Heft 1/1999


Translocation

Editorial


Beispiele internationaler Vernetzungsprojekte sowie lokaler Organisationsformen, gerahmt von theoretischen Fragestellungen über neue Formen von Öffentlichkeit


»translocation_new media/art« lautet der Titel einer Projektreihe, welche springerin in Zusammenarbeit mit den Kunstzeitschriften detail (Prag) und Magazyn Sztuki (Danzig/Warschau) initiiert hat. Im Herbst 1998 wurde zu diesem Zweck ein transnationaler Verbund aus verschiedenen Institutionen in verschiedenen Städten (Wien, Prag, Warschau, Bozen, Nürnberg, Leipzig) ins Leben gerufen. In lokal programmierten Veranstaltungen widmeten sich die einzelnen Knoten dieses Verbundes Fragen der Neuen Medien(kunst), der Überwindung alter und Entstehung neuer ideologischer wie sozialer Grenzen, und dies vor allem in bezug auf den ehemaligen »Ostblock«. Das vorliegende Heft gilt fast ausschließlich dem Wiener Knoten des Gesamtprojektnetzes: Dieser setzte sich aus der Ausstellung »translocation (new) media/art« (Generali Foundation, 26. Jänner bis 11. April 1999), einem begleitenden Symposion (29. bis 30. Jänner 1999) sowie der Einrichtung der Internetseite http://www.translocation.at zusammen und findet sich in den Beiträgen dieses Heftes auf vielfältige Weise repräsentiert.

»Translozierung« oder »Translokation« - welches Bündel an Bedeutungen führt dieser Begriff mit sich, daß er sich so gut für die Beschreibung heutiger kultureller Prozesse und Bedingungen eignet? Zunächst, um hier einige Antwortmöglichkeiten zu skizzieren, könnte Translozierung auf der Ebene des Subjektiven meinen, daß die Beziehungen zu anderen Subjekten, zu Orten, zu identitätsstiftenden medialen Produkten allesamt nicht mehr auf lokale geografische Kontexte einschränkbar sind. Zumindest trifft dies verstärkt auf jene zu, die genug materielle und ideelle Freiheit besitzen, um die Welt auf Knopfdruck oder Mausklick abzurufen. Translokation verweist also unweigerlich auf die Ebene des Medialen: Die sogenannten Informations- und Kommunikationstechnologien - so man Zugang und Kompetenz genug besitzt, um sie zu nutzen - erleichtern in zunehmendem Ausmaß den Zugriff auf Inhalte und Szenarien jenseits des je eigenen, unmittelbaren Umfeldes. Aber welche konkreten Versprechungen bietet dieser Zugang zu mehr und mehr Information ? etwa wenn es darum geht, einen neuen, nicht mehr kolonialen Blick auf »kulturelle Andersheiten« zu werfen? Läßt sich diese Entkolonialisierung ebenso leicht über Medienbilder generieren wie ihr omnipräsentes Gegenteil - etwa Bevormundung, Diffamierung und Marginalisierung?

Damit ist implizit schon eine dritte Ebene von Translokation angesprochen, nämlich das Brüchig-Werden von lokalen Kontexten. Gerade das immer globalere Gefüge heutiger Kulturzusammenhänge macht es zunehmend schwerer, die jeweils ortsspezifische Komponente kultureller Arbeit und Identitätsausprägung klar abzugrenzen. Mehr als von lokalen »Zugehörigkeiten« muß man heute von »gelebten Geografien« ausgehen - Geografien, die sich oft quer über verschiedene Kontinente ziehen und von höchst kontingent verlaufenden Routen zusammengehalten werden. Von hier aus läßt sich eine weitere, nämlich soziale Dimension von Translozierungen ansprechen: Freiwillig oder unfreiwillig mobilisierte Subjekte treffen in immer stärkerem Ausmaß auf bewegte Bilder (Arjun Appadurai), werden von diesen Bildern »aufgesogen« oder aber in ein mediales Abseits gedrängt, aus dem - wie im Fall des »Ostens« - kein einfacher emanzipatorischer Weg zurückführt (vgl. Marina Grzinic). Das Problem von medial erzeugter sozialer Zugehörigkeit wirft gerade im Zusammenhang von Migration, Fremdenhaß und verschärften Ausschlußverfahren Fragen auf, die ganz zentral die Begriffe von Öffentlichkeit und Gemeinschaft betreffen: Öffentlichkeiten scheinen selbst immer mehr zu fragilen und oft mobilen Gefügen zu werden; Gemeinschaften lösen sich tendenziell in virtuelle Medienzusammenhänge und oft auch in nicht viel mehr als die negativen Zerrbilder ihrer nationalen Einbettungen auf, die von neuen Oppositionen durchzogen sind (vgl. Hito Steyerl).

Auf Europa bezogen, heißt Translokation schließlich noch etwas ganz anderes: Hier scheinen - insbesondere seit dem Fall des Eisernen Vorhanges 1989 - die alten Binarismen von Westen versus Osten, Kapitalismus versus Sozialismus, Medienliberalismus versus staatlicher Informationspolitik nicht länger zu greifen. Trotzdem kann von einer »Öffnung«, gerade auch in Österreich, noch lange keine Rede sein. Deshalb drängt sich die Frage auf, welche neuen Grenzziehungen und Machtstrukturen sich in den letzten zehn Jahren anstelle des alten binaristischen Modells entwickelt haben (vgl. Igor Markovic und Edi Muka). Darüber hinaus sehen sich kulturtheoretische Ansätze heute allgemein mit dem Problem konfrontiert, welche Formen von politischer Subjektivität sich im Gefolge der immer stärkeren medialen Vernetzung ausbilden und welche Rückwirkungen dies auf künstlerische Selbstverständnisse hat, die nicht auf lokale oder nationale Zugehörigkeiten angewiesen sein wollen. Im Gegenzug heißt dies, nach der genaueren Konsistenz von »diasporischen«, gewissermaßen migrierenden Imaginationswelten zu fragen (vgl. Lisa Haskel) oder aber die Verknüpfbarkeit geografisch und historisch entlegener Momente selbst zum Inhalt künstlerischer Praxis zu machen (vgl. Renée Green).

Hier kommen weitere Ansätze zur Medienkunst ins Spiel, die hinsichtlich der verwendeten Technologien beziehungsweise deren »ortsübergreifenden« Parametern zentrale Aspekte der Gegenwartskunst thematisieren: die Neuformulierung alter Avantgardeansprüche (vgl. Ryszard Kluszczynski), das Brüchig-Werden von Ortsbezügen, die Auflösung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie, die Überwindung nationaler Zuschreibungen und internationaler Projektionen (vgl. Katrin Kivimaa). Schließlich soll der Blick auf einzelne Medienkunstszenen des ehemaligen »Ostens« - etwa Zagreb, Sofia, Lódz - erschließen helfen, wie das Wechselspiel von ökonomischer Benachteiligung, ideologischer Durchlässigkeit und politischer Instabilität die Entwicklung dieser Szenen mitbestimmt. Und wie diese Szenen immer schon partiell in einem translokalen Imaginationsraum angesiedelt waren.

Zuletzt zeigt sich das brüchige Lokale auch in einer Reihe von aktivistischen Projekten, die die ehemalige politische Abschirmung nachhaltig zu durchlöchern begonnen haben. Nicht zuletzt auf dem Weg neuer Medientechnologien, welche oft weite, translokale Umwege nehmen müssen, um die Weltöffentlichkeit - aber auch die eigene Nachbarschaft - zu erreichen (vgl. Katarina Zivanovic, Vesna Manojlovic). Dies gilt zuletzt auch für den Anspruch des Projekts »Translocation«, Überschneidungen und Reflexe zwischen verschiedenen kulturellen Sphären aufzuzeigen, Austauschbeziehungen in Gang zu setzen, ohne diese aber auktorial steuern zu wollen. Auch diesen Überschneidungen und Beziehungen ist ein Schwerpunkt dieses Heftes gewidmet.