Heft 4/2001 - Artscribe


7. Internationales Festival für Gegenwartskunst: Stadt der Frauen

8. Oktober 2001 bis 13. Oktober 2001
/ Ljubljana

Text: Marina Grzinic


»Stadt der Frauen«, das Internationale Festival für Gegenwartskunst in Ljubljana, Slowenien, wurde vor sieben Jahren aus der Idee geboren, Kunst und Kritik von Künstlerinnen beziehungsweise Theoretikerinnen zu präsentieren. Eine späte Annäherung an feministische oder weibliche Kunstproduktion, könnte man meinen, aber ich glaube, es ist angesichts der großen versteckten Ungleichheit in der Behandlung von Männern und Frauen in der sozialistischen Vergangenheit immer noch eine wichtige. In Slowenien war die Situation sogar besonders problematisch, weil sich wegen seiner formalen Tradition bis in die neunziger Jahre keine feministische Theorie entwickeln konnte. In Belgrad und Zagreb – Städte, die dank einer starken Verbindung zum westlichen Feminismus während der siebziger und achtziger Jahre intellektuell florierten –, war dies anders. So kann man die These wagen, dass, wenn es eine radikale Kritik des offiziellen serbischen Staatswahnsinns gab, diese im Rahmen des feministischen Diskurses formuliert wurde. Auf die Frage, ob sie eine Jugoslawin sei, antwortete Zarana Papi* einmal, sie sei eine Feministin, und schnitt damit radikal jede Verbindung mit der konservativen nationalistischen Ideologie von Populismus und Kunst beziehungsweise Krieg und Demokratie ab.

Das Stadt-der-Frauen-Projekt, das vor sieben Jahren gegründet wurde, ist eine glückliche Geste, die sowohl Vergangenheit und Zukunft als auch Praxis und Theorie zu verbinden versucht. Dieses Jahr stand das Festival, das diesmal von einem Mann programmiert wurde, Koen van Daele, der vor zehn Jahren aus Belgien nach Ljubljana gekommen war, unter folgendem Motto, es ist Audre Lordes »Unpublished Poem« (1989) entnommen: »Die meisten Menschen in der Welt sind gelb, schwarz, braun, arm, weiblich,
keine Christen und sprechen nicht Englisch. Im Jahr 2000 werden die
20 größten Städte der Welt eine Gemeinsamkeit haben: Keine wird in Europa sein und keine in den Vereinigten Staaten.«

Die diesjährige Ausgabe von »Stadt der Frauen« war präzise in der Auswahl und der Präsentation sowohl von Veranstaltungen, die sich mit radikalen und kritischen postkolonialen Themen auseinandersetzten, als auch von Themen der zweiten, dritten oder vierten Generation von farbigen AktivistInnen aus der Ersten Kapitalistischen Welt. Dem wichtigen Projekt mangelte es nur an einem Aspekt: einer präziseren Kontextualisierung der eingeladenen Performerinnen, etwa durch Diskussionen, ein Symposium oder eine Vortragsreihe. Ljubljana ist eine Stadt, in der die postkoloniale Theoriebildung um Jahrzehnte verzögert zu sein scheint und das Denken über Migration, farbige AktivistInnen und Flüchtlingsprobleme nur mit einer radikalen Gruppe verbunden wird, von denen sich die meisten im Metelkova aufhalten, einem schon mehr als zehn Jahre besetzten Gebäude im Zentrum Ljubljanas.

Eine Podiumsdiskussion wäre auch deswegen wichtig gewesen, weil es mittlerweile klar ist, dass nicht-weiße Kunst oder Kritik zu produzieren nicht unbedingt bedeutet, radikal oder konzeptuell zu sein. Eine exzellente Konfrontation hätte sich beispielsweise aus der Gegenüberstellung der Arbeiten der beiden gegensätzlichsten Positionen im Festival ergeben: Shu Lea Cheang und Coco Fusco. Das Programm offenbarte nämlich deutlich einen diametralen Unterschied im künstlerischen Herangehen an den Postkolonialismus. Obwohl »Stadt der Frauen« in produktiver Weise über die politische Korrektheit einer postkolonialen programmatischen Vision hinausging, wäre doch ein zusätzliches Klärungspodium vonnöten gewesen.

Versuchen wir einmal, den Film »I.K.U.«, den beim Festival präsentierten digitalen japanischen Sci-Fi-Porno der Medienkünstlerin und Filmemacherin Shu Lea Cheang – einer Frau mit taiwanesischen Wurzeln, aber einer US-amerikanischen KünstlerInnenkarriere – mit der Arbeit von Coco Fusco zu konfrontieren, einer kubano-amerikanischen Künstlerin und Schreiberin. Die Premiere von »I.K.U.« fand beim Sundance Filmfestival 2000 statt. Der Film handelt von einem zwielichtigen Unternehmen namens »Genome Corporation Bio-Engineers«, einer Meute von Replikanten, die Orgasmusdaten sammeln, indem sie so viele Leute wie möglich ficken. Die so gesammelten Informationen werden dann als Mikrochips in Automaten auf der Straße verkauft. »I.K.U.« (was auf Japanisch soviel wie »Ich komme, es kommt … aarghhh« bedeutet) ist mit seiner Mischung aus Sex und Technologie eine »visuelle Metapher für die sexuellen Freiheiten, die uns durch das Internet geboten werden – Fantasien, denen man sich ohne Rücksicht auf Geschlecht, soziale Grenzen und sogar physikalische Möglichkeiten hingeben kann.« So weit geht die Filmbeschreibung des Festivalveranstalters, und bis hierher kann man sich nicht beklagen. Das Problem sind aber die so genannten Mittel und der Kontext für die Produktion eines solchen Films, der damit kokettiert, einen Hardcore-Porno-Fick (ausstaffiert mit ein paar computeranimierten Penishöchstleistungen) als politische Aussage zu verkaufen. An diesem Punkt ist es wichtig, zu dem zurückzukehren, was hinter der Oberfläche des Films verborgen bleibt, nämlich zum konkreten Ort, wo er produziert wurde – nach Japan –, und zu seinen Produktionsmitteln. Einen Pornofilm in Japan zu drehen ist sehr einfach, weil dort die pornografische Aussage – ein nackter Körper im Prozess des Totalkoitus – kein politischer Akt ist, sondern im Gegenteil eine Möglichkeit, jedes politische Gespräch abzuwürgen. Im japanischen Kontext ist die Produktion eines Pornos nicht nur die konservativste Attitüde, sondern auch die Affirmation einer sozial stummen Situation, ja sogar einer politisch taubstummen Situation, die dort seit Jahrhunderten herrscht. Darüber hinaus ist die Ausbeutung eines weiblichen Körpers eine Verdopplung der Unsichtbarkeit des weiblichen Körpers im sozialen Kontext. Solche Unterschiede in Herangehensweise und Kontext zu erklären, wäre absolut notwendig gewesen. Ebenso hat die Vergewaltigung und Ermordung einer mexikanischen Frau durch einen amerikanischen Künstler nichts mit Kunst zu tun, sondern mit einem kriminellen Akt in einer politisch taubstummen Situation, der – wie Coco Fusco erklärte – von der kalifornischen Kunstszene auch noch gebilligt und angeheizt wurde (vgl. ihre Vortrags-Performance »The Incredible Disappearing Women«). Und eine taubstumme, bereits tote mexikanische Frau zu sein, ist in Wahrheit dasselbe wie ein lebender japanischer taubstummer gefickter Frauenkörper zu sein.

Beide Figuren, sowohl die mexikanische in den USA als auch die japanische, sind sozial und politisch tot, unsichtbar und begraben, obwohl – welch’ Parodie! – eine der beiden wirklich tot ist (die mexikanische Frauenleiche) und die andere nicht (der japanische Frauenkörper bewegt sich noch). Was aber letztlich sogar noch tragischer ist: Letztere ist symbolisch tot, ein taubstummer lebender Zombie!

 

Übersetzt von Tatjana Raskolnikova