Heft 3/2025 - Artscribe


Ibrahim Mahama – Zilijifa

9. Juli 2025 bis 2. November 2025
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Mounira Zennia


Wien. „It is not credit we seek nor even debt but bad debt which is to say real debt, the debt that cannot be repaid, the debt at a distance, the debt without creditor, the black debt, the queer debt, the criminal debt. Excessive debt, incalculable debt, debt for no reason, debt broken from credit, debt as its own principle.“1 Die Dekonstruktion des Schuld(en)begriffs durch Kulturtheoretiker Stefano Harney und Fred Moten stellt eine Antwort auf jeglichen Versuch dar, die Menschheitsgeschichte, menschliche Beziehungen und ihre Verhandlung, unter dem Aspekt von Schuld und Schulden „einzulösen“. Das Konzept der Schuld wird in ihrem poetischen Text The Undercommons: Fugitive Planning & Black Study nicht nur dekonstruiert, sondern auch auf eine Art und Weise angeeignet, die nur die Kunst zu leisten vermag.
Ibrahim Mahamas Ansatz der Dekonstruktion manifestiert sich nicht allein in der Verwendung von Worten. Mit seiner monumentalen Installation The Physical Impossibility of Debt in the Mind of Something Living, die einen signifikanten Teil des ersten Stockes der Kunsthalle einnimmt, kreiert der in Ghana lebende Künstler eine Konstruktion aus Alltagsgegenständen, sogenannten „headpans“, und den Überresten einer ausgehöhlten Lokomotive, die auf direktem Weg auf das materielle Erbe von Kolonialismus und Industrialisierung in Ghana verweist.
Wie ein Geisterzug steht die mächtige Skulptur inmitten der Halle und balanciert auf etwa 5.000 jener „headpans“, sodass der Eindruck entsteht, der Zug gehe auf Stelzen. Die bunten Schüsseln oder Pfannen, die im Alltag ghanaischer Frauen als Multifunktionswerkzeug zur Ölherstellung, zum Wassertransport oder zum Baden von Kindern dienen, weisen rostige Narben auf, die sie im Laufe der Zeit angesammelt haben – ähnlich wie die Körper der Frauen, mit denen sie täglich gefüllt mit schwerem Gewicht ihre Wege gingen. Mahama hat die Last, die durch das Tragen auf dem Kopf die Wirbelsäule deformiert, ebenfalls in seinem Werk abgebildet. So hat er über 100 vergrößerte Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule tragender Frauen entlang einer ganzen Wand der Kunsthalle ausgestellt. Die Aufnahmen sind in ein Metallgerüst eingefasst, das wiederum dem Zug entnommen wurde. Auf den ersten Blick – was vielleicht absurd klingen mag – rufen diese Assoziationen zu Illustrationen aus der Kraniometrie hervor. Dabei handelt es sich um die Ende des 19. Jahrhunderts eingeführte „Schädelvermessung“, die maßgeblich von rassistischen Ideologien genutzt wurde. Die andere Längsseite der Halle wird von großen Fotografien geschmückt, die arbeitende Frauen und ihre Alltagswerkzeuge zeigen. Ein Video mit dem Titel A Dialogue stellt die Geschichte und Verwendung der „headpans“ in den Mittelpunkt. Es wurde auf Märkten in Accra und Tamale gedreht und enthält eine Reihe kurzer Ausschnitte aus Interviews mit Einheimischen, mit denen Mahama die Pfannen getauscht hat. Unter ihnen sind mehrere Frauen, die als Kayayees (Kopfträgerinnen) arbeiten. Des Weiteren wird ein Film gezeigt, in dem der Künstler Einblicke in den Entstehungsprozess der Ausstellung und sein Schaffen gibt.
In den 1960er-Jahren, kurz nach Ghanas Unabhängigkeit, wurde die Diesellokomotive aus Deutschland eingeführt. Sie fuhr auf Strecken, die einst gebaut worden waren, um Rohstoffe wie Kakao, Kaffee und Mineralien zum Hafen und weiter nach Europa zu bringen. Diese Infrastruktur galt als Fortschritt, bedeutete aber zugleich den systematischen Abfluss natürlicher Reichtümer. In Mahamas Skulptur erscheint die Lokomotive wie ein leeres Gefäß – eine entkernte Metallhülle, die nicht mehr transportiert, sondern von Abwesenheit spricht. Sie wird zur stummen Zeugin eines widersprüchlichen Erbes.
Die monumentale Lokomotive, die auf den Werkzeugen der ghanaischen Frauen lastet, symbolisiert die Materialisierung der Last, die durch den Kolonialismus auf dem heutigen Ghana und dem gesamten Kontinent lastet. Den Besucher*innen wird die Möglichkeit geboten, die Skulptur von allen Seiten zu erfahren, sogar unter ihr zu verweilen. Das Füllen und Beladen von Gefäßen und Behältnissen, das Tragen und Befördern von Dingen und Personen und die Netzwerke, die dadurch entstehen, werden dabei ebenso ausgestellt wie Raum und Zeit als die Prämissen, unter denen Körper und Objekte bewegt und eingegrenzt werden. Doch auch die Beziehung zwischen dem weiblichen Körper und imperialen Technologien, die Schwarze Körper häufig exotisieren, exponieren oder unsichtbar machen, ist hier von Relevanz.
Die Materialisierung von Zeit und Erinnerung sowie die Rückeroberung von Raum sind integrale Bestandteile von Mahamas künstlerischer Praxis. So schickt er nicht nur eine einst in Stuttgart produzierte Diesellok zurück nach Europa, sondern hat auch in Tamale, der Stadt, in der er lebt, ein Kulturzentrum aufgebaut, in dem sich Groß und Klein künstlerisch verwirklichen können. Mahamas Praxis ist jedoch keine Anleitung zur Reparatur oder Wiedergutmachung. Vielmehr verweist sie auf die historische Last, die bis heute auf den ausgebeuteten Kolonien lastet. Der Titel des Werkes, The Impossibility of Debt in the Mind of Something Living, spielt auch auf die Absurdität der immensen Schulden an, die der afrikanische Kontinent kontinuierlich bei der Weltbank anhäuft.
Harney und Moten stellen eine Verbindung zwischen der ökonomischen Schuld und der Gebrochenheit des Subjekts her. Sie sind auch überzeugt, dass bestimmte Schulden in Form von Reparationen beglichen werden sollten, da die weiße Gesellschaft der Schwarzen Bevölkerung weltweit einiges schuldig ist. Und dennoch schreibt Moten: „I also know that what it is that is supposed to be repaired is irreparable. It can’t be repaired. The only thing we can do is tear this shit down completely and build something new.“2 Mahamas künstlerische Praxis ist vielleicht ein Anfang.

 

 

[1] Stefano Harney/Fred Moten, The Undercommons: Fugitive Planning & Black Study. Brooklyn: Minor Compositions 2013, S. 61.
[2] Jack Halberstam, The Wild Beyond: With and for the Undercommons, in: Stefano Harney/Fred Moten, The Undercommons, S. 6.