Heft 4/2000 - Outside Europe


Bis zum Himalaya...

7. Biennale von Havanna

Georg Schöllhammer


»Tropicana« hieß sie treffend, die Salsa-Arena, in der die Eröffnungsparty der 7. Bienal de la Habana stieg. Und dort ging es ums große »B«. Wer es, wie die dutzendweise angereisten Trustees des MoMa, auf seinem Teilnehmerschildchen kleben hatte, durfte auf die Empore. Wer es nicht hatte, wie die meisten der 164 im offiziellen Katalog verzeichneten KünstlerInnen und -gruppen, musste draußen bleiben - am Rang und im Parterre des revolutionsheroisch-modernistischen Open-air-Tanzpalastes. Der sah zu diesem Anlass ein wenig nach Robinson-Club aus und roch und klang, von Camp-Buena-Vista-Social-Club live beschallt, auch so.

Die Kunstwelt zeigte sich eben wie sie ist. Und daran war gerade hier nichts falsch. Seit1983, dem Gründungsjahr der Biennale, die als antiimperialistische Initiative der Marginalisierten aus dem Trikont propagiert war, hat sich vieles geändert. Insbesondere die Reiserouten der art-business-class, die kaum mehr nur nördlich des Wendekreises über Atlantik und Pazifik führen. Statt über zuwenig Aufmerksamkeit beklagen sich KünstlerInnen gewisser Regionen heute zunehmend über die von den internationalen Waren- und Trendscouts mitgebrachten Vorurteile von der kulturellen Ortsspezifik und die intellektuelle Folklore von deren Suchkriterien. Darüber, ob das Biennalenrhizom Mitauslöser oder nur Symptom der Dezentralisierung des Kunstbetriebes ist und dessen Interesse an ehemaligen Peripherien nur Ausdruck des Wunsches nach exotischer Ware und Diversifikation des Angebotes, lässt sich streiten. Ebenso, wie sich darüber diskutieren lässt, ob kulturelle Hybriditätstheorien nicht genau jene Entlokalisierung und Entkontextualisierung ästhetischer Produktionen befördert haben, die diese brauchen, um unbeschadet Transporte auf andere Märkte zu überstehen. Und das taten die »B's« am Eröffnungswochenende auch in einem Symposion.

Nelson Herrera Ysla, der Leiter der Veranstaltung forderte eine Internationale der kritischen Biennalen. Ute Meta Bauer stellte die nächste documenta als translozierte Veranstaltung vor, die Lagos und New Dehli ebenso bespielen werde wie Wien, Berlin und London, bevor sie in der Kasseler Provinz ortsfest werden müsse. Und Harald Szeemann sprach vom eventistischen Kalkül seiner Arbeit: gut sei nur, wer den Betrieb überrasche. Einen Betrieb, dessen innere Machtlogik, die keineswegs dezentral und demokratisch aufgebaut ist, wie der Mexikaner Cuauhtmoc Medina anhand der Doppelbödigkeit des Protestes der Kunstwelt gegen die Entmachtung von Ivo Mesquita als Leiter der nächsten Biennale von Sao Paulo decouvrierte.

Anders als die Blitzkrieger von Guggenheim, die ihre strategischen Basen in kulturtourismushungrige Städte setzen, und von dort aus mit lokaler Finanz- und PR-Hilfe ihre nivellierende Kolonialisierungsarbeit in Sachen Kunst beginnen, scheinen die BiennalengründerInnen oft von der Hoffnung beseelt, sich selbst und die lokalen oder regionalen Produktionen als gleichberechtigte Partner auf die kulturelle Landkarte platzieren zu können. Sie meinen, damit dem Schicksal der Peripherie als Nachschublieferantin zu entgehen, was sich oft als Trugschluss herausstellt.

Genau in diesem Zwiespalt bewegte sich, strategisch nicht ungeschickt, das Layout und die Einladungspolitik der Veranstaltung mit ihren 38 über die ganze Stadt verteilten Schauplätzen. Am regionalen Focus hat sich seit 1983 wenig geändert: Er liegt auf KünstlerInnen aus Lateinamerika, der Karibik, Afrika und Südostasien. Im Vergleich zu anderen Biennalen der letzen Jahre waren in Havanna jedoch wesentlich weniger Videoarbeiten zu sehen. Das Hauptformat war Installation, daneben gab es eine Reihe theatraler Performances und einige Arbeiten im Stadtraum sowie kleine Personalen wichtiger Figuren der südamerikanischen Konzeptkunst. Parallel lief eine Architekturbiennale, deren Schwerpunkt der Umgang mit historisch gewachsenen und derumpierten Zentren war - mit dem Modellfall vor der Haustüre.

Der Parcour der Biennale führte durch ganz Havanna, konzentrierte sich aber auf die historische Kolonialstadt Habana Veija. Den KunsttouristInnen wurde so beim Aufsuchen der Locations gleich einmal eine Einführung in die urbanistische, soziale undökonomische Situation der Stadt geboten. Die Auswahl der Arbeiten besorgten lokale KuratorInnen - im Unterschied zu den gerne mit »eingeflogenen Namen« ornamentierten Teams anderer junger Biennalen. Nicht nur dadurch entwarf sich gegenüber jenen ein leicht verschobenes Bild: galerieproduzierte Ware war die Ausnahme, ebenso wie KünstlerInnen aus den Metropolen der Ersten Welt. Trotzdem erschien die Schau, deren Hauptteil in den Kavernen und Kasematten der kolonialen Festung vor der Hafeneinfahrt präsentiert wurde, nicht sezessionistisch oder regional, nicht wie eine Biennale der »Anderen«.

Dem Reduktionismus, dem einschränkenden Blick der heurigen Biennale von Lyon, auf der ein europäischer Kurator sich gewissermaßen zum Zirkusdirektor wild wuchernder Assemblagen und megalomaner visueller Arrangements eines als bunten, primitivistischen und naiv-rhetorischen Anderen aufgeschwungen hatte, widersprach die Auswahl in Havanna geradezu. Sie deckte Ausschlüsse aus den Kanons auf, wie mit der Personale von Arbeiten des Anfang der Neunziger verstorbenen venezulanischen Geografen und Konzeptkünstlers Claudio Perna aus den frühen Siebzigern - Videos von Performances und collagenhafte kulturelle Mappings kolonialer Landvermessung. Sie ließ Kontextualisierungen zu, indem sie vergleichbare thematische Zugriffe im Installationsformat aus verschiedenen Regionen zeigte und so transkulturelle, sozusagen universalistische Methoden des Genres typologisierte, gleichzeitig aber den lokalem Gebrauch dieses Formates erkennbar machte.

Aus einzelnen Metropolen und Kunstlandschaften wurden oft Arbeiten mehrerer KünstlerInnen der mittleren Generation gezeigt und waren mit denen jüngerer zu vergleichen. Derart wurden auch lokale Entwicklungen bruchstückhaft nachlesbar. Und das Suchobjekt Globalisierungskritik, ein Issue, das gerade KünstlerInnen aus der »Dritten Welt« so gerne abverlangt wird, versteckte sich in vielen feinen Verästelungen und stand nicht plakativ im Vordergrund, etwa darin, seine Subjektposition als KünstlerIn zu behaupten, auf Fiktionalem, Poetischem, Privatem zu beharren und eben nicht den Mainstream der Globalisierungskritik aufzufüllen. Zugegebenermaßen bedurfte das durch die Unübersichtlichkeit der Displays und die räumlich oft weite Entfernung aufeinander zu beziehender Projekte einiger Lesearbeit.

Viele der aus der Westwelt eingeflogenen »B's« äußerten sich beim Small-Talk enttäuscht über den nach ihrer Meinung konservativen Zuschnitt der Biennale. Demnächst werden sie sich wieder treffen, unter der Reiseleitung der biennaleconsulting-bewehrten Katalanin Rosa Mart'nez als Kuratorin auf der 1. Biennale von Kathmandu, Nepal. Wahrscheinlich werden sie dort das finden, was sie hier vermisst haben.

 

 

7. Biennale von Havanna, 17. November 2000 bis 5. Jänner 2001