Die Filme von Norbert Pfaffenbichlers Trilogie 2551 lassen sich als eigenwillige Splatter-Movie-Variante voller Zitate aus Film- und Kunstgeschichte mit erwartbarem Ekel und Schrecken betrachten. Oder aber als eine subversive Gegenfantasie „somaästhetischer“ (Richard Shusterman, Horst Bredekamp) Ausdeutungen einer porös werdenden Gegenwart. Eine Ausgangsfrage mag sein, wie sich eine Gegenwart „repräsentieren“ lässt, ohne in pure, abgenutzte Stellvertreterbilder abzugleiten. Eine Präsenz herzustellen, die sich uns, in allem Formenüberschuss, in frecher Aneignung früherer Bilder, in maximaler Reduktion des Erzählbaren, als eine sinnliche, zugleich blasphemische, politische Aussage aufdrängt.
Die Bilder, das sind zum einen endlos viele Tableaux vivants, oftmals hoch konzentrierte Aufstellungen absurder Sets und transgressiver Akte von dem, was wir alle kennen, nur ins Maßlose, ins Skurrile, ins Surreale überhöht. Phänomene aus dem grauen, sinnfernen Großstadtalltag, aus entfremdeten Begegnungen, aus körperlicher Abstoßung wie Anziehung. Wenn wir die Schleier um uns leicht in Bewegung versetzen, würden wir schnell in diese Tiefen, dieses Labyrinth an grotesken, zugleich hypersinnlichen Lebensformen und Umwelten, die unsere sind, hinabschauen können. Die ersten Bilder definieren den Handlungsraum: Gänge, Verliese, carceri, geschlossene Einschließungsmilieus, auch eine psychiatrieähnliche Situation wird angedeutet. Aus diesen hermetischen Milieus ohne Außenbezug entkommen wir als Zuschauende nicht, niemals. Das Konkave ist hier disziplinierend-ästhetisches Prinzip, das Räumlich-Phobische ist vorgedacht.
Zum anderen wird ein kleiner narrativer Faden ausgelegt; diese Erzählung bildet ein grobes Fangnetz für die mit einem Materialexzess kuratierte Ausstellung einer verlorenen Welt. Ein auf sich gestellter Kid – der in einem, ihn bis auf die Augen völlig verhüllenden, groben Sack steckt – wird zum Schützling eines Ape-Man. Sie irren herum, der Junge wird entführt, dann wiedergefunden, dann wieder entführt (Chaplin lässt grüßen). Es mag den Wunsch geben, diesem Faden zu folgen, eine „glückliche“ Auflösung zu erwarten. Doch das filmische Kraftwerk hat anderes im Sinn.
Erste Episode. Der Anfang. Protobild einer brutalen Konfrontation, Protestierende gegen eine Ordnungsmacht, heftige Zusammenstöße im Stroboskopflattern, eingepeitscht von Hardcore-Sound aus dem Slipknot-Universum. Die Gegengewalt trägt clownesk-bizarre Masken, die Polizei Helme und Gasmasken, Ausdruck legitimierter Oppression. Eine vertraute Szene aus vielen Protestniederschlagungen. In diesem Protobild ist die Matrix für alles Kommende angelegt: Situationen, Akte, die wir kennen, werden in eine verfremdete, surreale Welt übertragen. Die Trilogie folgt einer ästhetischen analysis situ, die Machtverhältnisse aufzeigt, soziale Beziehungen anvisiert, die, umgestaltet zu verausgabenden Formenspielen, in ihrem Anderssein erschrecken, zugleich aufklären.
Die Bilder hören nicht auf „zu laufen“, ein ewiges Gehen, Stolpern, Fallen. Angetrieben von einem Metal-/Electronic-Music-Strom oder abstrakten Klavierarabesken werden die Korridore abgelaufen, die Gänge, die Tunnels. In jeder Ecke, in jedem Nebenraum spielen einzelne, defigurierte Versatzstücke von Leben, ins Theatralische, Slapstickartige, Monströse und Groteske gewendet.
Es gibt in diesen drei Filmen keine Identitäten und kein Sprechen. Alle tragen Masken. Diese sind teils dem Inventar aller möglichen Masken aus allen möglichen (Sub-)Kulturen entnommen. Das Entscheidende ist, dass es nur maskierte Menschen sind, die zu sehen sind, oder besser: Die Menschen existieren nur als mit diesen ihren Masken. Es ist der bedrückende Eindruck bzw. die Einsicht, dass es kein „Darunter“ gibt, kein Gesicht, das individuell-menschlich wäre. Alle hier präsenten „Wesen“ sind auf eine Weise mutiert, verwandelt in eine andere Form, die sie unmenschlich macht, sie transzendieren das Gewöhnliche dorthin, wo ein Jenseits des Menschen wartet. Ja, es sind Karikaturen, doch zugleich sind sie deformierte Identitäten, wie sie die Gesellschaft selber hervorgebracht hat. Sie erinnern teils an die verstümmelten Gesichter aus den Weltkriegen, Verletzungen, die entindividuierend sind, die beinahe jede Spur von Menschsein gelöscht haben. Teils sind sie dem Repertoire des Surrealismus entnommen, von Max Ernst, Hans Bellmer oder Otto Dix, teils Splatter-/Gore-Filmen entlehnt, der BDMS-/Kink-Szene, aus der zeitgenössischen Pop- und Clubkultur. Oder sie verweisen auf kulturhistorische Artefakte, wie den sogenannten Pest-Arzt, ein Mann mit Vogelmaske, die im 17. Jahrhundert im Kontext der Pestepidemien Schutz bieten sollte. Hier jedoch ist der Bird-Man eine repressive Ordnungsgewalt, von der Zwang und Unterwerfung ausgeht. Jede Maske symbolisiert eine auf eine Expression reduzierte, individuelle Verfallsgeschichte. Alle diese Maskenwesen agieren Affekte aus, die unterhalb der „zivilisierten“ Affekte ausgebrochen sind und nun ein Eigenleben führen. Die Trilogie entwirft eine Art transhumane Maskengesellschaft.
Zu sehen sind also Filme ohne menschlichen Ausdruck und: ohne Sprache. Denn die darin vorkommenden Wesen haben das Symbolische verloren, oder besser: Das Symbolische hat sich in ihrem Äußeren verhärtet, es ist einfältiges Zeichen am Körper, ihre Maske, Medium einer kärglichen Kommunikation.
Wir leben bei Norbert Pfaffenbichler in einem porösen Stummfilm, der die Sprachlosigkeit, die Ausdrucksüberzeichnung, als Merkmal eines Zivilisationsbruchs ausstellt. Eine Endzeit, die Stillstand bzw., was das Gleiche ist, voller chaotischer sinnloser Bewegungen ist, die nur pure Indifferenz als Alternativlosigkeit, als radikale Selbstentäußerung kennt. Die Vertreter*innen des Machtapparats wirken wie schale Schablonen, die in ihrer Anonymität, ihrer normativen Willkür, das genaue Gegenteil von dem repräsentieren, was die „normalen“ Menschen an durch ihre Masken symbolisierte Deshumanisierung vermitteln.
Der zweite Teil, Orgy of the Damned, demonstriert ad infinitum Abartiges, bizarre Kopulationen, de Sade’sche Fantasien, Sodomie, Masturbierende mit Hitler-Gruß …, alles wird Genital bzw. „fuckable“, jeder wird ge- bzw. missbraucht. Was jedoch mit paradoxen, zugleich auch erhellenden Einfällen einhergeht. Etwa, gleich zu Beginn, eine als weiblich konnotierte Figur mit Penis, der sich zurückzuziehen beginnt und eine Vagina ausbildet.
Es gibt in diesem kalten Universum der Abartigkeiten auch einige Momente, die das Filmische in andere Empfindungen überführt, vertraute Gefühle, wie die vom Ape-Man zum Kid, Schutz, Zuneigung, Sorge. Und dann jener lange Moment einer sexuellen Vereinigung: Ape-Man und die Frau mit weißer Ledermaske – sie haben sich mehrfach in den Gewölben und Verliesen zunächst unversöhnlich getroffen – lieben sich in hierfür anders codierten Bildern auf erotisch-„ganzkörperliche“ Weise, allerdings im zweiten Teil begleitet von Henry Purcells Cold Song (eine Feier der Kälte, des Todes). In Aufsicht gefilmt, vervielfältigen sich die animierten Formen in „schöner Manier“, jedoch werden im Verlauf – das Gegensatzdenken! – die Körper mit wimmelnden Maden überblendet. Nichts scheint in dieser Welt ohne sein Gegenteil zu existieren. Wie in unserer auch.
Die dritte Episode verlangsamt die Bilder, Rituale und Mystery-Elemente treten auf, der absolutistische Staat wird inszeniert und der Raum selbst aufgelöst. Der Ape-Man existiert nunmehr in einem vollkommen weißen, nicht-metrischen Raum, einer Art Innen-Innenraum, Raum queerer Imaginationen. Es sind nun nicht mehr die Exzesse der Unterwelt, die erdrücken, vielmehr werden signifikative Veränderungen vorgeführt, etwa die Geschlechtsumwandlung des Ape-Mannes.
Dieser Ape-Man ist insofern eine Ausnahme im System, an dem er Teil hat, als er fortwährend über all die Tableaux vivants, seine defigurierten Mitlebenden, die grotesken Akte staunt, als ob er das erste Mal an dem Parcours der endzeitlichen Absurditäten teilnehmen würde. Oder aber, als ob er sich das Staunen bewahrt hat … und versucht zu begreifen. So wie wir Zuschauenden.
Die Trilogie wird von sixpackfilm Wien verliehen und erscheint Ende 2025 auf dem US-Label deaf crocodile als BlueRay (https://deafcrocodile.com).