Heft 4/2025 - Artscribe


John Smith – Being John Smith

12. September 2025 bis 16. November 2025
Secession / Wien

Text: Simon Nagy


Wien. Die Ausstellung Being John Smith von John Smith kreist um dessen neuen Kurzfilm Being John Smith, in dem John Smith darüber spricht, John Smith zu heißen. Er wird um zwei ältere filmische Arbeiten sowie einige Objekte und Fotografien angereichert, die jeweils einzelne Momente des titelgebenden Filmes aufgreifen. In ihm reflektiert der inzwischen 72-jährige Künstler, ausgehend von seinem generischsten aller angloamerikanischen Namen, über seine Familien-, Bildungs- sowie die Geschichte seiner künstlerischen Karriere.
Der Film beginnt mit Smiths Geburt und den Last-Minute-Überlegungen seiner Eltern zu seinem Namen und endet mit einem Handyvideo, das er 2023 bei einem Open-Air-Konzert der Band Pulp aufgenommen hat. Sie spielt ihren Hit Common People, diese Hymne des inzwischen totgentrifizierten proletarischen Pop. Beim Stadionkonzert tanzen 30.000 Menschen zu ihm – etwa so viele, wie es John Smiths in Großbritannien gibt. Sänger Jarvis Cocker, der bei Smith am Saint Martins College studiert hatte, bot seinem ehemaligen Lehrer eine Freikarte an, wodurch dieser Zutritt zum VIP-Teil des schwarzen Soundturms erhielt, den er im Voiceover mit dem Turm aus seinem eigenen Film The Black Tower aus 1987 vergleicht, wodurch dieser wiederum seine Freikarte als Projektion in die Secession-Ausstellung erhält. Dieserart ist die Smith’sche Logik von Assoziation, Verdichtung und Verschiebung beschaffen. Sie geht vom Eigenen, auf den ersten Blick vielleicht unwesentlich Scheinenden aus und kommt in wenigen Schritten ebenso larmoyant wie unterhaltsam zum Großen – in diesem Film vor allem zu Fragen der Klassenherkunft, der Individualität und des kulturellen Kapitals.
Smith ist ein Virtuose des Aufeinanderschichtens von erzählerischen Schichten und enorm sensibel darin, zu entscheiden, wann etwas gezeigt wird, wann etwas gesagt und wann etwas gleichzeitig gezeigt und gesagt. Die Ausstellung erweitert diese Strategien über den Raum der Leinwand hinaus und schreibt das Narrativ in Objektform weiter. Ich bleibe hier aber beim Film Being John Smith, weil seinem Narrativ meine Begeisterung und einem Moment darin mein Unverständnis gilt.
Smith arbeitet oft mit geschriebenem Text im Bild, der nicht Untertitelfunktion hat, sondern das gesprochene Voiceover um eine zweite, der ersten oft widersprechende erzählerische Ebene erweitert. In Being John Smith hält der geschriebene Text nach ein paar Minuten Einzug, in denen Smith vorrangig über seine diversen Spitznamen in Kindheit und Jugend gesprochen hat. Weiße Schrift auf schwarzem Grund buchstabiert: „I’m starting to worry that this film is going to be too conventional, just a voice-over accompanied by illustrative images.“ Diese Selbstzweifel werden auf dem nächsten Slide durch die als landläufig vorgestellte Meinung abgewiegelt, dass die beste Arbeit von Künstler*innen aus ihren jungen Jahren stamme, die es Smith zu schreiben erlaubt, er könne sich mit der Idee anfreunden, seine besten Filme vor seinem 70. Geburtstag produziert zu haben. Womit er sich aber nicht anfreunden könnte, sei die Ansicht, dass Menschen im Alter immer konservativer würden. Im Gegenteil: „I’m driven further to the left every day.“ Am Audiolevel geht es inzwischen weiter um Spitznamen (Big John, Piddly Smith, Pid), auf dem nächsten Slide steht: „Stop the genocide. Ceasefire now.“ Danach wird das Winston-Churchill-Zitat eingeblendet, demzufolge jeder, der unter 30 und kein Liberaler sei, kein Herz habe, und jeder, der über 30 und kein Konservativer sei, kein Hirn. Das Schwarzbild wird dann durch Bilder von Hirnscans abgelöst und Smith beginnt, über seine jüngst erfolgte Hirn-OP zu sprechen. Via Schrift fügt er noch hinzu: „It’s hard to have much enthusiasm for making art when you know that the human race will soon be extinct.“
Was ist hier passiert? Zwischen zwei persönliche Erzählstränge über das Altern – einmal die Unsicherheit über die ästhetische Potenz Ü-70, einmal die Erkrankung des Hirns – pressen sich zwei Slogans. Woher sie kommen, das leitet der Film, abseits von der Selbstverortung des Künstlers als „links“, nicht her. Das Gefühl von unmittelbarer Notwendigkeit ebenso wie das Wissen um dessen Kontext wird vorausgesetzt, um sich darin sogleich unmissverständlich zu positionieren. Das ist zumindest bemerkenswert innerhalb einer Arbeit, die so viel Wert auf Herleitungen, Erklärungen, Vermengungen und dadurch entstehende Uneindeutigkeiten in der Aussage legt.
Es ließe sich sagen, wir wissen doch ohnehin alle, was mit Aussagen wie „Stop the genocide. Ceasefire now“ gemeint sei. Eine Einsicht der letzten zwei Jahre lautet allerdings, dass diese Einigkeit keineswegs gegeben ist. Die Unschärfe der Slogans umfasst enorm viele artikulierte wie leise mitgemeinte, solidarische wie ressentimentgeladene Haltungen zu Geschichte und Gegenwart. Einem Erzählkünstler wie Smith, dessen Arbeit voll vermittlerischem Verve steckt, traue ich zu, seine politische Position herleiten zu können, so wie er auch alle anderen dicht in den Film gepackten Themen herleitet. Auch wenn diese Haltung in der Folge womöglich zu vehementem Widerspruch einlüde – sie würde immerhin diskutierbar werden, statt eine weitere Projektionsfläche für beliebig viele Lesarten darzustellen, die von zugewandt über zweifelnd bis hin zu empört-ablehnend reichen können.
Das Drängen nach Unmittelbarkeit, das sich in dem Moment Bahn bricht, in dem es handfest politisch wird, wird gleichsam kaum länger ausgehalten als ein Finger auf der Herdplatte. Neben den beiden Kürzestsätzen zu Gaza geht es noch kurz um das Massenaussterben der Menschheit, dann verlässt Smith die Ebene des politischen Kommentars wieder. Abmoderiert wird sie vermittels des Churchill-Zitats zur Hirnlosigkeit, das wiederum die Brücke zu Smiths Hirn-OP schlägt. Rhetorisch ist das alles humorvoll verpackt, inhaltlich verbleiben die Gedanken vakuumiert und vermitteln in erster Linie eines: vermeintlich selbsterklärende Dringlichkeit.
Durch diesen Riss in den Schichten narrativer Vermittlung, die Smiths filmische Arbeit ansonsten charakterisieren, bleibt ich nach der Ausstellung vor allem mit einer Frage zurück: Wie könnte ein künstlerisches Projekt zur Herleitung von politischem Dissens aussehen, das sich traut, auf der von Smith sonst so virtuos bespielten Klaviatur formaler Vermittlung zu bleiben, anstatt zum größtmöglichen aller Gongs zu greifen, sobald Politik ins Spiel kommt, über die tatsächlich etwas erzählt werden möchte?