Heft 1/1999 - Artscribe


Fever: The Art of David Wojnarowicz

21. Januar 1999 bis 20. Juni 1999
New Museum of Contemporary Art / New York

Text: Gerald Echterhoff


Die erste Retrospektive der Arbeiten des New Yorker Künstlers David Wojnarowicz seit seinem Tod 1992 bringt den Aspekt der Sichtbarkeit auf zwei unterschiedlichen Ebenen ins Spiel. Denn zum einen bestand ein Schwerpunkt der Arbeit Wojnarowicz` darin, gesellschaftlich tabuisierte Felder, auf denen sich politische und soziale Konfrontationen zutrugen (und noch zutragen), unübersehbar zu machen. Zu diesen Feldern zählen der Umgang mit und die Repräsentation von schwuler Lebenspraxis und AIDS, die Marginalisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und die »Normalität der Ungerechtigkeit«, getragen vom moralistischen, religiösen und/oder kapitalistischen Establishment. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchte er seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit, in sehr vielfältigen Bereichen und an verschiedenen Fronten deutliche Zeichen zu setzen, und vertraute dabei vor allem auf die Präsenz und Materialität seiner Arbeiten. Der Unsichtbarkeit Widerstand zu leisten war explizites Ziel, das durch die Sichtbarkeit der Arbeiten erreicht werden konnte.

Eine andere Ebene dieses Aspektes fällt angesichts der aktuellen Retrospektive auf, durch die die Popularität von Wojnarowicz und seiner Biografie derzeit sprunghaft verstärkt wird. Im Gegensatz zu seiner gerade skizzierten Vorgehensweise, die von einer Gefährdung des eigenen existentiellen Status als Individuum ausgeht und auf die davon unabhängige Materialität und Sozialität der Produkte und Arbeiten setzt, sind in der aktuellen Repräsentation der Dreh- und Angelpunkt häufig das Individuum und seine Geschichte. Auf den ersten Blick erscheinen dann Vermutungen, ein Biopic wie etwa Julian Schnabels »Basquiat« sei schon absehbar, nicht unberechtigt.

Darüber hinaus gibt es anläßlich der Retrospektive auch eine Menge Informationen gerade zu den verschiedenen Facetten der Arbeiten Wojnarowicz. Eine CD-ROM mit bislang zum Teil unveröffentlichten Videos, Filmen, Musik, Interviews sowie Aufzeichnungen von Performances ist in der Buchhandlung des New Museum erhältlich, und im Internet hat das Aktionsforum Queer Arts Resource eine virtuelle Galerie eingerichtet, die unter anderem Bilder aus der Retrospektive zugänglich macht. Im Museum finden zudem in einer Veranstaltungsreihe Vorträge, Lesungen und Diskussionen mit Wojnarowicz` ehemaligen MitstreiterInnen aus der East Village-Kunstszene der achtziger Jahre statt. Im selben Rahmen werden auch Wojnarowicz` musikalische Projekte vorgestellt, angefangen bei der nach einer Schlagzeile aus der Boulevardpresse benannten Postpunk-Band »3 Teens Kill 4 - No Motive« bis hin zur Zusammenarbeit mit dem Electronic-Crossover Komponisten Ben Neill, mit dem er 1989 in New York eine aufwendige Multimedia-Performance unter dem Titel »ITSOFOMO - In the Shadow of Forward Motion« inszenierte1.

Nicht weniger bemerkenswert als der durch die Retrospektive angeregte Breitwandoutput ist die gemeinsame Präsentation einiger Arbeiten Wojnarowicz` mit einer Herrenkollektion von Versace in den Schaufenstern des renommierten Edelausstatters Saks Fifth Avenue. Die darin angelegte Parallelisierung sehr unterschiedlicher Lebenswege expliziert in der Pressemitteilung der Geschäftsführer von Versace Classic: Obwohl sich Gianni Versace und Wojnarowicz in verschiedenen Medien geäußert hätten, sei beiden die visionäre Kraft gemeinsam, beide hätten sich der Popkultur bedient und dabei einige Menschen schockiert, bei anderen aber auch Interesse und Sympathie gefunden. Betrachtet man die konkrete Anordnung der Exponate im Schaufenster, so fällt jedoch weniger das Integrative als vielmehr das Disparate auf. Während sich die Attraktivität der Kleidungsstücke aus dem Wissen um den Glam-Aspekt und der Balance zwischen Eleganz und angedeuteter subkultureller Herkunft speist, geht es in den im Hintergrund angebrachten Collagen und Bildern von Wojnarowicz vor allem um die Themen des Lebens auf der Straße und am Rand der Gesellschaft. Das zieht sich keine/r so gerne an. Lediglich die frühen und für das Gesamtwerk weniger typischen Fotografien Wojnarowicz`, in denen sein damaliger Lover an verschiedenen Orten in New York mit einer Rimbaud-Maske zu sehen ist, deuten einen Anknüpfungspunkt an. Denn in beiden Fällen wird gerne auf historische »role models« und die damit verbundene Genealogie - Rimbaud, Wilde, Genet und andere - verwiesen.

Wie anläßlich der Retrospektive unübersehbar wird, hat Wojnarowicz Spuren hinterlassen, die so deutlich und vielfältig sind, daß sie offenbar die gegenwärtigen Prozesse des kulturellen Gedächtnisses durchaus in Gang setzen können. Damit dabei nicht nur die dem Künstlerindividuum zugewiesenen Labels - wie etwa die in der Mainstream-Presse gängigen Bezeichnungen »angry gay man« oder »paintbrush rebel« - im Vordergrund stehen, sollte sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Objekte richten, die er uns als Magnete zur Überwindung der vorgegebenen Bewegungs- und Blickrichtungen hinterlassen hat.

 

 

1 Die Musik zur Performance ist erhältlich auf CD: Ben Neill & David Wojnarowicz: ITSOFOMO. New Tone Records, 1992.

Zur Ausstellung erschien ein Katalog bei Rizzoli (newmuseumbooks) Die interaktive CD-ROM Optic Nerve ist beim New Museum, 583 Broadway, New York, NY 10012, erhältlich.

relevante Websites:
http://www.queer-arts.org
http://orathost.cfa.ilstu.edu/cfa/galleries/wojn.html
http://www.csulb.edu/~jvancamp/doc6.html