Heft 1/1999 - Translocation


Kunst der Medien, Medialisierung der Kunst

Über metaphorische und ironische Aspekte der neueren Medienkunst

Ryszard W. Kluszczynski


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Kunst ist immer Produkt und Reaktion; sie entsteht aus der Herausforderung, die ihr soziales und technologisches Umfeld an sie stellt. Der Zustand der Kultur hat große Auswirkungen auf das Bewußtsein, das die Grundlage künstlerischer Tätigkeit bildet, weil wir ständig durch unsere eigenen Erfindungen verändert werden. Dieser Prozeß der Veränderung schafft auch eine neue, erweiterte Umwelt für die Menschen, in der die Biosphäre durch die Technosphäre ergänzt wird. Heute sehen wir uns mit der enormen Entwicklung der Digital-, Informations- und Kommunikationstechnologie konfrontiert. Zusammen mit zahlreichen Phänomenen, die aus Aktivitäten in der Bio-Technosphäre entstehen, bauen diese Technologien ein komplexes Gefüge auf, das man als Cyberkultur bezeichnen kann. In diesem Kontext hat die Kunst eine wichtige kritische Rolle zu spielen. Besonders die (Multi-)Medienkunst kann als Versuchslabor dienen, und zwar nicht nur für die neuen Technologien, sondern auch und in erster Linie für die Untersuchung der neuen sozialen Beziehungen, die durch diese Technologien geschaffen oder gefördert werden. Medien- und Multimedia-Informations- und Kommunikationstechnologien bringen neue Probleme, Fragestellungen und Bedrohungen mit sich. Viele künstlerische Ansätze untersuchen dieses neu entstehende Feld, das in jüngster Zeit gerne als »postbiologisches Syndrom« bezeichnet wurde (vgl. Ascott 1997), was heißt, daß KünstlerInnen Medientechnologien nicht nur anwenden, sondern auch erforschen. In diesem Sinn könnte man die neue (Multi-)Medienkunst – zumindest teilweise – als so etwas wie die Nachfolge der Avantgarde-Bewegung betrachten; allerdings müßten wir uns zunächst darauf einigen, daß die Avantgarde weiterhin existiert. Heute sind jedoch nur wenige bereit, sich diesem Gedanken anzuschließen. Aber darauf werde ich im Verlauf dieses Textes noch zurückkommen.

Da die Medientechnologien in erster Linie Kommunikationsmittel sind, führt die Reflexion über das Medium auf natürliche Weise zu einer Reflexion über Prozesse der gesellschaftlichen Kommunikation und die neuen Gemeinschaften, die auf diesen Prozessen basieren. KünstlerInnen verleihen ihren Zweifeln und Ängsten Ausdruck: Sie fragen nach den Auswirkungen der Medientechnologien auf die gesellschaftliche Kommunikation, auf Rollen und Identitäten; sie fragen auch nach den Folgen der Entwicklung virtueller Welten. Ihre Arbeiten überwinden die verbreitete Angst vor der technologisierten Welt und befragen gleichzeitig die Utopie des elektronischen Paradieses.

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Das Jahrhundert, das mit der emanzipatorischen Rebellion der Avantgarde eine Blütezeit erlebte, endet in einem Wust von Anschuldigungen des Nihilismus, der axiologischen Dekonstruktion und der Linkslastigkeit. Viele derer, die heute die avantgardistischen Utopien kritisieren, setzen sie mit politischer Revolte gleich und siedeln sie im Rahmen der proletarischen Internationale an. So wird nicht nur der uneigennützige – und formal oft naive – Protest von KünstlerInnen gegen die unvollkommene Struktur der Gesellschaft voreilig abgetan und durch Verlagerung in einen ausschließlich politischen Kontext in ein falsches Licht gerückt, sondern auch das Programm der Avantgarde in ihrer Gesamtheit übertrieben simplifiziert.1 Die metaphorischen Programmatiken der Avantgarde bezogen sich auf viel mehr als nur politische Ideologie. Die Avantgarde als Metapher ist ein Problem, das bisher noch nicht einmal formuliert, geschweige denn gelöst wurde. Und es wird wahrscheinlich auch nicht zu lösen sein, da die großen Metaphern der Avantgarde – wie alle großen Erzählungen – aus Gründen in Frage gestellt wurden, die nicht nur politisch, sondern viel grundlegender, also methodologisch und ideologisch sind. Verschiedene Strömungen der Avantgarde, sowohl die ältesten – die sogenannte »große Zeit der Avantgarde« – , denen das klassische Paradigma der Bewegung zu verdanken ist, als auch die jüngere, unorthodoxe Neo-Avantgarde, verwendeten metaphorische Diskurse, die von AvantgardekünstlerInnen geschaffen oder für ihre Zwecke eingesetzt wurden.

Mit dem Ausdruck »metaphorisch« meine ich nicht nur die formale und semantische Dimension dieser Diskurse, das heißt, die Tatsache, daß sie als Kommunikationsstrategien aufgefaßt werden können, welche sich der mehrfachen Kodierung – also eines metaphorischen Modus – bedienen und zur Schaffung künstlerischer, poetischer Strukturen führen. Zu allererst sind diese Diskurse für mich Versuche, eine subjektive Aussage über irgendeine Form der Wirklichkeit zu formulieren. Eine solche Aussage strukturiert die Welt rund um die implizite Verknüpfung der über sie getroffenen Annahmen. Diese Annahmen können als Verweis auf reale, objektive und »wahre« Eigenschaften der dargestellten Wirklichkeit verstanden oder bescheiden als Ergebnis eines Konstruktionsprozesses behandelt werden. In beiden Fällen beleuchtet die Aussage jedoch nicht nur das sprechende Subjekt, sondern enthüllt auch die Autorität des Systems, auf das sich die SprecherInnen bewußt oder implizit beziehen. Diese Annahmen können sogar ein System bilden, das die Öffentlichkeit zu befreien sucht, oder einer Epiphanie, Offenbarung oder Prophetie gleichkommt.

Die gesamte Geschichte der Avantgarde hindurch entwickelte sich neben den sinnstiftenden, metaphorischen Diskursen eine Reihe von anderen Diskursen, die ich als ironisch bezeichnen möchte. Angefangen vom Dadaismus über Fluxus und Teile des Situationismus bis zur neoavantgardistischen Bewegung des Dekonstruktivismus gab es immer wieder Trends, die sich negativer Kommunikationsstrategien bedienten. Sie verzerrten, negierten und dekonstruierten die von der Avantgarde aus der Kunst des 19. Jahrhunderts geerbten metaphorischen Diskurse, die der enthüllenden Kraft des künstlerischen Schaffens optimistisch gegenüberstanden, und ersetzten sie durch die Poetik der Ironie, des Skandals und der Destruktion. In vielen Fällen war dieser Prozeß die Folge und der Ausdruck von Desillusionierung und Verlust des Glaubens. Die Suche nach Bedeutung wurde jedoch nicht aufgegeben, denn der fehlende Glaube wurde durch einen verstärkten Wunsch nach Sinnstiftung ausgeglichen.

Zwischen den Polen der Metapher, die Verantwortung und Glauben an Einheit, Sinn und Ordnung widerspiegelt, und der ikonoklastischen und clownesken Ironie liegt das Territorium der Avantgarde – ein Gebiet voller Hoffnung und unerfüllter Wünsche. Die heutige Zeit gilt allgemein als Negierung der Avantgarde.2 Sie ist durch eine Aversion gegen Aussagen gekennzeichnet, die die Wirklichkeit objektiv beurteilen, durch Intertextualität statt Subjektivität und Interaktion statt kommunikativer Übertragungsverfahren – diese Eigenschaften grenzen die heutige Kunst von den Utopien der Avantgarde ab. Wir erleben auch eine wesentliche Verschiebung in der Bedeutung von Metapher und Ironie: Erstere vermischt sich mit der zweiten, beide werden zu Elementen und Eigenschaften des Spiels.

Das Spiel, das nun die vorherrschende künstlerische Strategie darstellt, ist eng mit Cyberkultur und Multimedia-Kunst verflochten. Aus der Cyberkultur entspringen wiederum zahlreiche postmoderne Strömungen, die Spiritus movens und Grundlage jener Prozesse sind, welche die zeitgenössische Kultur verändern (vgl. Foster 1995; Kluszczynski 1996). In diesem Rahmen wird die Metapher zum Symbol der Regression und die Ironie zur Quelle von Bedeutungen. Um sie oder unter Bezugnahme auf sie sind zwei verschiedene Formen der Kunst entstanden, die mit Medientechnologie zu tun haben. Die eine – die sich auf die Ironie bezieht – möchte ich Kunst der Medien nennen, die andere – metaphorische – medialisierte Kunst.

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Die Kunst der Medien entstand als Ergebnis der Auswirkungen der neuen Technologie auf die Kunst – etwa in den Arbeiten von Jeffrey Shaw, Miroslav Rogala, Agnes Hegedüs oder Christa Sommerer und Laurent Mignonneau. Die Kunst ist zu einer Art Test für die kreativen Möglichkeiten der Technologie geworden. Gleichzeitig untersucht die Kunst der Medien die eigenen Möglichkeiten und Eigenschaften und drückt Gedanken und Formen durch den Filter der Technologie aus – so entsteht technologische Kunst.

Die Medialisierung der Kunst hat andere Gründe und Ursprünge. Zunächst entwickelte sie sich aus der konservativen Haltung der Museen, Akademien und anderen Kunstinstitutionen – oder allgemeiner gesagt, des Kunstestablishments. Solange der Gedanke der Avantgarde, der Alternative, für die KünstlerInnen attraktiv war, konnten sie die Geringschätzung der Medienkunst als Ablehnung radikaler Kunsttendenzen durch das traditionelle Kunstestablishment betrachten und mit der Arbeit im Underground zufrieden sein. Während der letzten beiden Jahrzehnte konnten wir jedoch miterleben, wie der Underground an Wert einbüßte und die radikalen avantgardistischen Aktivitäten von dort in die allgemeine Kunstszene transloziert wurden. Nach Warhol blieb kein Stein auf dem anderen. Viele KünstlerInnen beschlossen, das Ghetto des Underground zu verlassen und in der großen, weiten Welt um ihre Anerkennung zu kämpfen. Im Underground bleibt bloß, wer muß, nicht wer dort bleiben will. Experimentelle Avantgardefilm- und Videokunst scheinen die einzigen Undergroundbereiche zu bleiben.

Ein weiterer Grund für die Entwicklung des Prozesses der Medialisierung liegt im Gedanken des Fortschritts der technologisch geprägten Kunst. Es gibt TheoretikerInnen, die die Medienkunst nur als Periode in der Geschichte der technologischen Kunst betrachten. Im Zeitalter der Hypermedien sind sie der Meinung, daß die Medienkunst veraltet und wertlos wird. Die KünstlerInnen, die sich nach wie vor der Medien als Ausdrucksmittel bedienen, betrachten ihr eigenes Gebiet oft als (medialisierte) Kunst – und nicht als Medienkunst.

Während man die Medienkunst als Prozeß der Transformation von Medienattributen in künstlerische Eigenschaften auffassen könnte, scheint die Medialisierung der Kunst eine Erweiterung und Umgestaltung des künstlerischen Feldes, seiner Qualitäten, Konventionen und Ausdrucksmittel zu sein. Medienkunst bezieht sich auf die Zukunft und beschleunigt die soziale Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft und postbiologischen Welt. Medialisierte Kunst verzögert diesen Prozeß und verleiht ihm mehr Humanismus. Sie bezieht sich auf die historischen Formen der Kunst und versucht, Vergangenheit und Zukunft zusammenzubringen.

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Die zeitgenössische Kultur macht uns tendenziell zu NomadInnen. Transgression, Veränderlichkeit, Komplexität und Vergänglichkeit werden für die Identität des heutigen Menschen charakteristisch. Sie befreien und entfremden uns gleichzeitig. Um es mit McKenzie Wark zu sagen, haben wir keine Wurzeln mehr, sondern Antennen (vgl. Wark 1995). Entwurzelt zu sein bedeutet, einen Bruch mit der Vergangenheit vollzogen und deshalb keine Vergangenheit zu haben und das Erinnern zu sabotieren. Metaphorische künstlerische Diskurse finden in einer Wirklichkeit, die in der Vergangenheit verankert ist, fruchtbaren Boden. In einer virtuellen Welt ohne Vergangenheit, die ausschließlich auf die Zukunft gerichtet ist, evozieren metaphorische künstlerische Diskurse nur Nostalgie, die der Emanzipation und anderen zukunftsorientierten Handlungen nicht förderlich ist. Wer sich unter uns in Richtung Zukunft orientiert, vermeidet die Nostalgie, indem er/sie die metaphorischen Diskurse gegen ironische tauscht. Dieser Ansatz schafft heute auch Situationen, in denen die wenigen metaphorischen Strukturen in der (Multi-)Medienkunst beim Publikum auf ironische Weise rezipiert werden. Die Symmetrie der Reaktionen fehlt hier, auch wenn die Symmetrie der Wünsche sehr wohl existiert. Wir haben nicht vergessen, daß die Metapher eine grundlegende Kategorie war, eine Strategie, die der Welt Sinn verlieh, und dabei zu allererst den dazugehörigen menschlichen Beziehungen. Deshalb läßt der ironische Diskurs der KünstlerInnen einen metaphorischen Diskurs bei den RezipientInnen entstehen.

Das Hypertext-Labyrinth nimmt Bedeutungen an, deren Referenzen von Metaphern bestimmt werden. Künstlerische Erfahrungen unterliegen Zwängen und Festlegungen, die von der Geografie der neuen postbiologischen Welt ausgehen, eingegrenzt durch das Gegensatzpaar Realität/Virtualität. Ich gebe zu, das Gebiet wird immer noch von den Begriffen Metapher und Ironie bestimmt, aber ihr Verhältnis ist nun umgekehrt. Die künstlerische Ironie steht zwar immer noch am Scheideweg zwischen Nostalgie und schöpferischer Leistung, sie schafft aber kreative Möglichkeiten, die die Welt verändern könnten.

 

Übersetzt von Elisabeth Frank-Großebner

 

1 Die Biografien und das Leben einzelner KünstlerInnen können nicht zu verallgemeinernden Aussagen über die gesamte Bewegung der Avantgarde herangezogen werden; bestenfalls lassen sich damit bestimmte Spielarten, Gruppen oder Tendenzen erklären. Wenn wir die unvermeidliche Simplifizierung akzeptieren, die aus der folgenden Aussage resultiert, dann ist die Ideologie, welche dem Geist der Avantgarde am ehesten verwandt ist, die Anarchie.

2 Diese Meinung scheint jedoch nicht richtig zu sein. Die Situation ebenso wie die soziale und künstlerische Position der Avantgarde ist heute sehr kompliziert geworden, was aber noch lange nicht heißt, daß die Avantgarde tot ist.

Bibliografie

Roy Ascott: (Hrsg.): Consciousness Reframed: Art and Consciousness in the Post-Biological Era. Conference Proceedings. University of Wales College. Newport 1997.

Mark Foster: Postmodern Virtualities. In: M. Featherstone und R. Burrows (Hrsg.): Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk. Cultures of Technological Embodiment. London 1995.

Derrick de Kerckhove: The Skin of Culture. Toronto, Ontario 1995.

Ryszard W. Kluszczynski: Modernity – Postmodernity – Deconstruction. Reflections About Cyberculture. In: Art Magazine, Nr. 1 (1996).

McKenzie Wark: On the Information Myth. In: K. Gsöllpointer (Hrsg.): Welcome to the Wired World. @rs Electronica 1995. Wien, New York 1995.