing in der Einleitung des Buches.
Am Ende waren es 60 Beiträge: kurze Essays, Erinnerungen, Poesie, Malerei, Fotografien, Zeichnungen, sogar eine Gärtnereirechnung. Wolfgang Tillmans erlaubte zum Beispiel den Abdruck einiger Fotos gärtnernder Menschen und merkwürdig geformter Kakteen. Lubaina Himid präsentiert Inside Out – tiled wall for a back yard (2024), 24 Kacheln mit floralen Motiven, Chantal Joffe ein Ölbild mit Veilchen, ergänzt durch eine dichte halbe Seite Text über ebendiese Blumen in Malerei und Literatur. Joy Gregory beteiligte sich mit einer Darstellung karibischer Früchte, deren Gift zur Waffe gegen spanische Invasoren wurde: Manchineel Tree, Little Apples of Death, aus der Serie Plants of Resistance. Gaylene Gould steuerte eine Arbeit zur Brotfrucht bei, die der englische Botaniker Joseph Banks von Tahiti in die Karibik bringen ließ – als billige Nahrung versklavter Menschen. Es gibt Fotos der Skulpturengärten von Ian Hamilton Finlay und Gerry Dalton oder der Installation Garden (2019) von Tabboo! und Elisabeth Kley. Ein Text/Bild-Beitrag zeigt eine Aktion Jamie Reids, der Wildblumensamen auf das Gelände des Long-Kesh-Gefängnisses in Belfast wirft. Vorgestellt werden auch die Green Guerillas aus New York, die schon in den 1970er-Jahren Nachbarschaftsgärten gründeten. Oder das Kunst- und Landwirtschaftsprojekt Palestinian Heirloom Library der Künstlerin Vivien Sansour: Es rettet und verteilt Samen, Geschichten bzw. (horti-)kulturelles Erbe aus zerstörten palästinensischen Gebieten.
Dazu kommen einige erheblich ältere Arbeiten, zum Beispiel ein Gedicht aus dem Jahr 1832 und ein Brief (genauer gesagt: eine Pflanzenbestellung), beides von John Clare, dessen Werk die Enteignung bäuerlicher Gemeinschaftsflächen in England spiegelt, oder die Beschreibung eines morgendlichen Gartens, verfasst von der japanischen Dichterin Sei Shōnagon um das Jahr 1002.
Olivia Laing hatte, so heißt es im Vorwort, die Idee zu A Garden Manifesto im Mai 2024 während einer Lesereise für das frisch erschienene The Garden Against Time. In Search of a Common Paradise. Laing erzählt darin vom eigenen verwilderten Garten oder von den Beeten, die der an AIDS erkrankte Derek Jarman rund um sein Prospect Cottage anlegte. Es geht auch um John Miltons Gedichtepos Paradise Lost, Spaziergänge durch englische Parkanlagen, die mit Sklaverei in der Karibik finanziert und durch Enteignungen vor Ort ermöglicht wurden. Diese und andere Lektüren verflechten sich zu einem Nachdenken über reale und imaginierte Paradiese sowie ihre gewaltvolle Kehrseite, gründlich recherchiert und angesiedelt zwischen Traum von Eden, Rückenschmerzen beim Jäten und Gesellschaftskritik. Das Buch erklomm zügig die Sunday Times-Bestsellerliste, obwohl – oder weil – es dem Gardening-verliebten England einen sozial- und kolonialkritischen Spiegel vorhält.
Mit Passagen über den homosexuellen Gartendesigner Mark Rumary oder Derek Jarman zieht das Buch zudem klare Verbindungen zur Dekonstruktion fester Geschlechter- und Begehrensmodelle. Laing definiert sich selbst als nicht-binär, der Motor des ganzen Projekts ist eine ausgeprägte Abneigung gegen ausschließende Gewalt. Leser*innen von Laings früheren Veröffentlichungen, zuletzt Everybody. A Book About Freedom (2021), einem Buch über Körper und Widerstandsbewegungen im 20. Jahrhundert, wird das nicht überraschen.
A Garden Manifesto, erschienen in Richard Porters kleiner, preisgekrönter Pilot Press, ist kein Ableger des Paradise-Bestsellers. Es erkundet zwar das gleiche Thema („gardens as literal places or metaphors for a better society“), aber in anderem Modus. Es spinnt keine ausführliche Reflexion, sondern präsentiert, was großzügig angeboten wurde: 60 Arbeiten, sehr unterschiedlich und (vom kurzen Vorwort abgesehen) unkommentiert nebeneinandergestellt.
Es gab in den letzten Jahren nicht wenige Bücher und Ausstellungen zur Verbindung von Garten, Kunst und Gewaltverhältnissen. Das Besondere und besonders Schöne am Garden Manifesto ist, wie überzeugend es Gärten als machtdurchzogene, aber eben auch verheißungsvolle Sphäre zeigt, ohne Befund oder Vision zu homogenisieren oder stillzustellen. Wahrscheinlich hat beides damit zu tun, dass die Herausgeber*innen und nicht wenige der Beitragenden sich einem queeren Biotop zugehörig fühlen, das gelernt hat, Vielfalt und Widersprüche zu akzeptieren. Sicher liegt die Offenheit dieses „Manifests“ auch einfach an der schieren Fülle der präsentierten Perspektiven. Und bestimmt trägt zu diesem Eindruck auch der beharrliche Bezug auf die Praxis des Gärtnerns bei, der nicht jeden Beitrag, aber doch das Buch als Ganzes durchzieht. Er verhindert ein theoretisches Abheben ebenso wie eine Verklärung/Verengung des Sujets.
Laing und Porter umschreiben A Garden Manifesto als „seed box for an uncertain future“, aus der sich Ideen unkontrolliert ausbreiten und irgendwo keimen. Das passt gut zu dem, was in Beeten und Töpfen tatsächlich passiert. Und es passt zu einem Buch voller bekannter und nicht so bekannter Arbeiten, vertrauter und überraschender Motive, Sichtweisen und Gesten. Es lädt zum Blättern und Lesen, Sehen, Recherchieren, zum Nachdenken, Nachmachen, Weiterreichen ein. Und, natürlich, zum Gärtnern.