Heft 4/2000 - Artscribe


Christopher Williams: Couleur Européenne - Couleur Soviétique - Couleur Chinoise

22. Oktober 2000 bis 1. Januar 2001
Haus Lange, Haus Esters / Krefeld

Text: Gregor Jansen


Mit über 40 Fotografien von Christopher Williams kommt es in den Krefelder Häusern von Mies van der Rohe zu einer perfekt inszenierten modernistischen Verknüpfung. Die Motive ergänzen sich in einem dialektischen Prozess und betonen die Situation der Schwesterhäuser - ehemalige Fabrikantenvillen der zwanziger Jahre, die nach langer Restaurierungsphase im Sommer wiedereröffneten. Was einst unter Neue Sachlichkeit firmierte, wird von Williams seit sieben Jahren unter dem Titel »For Example: Die Welt ist schön« zitiert, der auf Albert Renger-Patzschs gleichnamiges Fotobuch von 1928 verweist. Zugleich listet Williams in langen Werktiteln dokumentarisch die technischen und faktischen Details der Produktion auf. Die scheinbar aufgeklärten, neutralen Sehangebote sind jedoch keineswegs das Resultat, sondern erst die notwendige Bedingung der konzeptionellen Fotografie. Williams kennzeichnet über die jeweiligen Sinnzusammenhänge Fotografie als repräsentativ vielschichtige Autonomie eines Abbildes.

Geöffnete Geschirrspüler zeigen mit elf poppigen Plastikgeschirrteilen Unterschiede der fototechnischen Farbpaletten von Agfa, Fuji und Kodak. Bei »Erratum AGFA Color (oversaturated)« benutzte Williams Kodakfilm und Fujipapier, da seine Vorstellungen der agfatypischen Farben mit Agfamaterial nicht erreicht wurden. In den minutiösen technischen Angaben versachlicht er den konzeptuellen Eingriff und macht die Produktionsbedingungen mit zum Thema. Die Motive offenbaren sich mittelbar als ideologische Konstrukte. Die elf Geschirrstücke sind mit elf verschobenen Ansichten des Faltstuhls von Jorgen Gammelgaard verknüpft, einem Designklassiker von 1970, der in einer Installation von Michael Asher - dem Lehrer von Williams - auf der Biennale Venedig 1976 in elf Exemplaren als Exponat diente. Die elf Ansichten des horizontal jeweils leicht verschobenen Stuhls korrespondieren mit den elf Fotografien eines auf die Seite gekippten Renault Dauphine aus dem Jahr 1964. Hier wurde elfmal die Kameraposition vertikal leicht verändert. Der Kontext ist mit den Pariser Maiunruhen 1968, Straßenbarrikaden aus Autos, unter anderem dem Dauphine, und Jean-Luc Godards Film »Weekend« von 1967 angerissen. Alles hängt mit allem zusammen und nichts ist dem Zufall überlassen. Die Ausstellungsbezüge und der Katalog erschließen diese und weitere Bezüge.

Doch der Kreis schließt sich nur scheinbar, da die sachliche, mithin »richtige« Beschreibung der Welt als Addition ihrer Relationen und Konstruktionen entlarvt wird. Was als Abbild eines schlichten Zustandes präsentiert ist, stellt sich als die Erforschung der Bedingungen, der Bewegungen und ihrer Gründe heraus, handelt von Struktur und Repräsentation im Augenblick der Fotografie, von Zusammenhängen zwischen Design, Architektur, Kunst, Film, Exotismus, Voyeurismus. Zudem lässt Williams wie ein Filmregisseur die Motive fotografieren und wählt eine sehr niedrige Hängung, die eine Art Überblick ermöglicht und seinem investigativen Blick entspricht. Seine Arbeit am Geschichtsraum und dessen Verschiebung aus der überblicksartigen Position heraus ist als distanzierte, aufgeklärte Geschichtspraktik am fotografischen Objekt deutbar. Das mobile Wandsystem des Boymans Museum in Rotterdam, in Todesstarre verharrende, auf den Rücken gekippte Käfer eines Hollywoodfilms, eine Druckwerkstatt im Senegal, japanische Fotomodelle, die Geschirrspüler und der Dauphine als funktionsgestörte oder zwischen Bewegung(en) verharrende Aufnahmemomente führen das Wunschdenken einer medial geprägten Epoche vor. Der Blick offenbart sich als zutiefst anekdotisch. Kritik, Protest und Veränderung, Zeichen des neomarxistischen Zeitgeschehens der sechziger Jahre - aus denen die Williams`sche Rhetorik ihre Argumente bezieht - sind verhalten und wie die Verschiebungen von Motiv oder Aufnahmestandpunkt kaum spürbar oder gar ganz verdeckt wie die weiße Rückseite eines Ausstellungskatalogs aus Stockholm von 1969. Nur einmal legt er die Fährte offen, zeigt, woher die Reise kommt. In einem Zeitungsausriss aus den sechziger Jahren zeigt die französischen Fluggesellschaft TAI vor funktionaler Betonarchitektur des Internationalen Stils eine modern gekleidete Schwarze mit Korbtrage auf dem Kopf. Die wohl auf französische Geschäftsreisende zielende Werbebotschaft stellt vor dem symbolischen Untertitel »Afrique« die Konstruktion eines postkolonialen Exotismus dar, auf der allgemeinen Basis der Moderne und unserer hinterfragenden Postmoderne.