Heft 1/1999 - Netzteil


BGDirect - Live aus Belgrad

Über Radio B92, den Internetprovider OpenNet und das Kulturzentrum Cinema Rex

Katarina Zivanovic


»Die Sache mit B92 ist klar: Die Technologie ist ein wirkungsvolles Werkzeug, das nicht mehr länger den Eliten vorbehalten ist.«
(Bob Schmitt, The Washinton Post, 31. März 1997)

»Das Internet schien als Kraft der Demokratisierung eine wesentliche Rolle zu spielen.«
(Bruno Giussani, The New York Times, 8. September 1998)

»Es dauert seine Zeit«, sagt Veran Matic, Chefredakteur von B92. »Man muß die Freiheit erst lehren, bevor man JournalistInnen davon überzeugen kann, daß sie die Ideen und Anliegen anderer Leute nicht unbedingt unterstützen müssen. Im übrigen«, fährt er fort, »sind wir selbst nicht absolut unabhängig. Wir müssen versuchen, uns vor unseren eigenen politischen Neigungen zu schützen.«
(Richard Reeves, The Baltimore Sun, 14. Oktober 1997)

Alles begann, als Milosevic die Ausstrahlung von Radio B92 verbieten ließ. Die Radiostation - der einzige unabhängige Sender in Belgrad - berichtete gerade über die sich mehrenden Straßendemonstrationen, die auf die Annulierung des Wahlsieges der Oppositionspartei im Zuge der Lokalwahlen 1996 folgten. Am 3. Dezember zog die Regierung B92 den Stecker - konnte jedoch nicht verhindern, daß es weiterhin die Nachrichten über die Revolte verbreitete.

Radio B92 war von Anfang an eine ungewöhnliche Radiostation. Ein lokaler Sender mit dem Wunsch, weltweit gleichgesinnte Medien zu unterstützen. Es wurde bekannt als »Radiobewegung«, die ihre HörerInnen in einer Reihe von Aktionen auf die Straße brachte. Eine Folge davon war die Gründung einer Dachorganisation unter dem Namen »B92«. Die Redaktionspolitik von B92 basiert auf der Verbreitung der Werte der UNO- Menschenrechtserklärung. Seine strikte und konsequente Anti-Kriegshaltung sowie die Forderung nach Demokratie und freien, unabhängigen Medien brachten es auf Kollisionskurs mit der serbischen und jugoslawischen Regierung sowie einigen Oppositionsmitgliedern. Die Ausstrahlung von Radio B92 wurde zweimal verboten - 1991 und 1996. Heute, nach neuneinhalb Jahren des Existenzkampfes hat sich B92 zwar eine temporäre Lizenz gesichert, die es in die Lage versetzt, einen eigenen Transmitter zu installieren, aber das gibt ihm immer noch keinen Schutz vor willkürlichen, politischen Attacken gegen den freien Informationsfluß.

B92 setzt sich aus der gleichnamigen Radiostation, einer Verlagsabteilung, TV- und Filmproduktion, Musikproduktion, Open Net - Jugoslawiens alternativem Internet-Anbieter - und dem Kulturzentrum Cinema Rex zusammen. Darüber hinaus ist es Gründungsmitglied der »Association of Independent Electronic Media in Yugoslavia« (ANEM). Das Radioprogramm basiert auf einer Mischung aus Musik und Nachrichten sowie einer konsequenten und kompromißlosen Redaktionspolitik, praktiziert von einem Team, das sich weigerte, grundlegende Veränderungen in seiner Haltung oder interne Brüche zuzulassen, die oft der Hauptgrund für die Auflösung und Fragmentierung der Medien in Jugoslawien sind.

Über die letzten fünf Jahre hat sich Radio B92 zu einem der dynamischesten jugoslawischen Publikationsorgane entwickelt, indem es seine Aktivitäten in zwei Richtungen lenkte: Informieren der Öffentlichkeit über alle Aspekte der jugoslawischen Tragödie und Eröffnen eines Forums für die Untersuchung der aktuellen Ereignisse und der Regierungspolitik auf nationaler und internationaler Ebene - aber auch der eigenen Rolle in diesem Kontext. Zur gleichen Zeit etablierte die »Expatriate«-Buchreihe fortwährende Verbindungen mit AutorInnen und Intellektuellen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien, die nun in der ganzen Welt verstreut leben. B92 lancierte auch ein einzigartiges Magazin für Frauenkultur und -literatur, »ProFemina«, ebenso wie die wichtigste Literaturzeitschrift des Landes, »Rec«. Daneben ist es auch an »Rominterpres« beteiligt, einer Gesellschaft, die Roma-Zeitschriften und Bücher veröffentlicht.

ANEM und OpenNet

Das ANEM-Netzwerk besteht aus 33 Radio- und 18 Fernsehstationen und deckt ungefähr 70% des jugoslawischen Staatsgebietes ab. Dieser Aufbau war der wichtigste und weitreichendste Fortschritt, der innerhalb der Demokratiebestrebung in dieser Region erzielt wurde. Somit läßt sich ohne Widerspruch sagen, daß ANEM erfolgreich das ehemalige Informationsmonopol des Staates gebrochen hat, besonders im Bereich der elektronischen Medien. Wichtig ist auch, daß ANEM auf technischer Innovation aufbaut und zur Gänze in den Köpfen junger Radiofachleute entstanden ist. Die von ANEM praktizierte Kombination aus Internet- und Satellitenübertragung existierte bislang nicht in Europa, und das staatliche Verbot wurde dadurch umgangen, daß die bestehenden Grundverstärker genutzt und ein Raum für noch weiter ausgedehnte Satellitenübertragung geschaffen wurde.

OpenNet ist der erste legale Internet-Anbieter in Jugoslawien. Mit der Unterstützung des »Fund for an Open Society« bietet es NGOs, unabhängigen Medien, Universitäten und StudentInnen den Zugang zum Internet und initiierte im Laufe der Jahre viele experimentelle Netzprojekte. Diese enthalten RealAudio- und RealVideo-Nachrichtensendungen, Wahlberichterstattung in Serbien, Montenegro und der Republik Srpska ebenso wie tägliche Nachrichtendienste in Englisch und Serbisch. Auch Radio B92 begann nach der Medienblockade der Regierung 1996 über das Netz zu senden und schickt seither täglich 24 Studen lang RealVideo-Nachrichten über dieses Medium. Diese Verbreitung von Nachrichten stellt eine unschätzbare Unterstützung für den NGO-Sektor, andere unabhängige Medien und demokratische Initiativen dar, deren Aktivitäten aufgrund des negativen Images des Landes auf internationaler Ebene bislang meist unbekannt waren.

»Die Erfahrungen, die B92 und ANEM im Kampf gegen die Zensur gesammelt haben, definierten das Word 'virtuell' im sozialen Kontext neu. B92 und seine HörerInnen sowie OpenNet und seine NutzerInnen waren einst virtuelle Gemeinschaften innerhalb einer feindlichen Umgebung. Aber durch die einfallsreiche Nutzung von Internet und Satellitentechnologie gelang es B92, Reichweite und Einfluß der verbreiteten Informationen zu vergrößern. Von einem kleinen, lokalen Radio mit großem Einfluß entwickelte sich B92 zu einem global zugänglichen Medienverteiler. Andererseits hatten die Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes keinen unmittelbar destruktiven Effekt auf das Radio, sondern verwandelten die Feindseligkeit des Regimes in virtuelle Agression.« (Drazen Pantic, FR Jugoslawien, 4./5. Dezember 1998)

Cinema Rex und cybeRex

Der Fokus eines Ortes wie Cinema Rex liegt darauf, Möglichkeiten kultureller Praxis dort anzubieten, wo große Institutionen dies nicht können oder wollen. In diesem Sinne kann man sagen, daß Rex eine Alternative darstellt und Avantgardepositionen fördert. Aber diese Einstellung sollte nicht als etwas Exklusives verstanden werden, sondern als Position, die neue Felder der künstlerischen und kulturellen Szene erforscht. Jede kulturelle Infrastruktur einer Stadt braucht Freiräume - Labors, in denen Experimente und Forschung durchgeführt werden. Rex baut auf diesen Prinzipien auf und versucht »fremde« Erfahrungen einzubringen, indem es mit ähnlichen Zentren im Ausland zusammenarbeitet. Als Haus für Kultur, Kunst und Bürgerinitiativen bezieht Rex aktiv in der aktuellen sozialen und politischen Situation Stellung.

cybeRex schließlich ist ein offenes, neues Medienlabor, das die Grenzen von Internet, Multimedia und digitalem Video auszudehnen versucht. Außerdem bietet es technische und logistische Unterstützung für KünstlerInnen, Kunstgruppen und interessierte Einzelpersonen - in Sachen Bildung, Forschung und Produktion. cybeRex kooperiert mit ähnlichen lokalen und internationalen Zentren sowie Nicht-Regierungs-Organisationen und ermöglicht als aktives Studio für Neue Medien auch intensivere Kontakte zwischen KünstlerInnen und TheoretikerInnen.

 

Übersetzt von Vera Tollmann