Die Gruppenausstellung Wandala, benannt nach der afroasiatischen Sprache Wandara oder auch Mura, die in Kamerun und Nigeria Verwendung findet, versammelt zeitgenössische afrikanische Kunst, die Räume für Freiheit und Anderssein schafft. Die Arbeiten der drei darin vertretenen Künstler*innen lassen sich als Gesten verstehen, die etwas formen wollen, was ich als afrikanische Dritte Räume bezeichnen würde. Das müssen keine physisch existierenden Orte im eigentlichen Sinne sein; vielmehr kann es sich dabei um imaginäre, kosmische, unvertraute, unbesiedelte, topologische oder metaphysische Räume handeln. Diese Räume sind weit, offen und unvollständig, denn afrikanische Dritte Räume verstehen sich als ein work in progress. Das soziologische Konzept der Dritten Orte, das ursprünglich auf Ray Oldenburg zurückgeht,1 wurde von Edward Soja weiterentwickelt und auf Räume der sozialen Interaktion und Gemeinschaftsbildung im Sinne des Wohlbefindens ausgedehnt, das heißt genauer auf Räume, die sich distinkt vom Zuhause und vom Arbeitsplatz unterscheiden.2 Homi K. Bhabha definiert den Dritten Raum schließlich als jenen metaphorischen Raum, in dem Identitäten sich überschneiden, verbinden und beraten, um in postkolonialen Kontexten hybride kulturelle Ausdrucksformen zu schaffen.3
Namafu Amutse (geb. 1998) präsentiert uns hier ihre afrofuturistische Fotografie, die sich durch eine unverwechselbare Handschrift und Bildsprache auszeichnet. Amutse arbeitet in den Disziplinen Film, Fotografie und Publizistik. Ihr visuelles Vokabular besteht aus Fotografien Schwarzer Körper, die afrikanische oder queere Stoffe, extravagante Brillen, Masken und Doeks (Kopftücher) tragen. Dabei handelt es sich oft um Frauen, Kinder und nicht-binäre Personen, die sie vor dem Hintergrund ausgesuchter Natur- und Kulturlandschaften in Szene setzt, sei es die namibische Wüste oder bestimmte Küstenstriche. Amutse integriert in ihre Porträtkunst aber auch kulturelle Gegenstände aus der ihr eigenen Owambo-Tradition, was nicht zuletzt darauf hindeutet, dass sie ihre Arbeit als Möglichkeit begreift, die fluide und dynamische namibisch-afrikanische Identität zu verhandeln und aufzufrischen. Mit der Verwendung traditioneller namibischer Stoffe wie Odelela versucht sich Amutse letztlich auch an einer Neuinterpretation von „Owamboness“, die, weder zeit- noch ortsgebunden, in ständiger Veränderung begriffen ist und die Unvollendetheit feiert. Dazu passt, dass der Odelela-Stoff selbst bereits eine Art Hybrid darstellt, fand er seinen Weg nach Namibia doch erst im Gepäck finnischer Missionare des 19. Jahrhunderts.4 Die Owambo machten sich Odelela dann zu eigen und begannen irgendwann, darin eine moderne Form traditioneller Owambo-Kleidung zu sehen.
Odelela ist aber lange nicht das einzige materielle Element aus der Owambo-Kultur, mit dem Amutse arbeitet, experimentiert sie doch auch mit Objekten wie ongalo, elilo und ontungwa. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Körbe, die üblicherweise zum Aussieben oder Transportieren von Getreide und zum Servieren von Brei verwendet werden. In Amutses Bildnissen werden diese Körbe, gemäß der kulturellen Praxis, von den Porträtierten dann auf dem Kopf getragen, häufig in Anspielung auf eine gewisse Mobilität und Opfergaben im Zusammenhang mit religiösen und säkularen Owambo-Ritualen. Und angesichts dessen, wie Odelela und die Körbe in einen Dialog mit den Masken und den – nunmehr als afrofuturistisch geltenden – extravaganten Brillen treten, wird eine andere Art von afrikanischer Identität heraufbeschworen, ein Raum, der abweichend queer ist; er ist deshalb queer, weil er nicht den normativen Vorstellungen von „Owamboness“ entspricht oder sich mit ihnen bescheidet. Und ebenjene Queerness verwandelt Amutses Porträtkunst dann auch in einen afrikanischen Dritten Raum, einen unvollkommenen und unvollendeten Raum, in dem die Frage danach, was es bedeutet, eine queere Afrikanerin, Namibierin und Owambo zu sein, kontinuierlich neu verhandelt und gestaltet wird. Es ist dieser Raum, in dem Amutse sich zukünftige Identitäten und mehr ausmalt.
An einer weiteren Interpretation afrikanischer Dritter Räume versuchen sich die Werke des senegalesischen Künstlers Mbaye Diop (geb. 1981), der die Gattungen Zeichnung, Video, Installation sowie Klang- und Performancekunst bedient. In der Ausstellung Wandala präsentiert er eine Reihe von Zeichnungen, die uns gewöhnliche Menschen beim Tennisspielen zu sehen geben, während sie von der Architektur Dakars hinterfangen werden. Das Werk konfrontiert damit die Geschichte und Gegenwart des Tennis im Senegal, hat doch der Sport seine Ursprünge in der Kolonialzeit des Landes, wo er ausschließlich von weißen Männern auf den allein ihnen vorbehaltenen Courts gespielt wurde. Diese Vergangenheit des einst elitären Sports wird von Diop nun mit einem harten Return bedacht, wenn er Afrikaner*innen beim Tennisspielen an ebenso öffentlichen wie privaten Orten der Stadt Dakar zeigt. Dergestalt bettet der Künstler das Tennis in eine autochthone Architektur ein, die Räume für uns eröffnet, um dem Spiel an vertrauten Orten zu begegnen.
Gespielt wird Tennis hier von afrikanischen Frauen, Männern und Kindern zwischen Gebäuden, Hühnern, Marktständen, Autos, Stühlen und anderen Menschen. Und ebenjene Verspieltheit im Alltag ist es auch, die in uns die Vorstellung eines Dritten Raumes evoziert und mithin den Weg dafür ebnet, Tennis als eine öffentliche Freizeitaktivität zu sehen. Diese Zeichnungen verstehen sich daher als Einladung an uns, darüber nachzusinnen, wie man sich im Senegal, in Afrika sowie seinen Diasporas historisch gesehen elitäre Sportarten kontinuierlich anverwandelt hat, um sie an einem konkreten Ort und zu einer gegebenen Zeit eine bestimmte Funktion erfüllen zu lassen. Im Spielen spricht sich im Allgemeinen unsere Intelligenz aus, genauso wie es uns auch Genuss und Vergnügen bereiten kann; wir empfinden das Spielen als erbaulich, und das nicht zuletzt, weil es unsere Sinne belebt. Wer sich auf ein Spiel einlässt, erklärt sich dazu bereit, nicht nur eine alternative Realität zu erkunden, sondern auch die Möglichkeit, darin die Beziehung zu anderen auf ungewohnte Weise zu gestalten. Ich bemerke in Diops zeitgenössischem Spiel nun eine aktivierende Kraft, die uns dazu bringt, uns selbst in unseren unterschiedlichen Vorstellungen von Afrikanität zu erkennen, eine Erkenntnis, die unsere Handlungsmacht und Eigenverantwortung herausstellt.
Als Drittes sind in Wandala Werke der ugandischen Künstlerin Olivia Mary Nantongo (geb. 1994) zu sehen, die in ihrer Arbeit die Genres der Fotografie, digitalen Kunst, Malerei, Performance und Poesie zusammenführt. Ihr Beitrag besteht aus einer Reihe digitaler Collagen, die um Vorstellungen des Selbst kreisen, genauer um sein Verhältnis zur Liebe, Schönheit und inneren Welt. In diesen Collagen versucht sie, ein Gleichgewicht zwischen dem Schönen und dem Chaotischen sowie der inneren und äußeren Welt des Selbst herzustellen, indem sie eine Art von Schwesterlichkeit zum Ausdruck bringt. Im Vordergrund von Nantongos dynamischen und farbenfrohen Collagen steht dabei die weibliche Figur, ein Arrangement, das eine afrikanisch-feministische Fantasie heraufbeschwört, die sich als digital und visuell facettenreich erweist. Deutlich wird dies zumal in den Mustern aus Linien, Kreisen, Kurven und Diagonalen, die sich schließlich zu afrikanischen Formen und Symbolen fügen. Weiters finden sich in den Arbeiten aber auch noch Papierfetzen, die, ganz im Sinne einer Geste des Ausbesserns und Flickens, geschickt miteinander verflochten werden. Exemplarisch kommt hier damit Nantongos künstlerischer Ansatz zum Tragen, konturlose Textfragmente, Schwarze Frauenkörper und kultureller Gegenstände aufeinanderstoßen zu lassen. Wenn die Künstlerin ihren Körper zum Beispiel nicht in afrikanische Textilien und Farbe hüllt, dann positioniert sie ihn auf oder innerhalb eines Textes. Dies alles geschieht dabei vorsätzlich und ist dem Zweck gewidmet, die verschiedenen Ebenen von Nantongos gelebter Erfahrung als ugandische Frau im digitalen Zeitalter vorzuführen. Auf diese Weise bekommt man einen Eindruck von ihren inneren Ängsten, Sorgen und Kämpfen, erkennt letztlich aber auch, wie sie von ihrer Freiheit Gebrauch macht.
Meinem Verständnis nach macht Nantongo ihre Freiheitspraxis am Mond fest. Denn sie verweist auf den Mond als einen Ort, an dem durch ein feierliches Ritual, einen Tanz, ein Gleichgewicht zwischen Herz und Verstand erreicht werden kann. Wenn wir diesen kosmischen Verweis nun in Beziehung setzen zum Viszeralen, zur Materialität der Körperbemalungen, Kopftücher, Kleider und Texte, dann erlaubt uns das, den afrikanischen Dritten Raum zu lokalisieren, den das Werk eröffnet: einen Raum, der, zutiefst subjektiv und selbstreflexiv, auf eine Suche nach spiritueller Orientierung aus ist. Die verstorbene afrikanische Kuratorin Koyo Kouoh gemahnte uns daran, dass künstlerische Räume das Potenzial haben, den menschlichen Geist zu nähren, der die kreative Energie erzeugt: „Die Suche nach dem Geist; ich glaube, dass der künstlerische und kreative Raum der Raum des Imaginären ist und ein viel umfassenderes Verständnis davon vermittelt, wer wir sind und welche Rolle wir in dieser Welt spielen, und genau dazu wollte ich immer beitragen.“5
Ich möchte behaupten, dass die Werke dieser drei Künstler*innen aus dem Westen, Osten und Süden Afrikas nicht nur zu alternativen räumlichen und körperlichen Begegnungen einladen, sondern auch einen Weg zu den afrikanischen Dritten Räumen weisen können. Wie ich bereits an anderer Stelle dargelegt habe, entwickeln afrikanische Künstler*innen, sei es auf dem Kontinent oder in der Diaspora, spekulative kartografische Vorstellungen als Mittel, um sich in postkolonialen Prekaritäten Raum zu verschaffen.6
Nashilongweshipwe Mushaandja ist Performancekünstler und Kulturarbeiter am Owela Live Arts Collective Trust (Windhoek) sowie Dozent für Theaterwissenschaft und Theaterkunst an der University of Namibia.
Übersetzt von Anja Schulte
[1] Ray Oldenburg, The great good place: cafes, coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and other hangouts at the heart of a community. Great Barrington, Massachusetts: Berkshire Publishing Group LLC 2023.
[2] Edward W. Soja, Thirdspace: Journeys to Los Angeles and Other Real-and-Imagined Places. Oxford: Blackwell 1996.
[3] Homi K. Bhabha, Die Verortung der Kultur. Tübingen: Stauffenburg Verlag 2000.
[4] Loini Iizyenda, The Impact of Finnish Missionaries on Traditional Aawambo Dress, in: Intertwined histories – 150 years of Finnish-Namibian Relations, 19. November 2019; https://sites.utu.fi/intertwined-histories/testi2/.