Heft 4/2000 - Artscribe


Protest & Survive

15. September 2000 bis 12. Dezember 2000
Whitechapel Art Gallery / London

Text: Jan Verwoert


Als Anfang der Neunziger die Young British Artists den Kunstbetrieb eroberten, prägte die Verbindung ihres Erfolgs mit der Sammlungspolitik des Werbemagneten Saatchi ihr Image als kommerzieller Hype. Eine perfekte Produktästhetik und einfache Pointen bestimmten vielfach das Erscheinungsbild ihrer Kunst. Zur Zeit findet ein Generationswechsel statt. Die alten YBA`s sind etabliert. Eine Neudefinition des Kunstdiskurses steht bevor. Dieser Neudefinition den Boden zu bereiten, strebt die Ausstellung »Protest & Survive« an. Die Kuratoren Matthey Higgs und Paul Noble versprechen, statt vordergründiger Formalismen klare Inhalte zu liefern und den Kunstdiskurs zu repolitisieren. (»Protest & Survive« war das Motto der englischen Anti-Atomkraftbewegung.) Zu diesem Zweck versammeln sie historische und zeitgenössische Positionen »engagierter« Kunst. Das »Politische« wird hierbei nicht begrifflich definiert, sondern emotional besetzt. Das Bild auf dem Katalogeinband zum Beispiel zeigt Ökos und Punks Arm in Arm auf einer Demo in den Achzigern. Politisch sein, so scheint es, heißt, einem Handlungsimpuls folgen, Flagge zeigen, etwas in Bewegung setzen.

Diesen »Impuls« vermitteln auch die Positionen, die den Auftakt der Ausstellung bilden. Sie zeigen Gesten der Selbstermächtigung: In einer Arbeit von 1982 gibt Stephen Willats zwei New Wavern Raum zur Selbstdarstellung. In drei Collagen aus Fotos, Konzertkarten, Kosmetika und handschriftlichen Texten beschreiben Andy und Jane ihr Clubprojekt, ihre Ideale von Androgynität und Ausdrucksfreiheit, ihre Verehrung von David Bowie etc. Daneben sieht man Fotos und Texte von Jo Spence. Von 1982 bis 1990 dokumentierte sie kontinuierlich ihr soziales Umfeld und ihren Körper, der zunehmend durch ihre Krebserkrankung gezeichnet ist. Spence präsentiert sich ihren Fotos stets in stolzen, selbstbewußten Posen und weist so die Krebskranken gesellschaftlich zugeschriebene Opferrolle zurück. Ein Foto zeigt sie nackt, mit Sturzhelm, die Arme über dem Kopf verschränkt (das Bild ist vom Innencover der Platte »Dog Man Star« von Suede bekannt). Beide Arbeiten behaupten eine starke individuelle Haltung - das Zeigen von »attitude« - als Ausgangspunkt des Politischen.

Leider gelingt es der Ausstellung nicht, die folgenden Positionen schlüssig aufeinander zu beziehen. An sich interessante Arbeiten von VALIE EXPORT, Tom of Finland, Öyvind Fahlström, Richard Hamilton, David Hammons, Dan Graham, Cosi Fanni Tutti, Gustav Metzger, Elaine Sturtevant und Allen Ruppersberg stehen unverbunden nebeneinander. Die Gesamtdramaturgie gerät ins Schlingern. Dennoch gibt es individuelle Highlights wie den »Cocky Patriot« (1980) von Gilbert & George: Das Foto eines Teenagers mit Schmalzlocke, der lässig rauchend an einer Wand lehnt, wird links und rechts gerahmt von zwei Fotos eines Union Jack-Aufnähers. Im Schritt des »cocky« Teenagers zeichnet sich deutlich eine Erektion ab. Lasziv lenken Gilbert & George den Blick auf den homoerotischen Subtext des mit Nationalstolz aufgeladenen »Ladism«-Jungskults. Ihre Strategie erinnert an Bruce La Bruces Liebeserklärung »Skinnhead boys just turn me on« (in dem Film »No Skin off my ass«).

Auch Thomas Hirschhorns Beitrag überzeugt. Er durchbrach die Außenwand der Galerie und verband sie durch eine provisorische Brücke mit dem altehrwürdigen Anarchisten-Buchladen der Freedom Press im Haus gegenüber. Unversehens stolpert man aus der Kunst in ein Archiv politischen Wissens. Problematisch ist dagegen die Arbeit von Giorgio Sadotti. Er bietet Drums, Gitarren und Verstärker zur Benutzung an. Eine Hommage an den Punkmythos vom freien Zugang zu den Produktionsmitteln. So unsterblich dieser Mythos sein mag, so klar sind auch seine Grenzen. Kann man ernsthaft glauben, es sei politisch, wenn (weiße Mittelstands-) Jungs zusammen »ordentlich auf die Pauke hauen«? Dieses Mythische zurückzunehmen, ist eine Qualität der Fotos von Wolfgang Tillmans. Indem er die Alltäglichkeit alternativer Lebensentwürfe zeigt, vermittelt er die einfachste Zuversicht »we will never stop living this way«.

Insgesamt wirkt die Ausstellung so, als würde man seine zeitlosen Lieblingsplatten vorgespielt bekommen. Wenn man den verkniffenen Ernst gewohnt ist, der die Fusion von Kunst, Pop und Politik oft schon im Ansatz vereitelt, dann ist dieser spielerische Umgang mit eingängigen Motiven des Politischen erlösend. Dennoch lassen sich - vor allem durch das Fehlen eines klaren Konzepts - kaum aussagekräftige Verbindungen zwischen den ausgestellten Arbeiten erkennen. Der Drift freier Assoziation, der die kuratorischen Entscheidungen bestimmt zu haben scheint, sorgt so für eine Ausstellung, die unverkrampft wirkt, letztlich aber doch zu unverbindlich bleibt, um einen Diskurs zu prägen.