London. Nach erfolgreicher Präsentation in Spike Island und Nottingham Contemporary zeigt die Whitechapel Gallery eine große Retrospektive des viel zu jung verstorbenen britischen Multimediakünstlers Donald Rodney (geb. 1961 in West Bromwich, gest. 1998 in London). Die Ausstellung umfasst ein Konglomerat aus Skulpturen, Installationen, Zeichnungen, Malereien sowie digitalen Medien und das Experimentieren mit neuen Materialien und Technologien. Ein Filmprogramm zeitgenössischer Künstler*innen wie Larry Achiampong & David Blandy, Hannah Black, James Gregory Atkinson, Yazan Khalili, Carolyn Lazard, Zinzi Minott, Shahryar Nashat und Camara Taylor lädt dazu ein, über die Themen in Rodneys Werk sowie deren Relevanz und Einfluss heute nachzudenken. Zudem erscheint ein Reader mit Bildern aus der Ausstellung und Texten von Freund*innen und Künstlerkolleg*innen wie Eddie Chambers, Keith Piper und Diane Symons, auf deren Unterstützung er aufgrund seiner Krankheit angewiesen war.
„Black Art is not just Art produced by Black People. There is a necessary conciousness that goes with it.“1 Diese viel zitierten Zeilen Rodneys drücken auf präzise Weise das Dilemma aus, in dem er sich zeit seines Lebens befand: Unentwegt auf seine Identität als „Schwarzer Künstler“ reduziert, entwickelte er aus dieser Zuschreibung einen Kampfgeist, der sich zu einer mächtigen Waffe gegen den institutionalisierten Rassismus Großbritanniens manifestierte. Implizit erscheint hier W. E. B. Du Bois’ Konzept der „double consciousness“, das die psychologische Herausforderung beschreibt, sich selbst immer durch die Augen einer rassistischen weißen Gesellschaft zu sehen und an den Maßstäben einer Nation zu messen, die sie mit Verachtung betrachtete.2
Beim Betreten des Untergeschosses der Räumlichkeiten der Whitechapel Gallery wird die Besucher*in zunächst mit einer Installation konfrontiert, die den Titel Self-Portrait: Black Men, Public Enemy (1990) trägt. Bei dieser Arbeit handelt es sich um fünf Leuchtkästen, die jeweils das Abbild des Gesichts eines Schwarzen Mannes enthalten. Die Abbildungen wurden aus Zeitungen sowie einem Buch über Blutkrankheiten entnommen und formen – an das christliche Opferkreuz erinnernd – kombiniert den Großbuchstaben T. Wenngleich als Selbstporträt klassifiziert, enthält es keine Fotografien von Rodney selbst. Die aufwendigen Wandtexte der Ausstellung bieten eine Kontextualisierung der Werke und enthalten Zitate des Künstlers. Neben Self-Portrait ist von Rodney zu lesen: „Black masculinity intrigues me because of being a Black man and constantly being told I am a threat.“
Donald Rodney erlangte erstmals Bekanntheit als Gründungsmitglied der BLK Art Group, einer Gruppierung junger afrokaribischer Künstler*innen, Kritiker*innen und Kurator*innen, die in Wolverhampton gegründet wurde, um Themen wie Rassismus und rassische Identität durch verschiedene künstlerische Ausdrucksformen in den Kontext der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken. Darüber hinaus war der mit bereits 36 Jahren verstorbene Künstler von Sichelzellenanämie betroffen und nutzte die Bedingungen seiner Erkrankung, um Rassismus, Ungleichbehandlung, rassifizierte Identitäten, Schwarze Männlichkeit, chronische Krankheit und das koloniale Erbe Großbritanniens zu thematisieren. Sichelzellenanämie ist eine Erbkrankheit, die je nach Ausprägung im Laufe des Lebens zu verschiedensten Komplikationen und einem vorzeitigen Tod führen kann. Aufgrund der Resistenz des Sichelzell-Hämoglobins gegenüber Malaria, die mit einem „Überlebensvorteil“ assoziiert wird, ist die Krankheit mit einem Anteil von 75 Prozent am weitesten in Afrika südlich der Sahara verbreitet. In kritischen Diskursen wird sie daher oft als „Black Disease“ bezeichnet. So bestand Rodneys medizinische Behandlung aus einem unerbittlichen Kreislauf aus Bluttransfusionen, Schmerzmitteln und Operationen, was zu einer der prominentesten Arbeiten der Ausstellung führt: Flesh of My Flesh (1996).
Ebenfalls im Untergeschoss der Galerie angesiedelt, handelt es sich bei Flesh of My Flesh um ein großformatiges fotografisches Triptychon, dessen mittleres Bild eine stark beschnittene Nahaufnahme einer dicken Narbe am Oberschenkel des Künstlers nach dessen letzter Hüftoperation zeigt. Auf den beiden äußeren Bildern sind mit dem Elektronenmikroskop fotografierte Knoten aus menschlichem Haar zu sehen: einer von Rodney und einer von seiner Künstlerkollegin Rose Finn-Kelcey. Unter einem Elektronenmikroskop fotografiert, sind die optischen Unterschiede zwischen den Haaren eines Schwarzen Mannes und einer weißen Frau kaum noch erkennbar. Besonders an diesen Mitte der 1990er-Jahre entstandenen Arbeiten sind der intime Gebrauch des eigenen Körpers und Technologien des Abbildens und Belegens der britischen Gesundheitspolitik mit Sichelzellenanämie zu sehen.3 Abgesehen von der Reflexion über Rodneys kritische Auseinandersetzung mit rassistischen Mythologien fällt es schwer, sich der Schönheit dieser Arbeit zu entziehen.
Ähnlich verhält es sich mit der im ersten Obergeschoss der Galerie gehängten Arbeit In the House of My Father (1997): Auch hierbei handelt es sich um eine großformatige Fotografie, die eine winzige Darstellung eines Familienhauses zeigt. Dieses wird mit Stecknadeln vorsichtig zusammengehalten und liegt in der Handfläche des Künstlers, während diese auf einem Krankenhauslaken ruht. Das Miniaturhaus, das unter dem Titel My Mother. My Father. My Sister. My Brother. (1997) eine eigene Arbeit darstellt, entstand aus der Haut des Künstlers, die über einem Abszess am Oberschenkel gewachsen war. Hierbei handelt es sich um eine Schutzschicht, die sich während des Heilungsprozesses gebildet hat und schließlich abgestoßen wurde. Beide Arbeiten entstanden für die Ausstellung 9 Night in El Dorado in der South London Gallery, deren Titel in Anlehnung an die traditionelle jamaikanische Trauerzeit nach dem Tod eines geliebten Menschen gedacht wird, die sein letztes Werk werden sollte. Zwei Jahre zuvor war Rodneys Vater verstorben, dessen „nine-night“ Rodney aufgrund seines eigenen gesundheitlichen Zustands nicht mehr beiwohnen konnte.4
Die beiden Arbeiten vereinen allumfassend die Themen, die den Künstler beschäftigt haben: die Verletzlichkeit des Körpers, auch aber seine starken Schutzmechanismen, die Hypervisibilität Schwarzer Haut und zugleich die Unsichtbarkeit Schwarzer Subjekte – ein Leben lang rassistischen Körperpolitiken ausgeliefert, aus der der Künstler eine Kraft schöpft, die dem vermeintlichen Opferstatus etwas entgegensetzt – sowie der Schutz und Support durch Familie und Freund*innen, die eine zentrale Rolle in seinem Werk einnehmen.
[1] Gilane Tawadros, Foreword, in: Nicole Yip et al. (Hg.), Donald Rodney – A Reader. London: Whitechapel Gallery 2024, S. 6.
[2] W. E. B. Du Bois, The Souls of Black Folk. New York/Avenel, NJ: Gramercy Books 1994.
[3] Die hier beschriebenen Informationen stammen vom Wandtext der Arbeit Flesh of My Flesh.
[4] Keith Piper, In Search of El Dorado, in: Yip et al. (Hg.), Donald Rodney – A Reader, S. 10.