Heft 4/2000 - Netzteil


Flimmern im Kollektiv

Über den Gestaltungsuniversalismus der Multimedia-Gruppen VIDOK und re-p.org

Christian Höller


Besucht man die Webadresse www.re-p.org, so ist man als erstes mit dezidiert politischen Statements konfrontiert: »No to this government!« oder schlicht »NO FPOE« flackert dem Besucher entgegen, darunter öffnet sich ein Fenster mit Linkliste zu einschlägigen Protest-Sites, von betazine.org bis ubermorgen.org. Schnippt man den widerständischen Vorbau weg und bahnt sich so den Zugang zur »Inhaltsebene« von re-p.org, so erschließt sich ein anderes gewichtetes Arbeitsfeld, welches die Widerständigkeit nicht verabschiedet, sie aber in erster Linie grafisch definiert. Die einzelnen Kästchen der elegant reduzierten Grauton-Minimalseite führen zu den einzelnen Anwendungsbereichen, von einer ansehnlichen Flyer-Kollektion über konstruktivistische Grafiken bis zu einer eigenen Font-Abteilung, die allesamt in Ausbau begriffen sind.

re-p.org gehört zu jenen neueren Multimedia-Gruppen, für die die Electronica-Kultur der neunziger Jahre die unverrückbare Arbeitsgrundlage und ein techno-utopischer Neo-Konstruktivismus das universelle Gestaltungsziel darstellen. Die ehemals sechsköpfige Gruppe, die momentan aus maia gusberti und nik thoenen besteht, operiert damit in einem Feld, das immer stärker jene Züge annimmt, die man vor Jahren gerne, oft etwas abgehoben, in Crossover-Unternehmungen aller Art hinein projiziert hat. Eine Grafik ergibt einen Musik-Track ergibt ein Video ergibt ein Webdesign (letzteres haben re-p.org etwa für den Wiener Avantgardefilm-Verleih sixpack und den Experimentalfilmer Peter Tscherkassky fabriziert)1. Das tendenziell »Neue« an dieser Arbeitsweise liegt darin, nicht mehr mühseligst einen medienspezifisch entwickelten Ansatz in ein anderes Feld transferieren zu wollen/müssen, wie dies häufig bei der Crossover-Kunst der mittleren neunziger Jahre der Fall war. Vielmehr lässt sich heute aufgrund der immer größeren Schnittstellenkompatibilität der »Electronic Tools« immer einfacher zwischen den Medien hin- und herfloaten. Ohne das wohlige Medium jemals verlassen zu müssen. Ohne irgendwelchen Hierarchien zwischen Design, Musik, Kunst, Video etc. gehorchen zu müssen. Oder aber die Ordnungen zwischen all diesen Bereichen gleich selbst vorgeben zu können.

Tastet man sich entlang der Linkliste von re-p.org weiter, so trifft man auf zahlreiche weitere »Bekannte« des digitalen Untergrunds: auf das Netzvideoprojekt »v++« (thing.at/v++) des Designers/Künstlers/Kurators Norbert Pfaffenbichler, das immer noch erweitert wird und zuletzt mit der interaktiven Cyberspace-Exkursion »fragment« der japanischen Gruppe kaiteki bestückt wurde; oder auf maia gusbertis eigene notdef.org-Seite, auf der die (Netz-)Designerin ihre Videos und Grafiken unter dem Slogan »resist!« bündelt. Zuletzt tat sich das re-p.org-Duo mit der vierköpfigen Multimedia-Gruppe VIDOK (www.vidok.org) zusammen, der auch Pfaffenbichler angehört. In einem gemeinsamen Office Ambient-Verbund will man ab sofort synergetische Energien aus Webdesign, Videogestaltung und Gebrauchsgrafik bündeln und in zwei Richtungen wieder auseinander fließen lassen: zum einen in Richtung sogenannter »kommerzieller« Kunden (Miete), zum anderen in Richtung »künstlerischer« Projektschauplätze (Motivation), wo die günstigen Laborbedingungen mit vergleichsweise geringem Reibungswiderstand reproduzierbar sein sollten.

Letzten September gab der Verbund aus re-p.org und VIDOK im Rahmen der Reihe »Kunst auf der Baustelle« im Wiener Museumsquartier eine erste gemeinsame Leistungsschau. Am letzten der vier von Pfaffenbichler programmierten Abende2 trat das Kollektiv an zum Live-Video-Mix, der zur Musik von Ginanina und John Norman den etwas deplatziert wirkenden »Projektor« der Architektengruppe propeller z bespielte. Lag einer der deutlichen Vorzüge elektronischer Kultur bislang in Summe darin, die Distanz zwischen ProduzentInnen und RezipientInnen durch das einschließende, alles-und-jeden-einhüllende Ambient-Prinzip nachhaltig verringert zu haben, so suggerierte der im Niemandsland vor dem MuQua »gelandete« Video-Container eher das Gegenteil - eine Re-Auratisierung und Distanzierung gegenüber dem »flimmernden Elektron«. Nicht so der »Projektionen«-Jam von VIDOK/re-p.org, der die knisternde Halbleiter-Ästhetik des Kollektivs in immer neuen Themen und Variationen durchexerzierte: Ausgehend von geometrischen Abstraktionen und Reduktionen auf einfachste Bildelemente wie Linie, Quadrat und Balken werden dynamische Serien erstellt. Die aus den Grundelementen aufgebauten oder sprunghaft wechselnden Module ergeben ephemere Schwarzweiß-Architekturen, die - in pulsierendem Wechsel - an außer Kontrolle geratene Cyber-Cities denken lassen. Rotierende CAD-Flächen treffen auf immer dichter werdende Liniennetze. Außer Kontrolle geratene digitale Stadtplanungsprogramme, oder doch nur das zarte, selbstreferenzielle Rauschen der Platinenarchitektur? Jedenfalls ist den einzelnen, ineinander übergehenden Videosektionen von maia gusberti, nik thoenen, [n:ja] (annja krautgasser), Dariusz Krzeczek und Norbert Pfaffenbichler gemeinsam, dass sie einem zeitlich und modular verhackstückten Konstruktivismus huldigen, der immer wieder in seine Basiselemente zerfällt. Geht die Bildentleerung zu weit, blitzt auch schon mal ein realpolitisch geerdetes »NO« (siehe oben) auf. Aber das konstruktive Prinzip lässt sich immer wieder von neuem aktivieren und weist so über jede kontingente, zeitliche Beschränkung hinaus.

Ähnlich reduziert und geometrieversessen funktionieren die Einzelprojekte der VIDOK-Belegschaft. Pfaffenbichler hat eben eine CD-ROM mit dem Titel »notes 01« fertiggestellt, die mit dem strukturellen Gerüst hinter verschiedensten Notationssystemen (Schrift, Geometrie, Musik) »spielt«. Ein einfaches, quadratisches Hell-Dunkel-Raster lässt je nach Eingriff immer neue, variable Intensitätsgrade entstehen, die zeitgleich in elektronischen Sound umgesetzt werden. Selbstverliebte Formalismen, oder doch eher das konsequente, digital verfeinerte Ausloten strukturaler Kompositionsweisen, wie sie in den (Film-)Avantgarden der dreißiger, aber auch der österreichischen fünfziger und sechziger Jahre zur Anwendungen kamen? Für zweiteres spricht, dass weite Teile der Electronica-Kultur heute in größerem Ausmaß auf die »Reste« des strukturalen Films zugreift und diesen Zugriff selbst - aufgrund ihrer Intermedialität und Abstraktionsfähigkeit - dekonstruktiv steuern kann.

Wie wenig »retro-retro« - im Gegensatz zu »retro-futuristisch« - diese Arbeitsweise ausgerichtet ist, zeigen auch die Musikclips, die [n:ja] für die Gruppe Shabotinski gefertigt hat. Das Video zu »track09« etwa hebt mit einer abstrahierten orangen Fassade an, deren Fenster nach verschiedensten Parametern moduliert und von immer dichteren schwarzen Balken und Treppen durchsetzt werden. Das flirrende Geometrie-Ballett stülpt sich in einem langsamen Zoom von innen nach außen, bis man wieder auf der ursprünglichen Sound-/Bild-Matrix gelandet ist. »Wir bauen eine Stadt«, hieß das früher einmal im Musik-/Kunst-Kontext. Nur dass heute der Drang nach außen nicht mehr so zwingend erscheint.

 

 

1 www.t0.or.at/~sixpack, www.tscherkassky.at

2 Eine DVD, auf welcher die vier Abende dokumentiert sind, erscheint in Kürze auf dem Label lanolin (www.lanolin.at).