Krems. Regula Dettwillers Installation ist wie ein Paukenschlag, ein Höhepunkt der durchaus informativen Ausstellung Flower Power. Eine Kulturgeschichte der Pflanzen in der Landesgalerie Krems.
Ein Raum voll von Blüten. Minutiös der Realität nachgebildet – aus Plastik oder anderem Kunststoff – schlängeln sie sich als Säulen durch den lichtdurchfluteten Raum, gehalten von Ketten und Haken. Durch die Fülle und Opulenz des Dargebotenen stellt sich ein Gefühl von Überwältigung und Schönheit ein, irritiert von der Schwere des Materials und des Geruchs von Moder. Das in der Natur vergängliche Spiel von Blüten im changierenden Licht erstarrt im Ausstellungsraum bei längerer Betrachtung zum dumpfen, ewig gleichen Ausdruck der Blütensäulen. Schwer fühlt sich das Material an, dann und wann durchzogen von Momenten der Leichtigkeit, die sich bei genauerer Betrachtung der einzelnen Blütenform einstellt. Und trotzdem wandeln die Besucher*innen dazwischen und sind von der Vielfältigkeit der Formen und Farben in den Bann gezogen. Ist ihnen auch die Botschaft bewusst, die Erzählung, die in jeder einzelnen Blüte liegt?
„Die eigene physische Präsenz vor dieser Masse weggeworfener, einmal als Geste der Zuneigung und des Erinnerns auf Gräber gelegten Blumen und der im Raum wahrnehmbare leicht süßliche Geruch sind ein wichtiger Teil (der Präsentation) und schwierig ‚abbildbar‘“, meint die Künstlerin. Werden bei der Betrachtung der Besucher*innen Gedanken der Vergänglichkeit zugelassen? Oder waltet die große Verdrängung auch im Museum?
Vor vier Jahren hat Dettwiler begonnen, für das Projekt Unvergesslich Plastikblumen von den Gräbern auf Friedhöfen, die als Abfall entsorgt wurden, einzusammeln. In der Installation versammeln sich 25.000 dieser Objekte, welche von Dettwiler mithilfe von Freundinnen und ihrem Partner in eine drei Kilometer lange Schlangenlinie verbunden wurden. Der an der Konzeptkunst geschulten Künstlerin gelingt der Umgang mit dieser Masse an Material (und mit dem Einsatz von Lastenträgern, mit Haken und Ketten, wie sie im Schlachthof verwendet werden, als Befestigung – hier ist nur eine hübschere Variante, die Kettendosen sind in bunten Farben gehalten) eine überzeugende Raumkonstruktion inklusive des olfaktorischen Ausdrucks. Doch das ist nur eine Facette der künstlerischen Arbeit der bei Bruno Gironcoli ausgebildeten Bildhauerin. Dettwiler hatte sich zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit mit der Widerlegung der gängigen Klischees im Kunstbetrieb auseinanderzusetzen: „Weiblich und Blumen“, eine brisante Kombination, die nicht unbedingt einer Karriere als anerkannten Künstlerin zuträglich war.
Seit fast 30 Jahren erschafft Regula Dettwiler eine „ökologische Kunst ohne grüne Dogmen“, aber durchaus mit feministischen und sozialkritischen Ansätzen. Das „situierte Wissen“ (Donna Haraway) um die Entstehung dieser den Weltmarkt umspannenden Objekte wirft viele Fragen auf hinsichtlich der Abfallwirtschaft, der globalen Arbeits- und Handelsbedingungen (mittlerweile auch erzeugt ohne Arbeitskräfte durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz), Ausbeutung (die Geschicklichkeit von Frauen- und Kinderhänden werden für die Montage der Kleinstteile wie zum Beispiel von Blütenperlen gebraucht). Das Material Plastik, einer der größten Verursacher der Klimakrise und von Atemwegserkrankungen (Mikroplastikteilchen) hat längst seine Unschuld verloren. Diese Themen scheinen bei Dettwiler nicht vordergründig im Fokus der Sichtbarkeit, sind aber das Movens für die Konzeption ihrer Arbeiten.
Das Cyborg Manifest (1985) war eine taugliche Ressource für Generationen von Künstler*innen, über die Komplexität der Welt nachzudenken. „Natur und Kultur werden neu definiert. Die eine stellt nicht mehr die Ressource für die Aneignung und Einverleibung durch die andere dar. Die Verhältnisse, auf denen die Integration von Teilen in ein Ganzes beruht, einschließlich solcher der Polarität und hierarchischen Herrschaft, sind im Cyborg-Universum infrage gestellt.“ Haraways Gedanken oder Ansätze lassen sich durchgehend in Dettwilers künstlerischem Œuvre vorfinden, im komplexen Spiel zwischen dem Natürlichen und Artifiziellen mit dessen scheinbaren Widersprüchen. Bei einem Artist-in-Residence-Aufenthalt in Montreal hat die Künstlerin in den sich dort oft unter den Straßen befindenden Einkaufszentren mehr als 200 verschiedene künstliche Orchideen ausfindig machen können. In ihren aquarellierten Bildentwürfen sezierte sie diese Artefakte in einzelne Teile und ordnet diese nach dem dominanten System der Pflanzenkategorisierung, versehen mit dem Stempel der Herkunft „Made in China“ oder „Made in Singapur“.
Derart stellt die Künstlerin Fragen danach, wie das Leben vom Objekt zur Wissenschaft werden kann, und prüft, ob das vorgefundene Regelwerk, die Einordnung der Lebewesen auch auf das Artifizielle in systematische Kategorien in einer im Wandel befindlichen Welt noch standhält.
Im Herbarium der Gefühle erfolgte ein Aufruf der Künstlerin an die Bevölkerung rund um Krems, gepresste oder getrocknete Pflanzen für die Dauer der Ausstellung zur Verfügung zu stellen und ihr den Hintergrund von deren Erwerb zu erzählen. Dettwiler bringt dann – mit wissenschaftlicher Akribie – die Blumen am Blatt an und kategorisiert die Gefühle und Bedeutungen, die diese bei den Sammler*innen ausgelöst haben. Sie übernimmt das Instrumentarium der Taxonomie für die Darstellung und Einordnung der Pflanzen im Archiv der Gefühle.
Im poetischen Dialog über Vergänglichkeit überschreitet Dettwiler das Wissen als Kulturphänomen, vom Lebendigen zum Artifiziellen, vom Vitalen zum Sozialen. Sie setzt ihre Akzente auf Widerspruch und Irrtum anstatt auf zeitlose Wahrheiten.