Heft 1/2002 - Lektüre



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Starship

Heft 5

Berlin 2002 , S. 78

Text: Nicolas Siepen


Dass die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt künstlich ist, weiß jedes Kind, vielleicht sogar die Tiere, ganz sicher aber die Pflanzen. Schade nur, dass der Rest der Welt dieses Wissen gewöhnlich ignoriert. Unser Denken ist fast darauf programmiert, eine gewisse Unterscheidung oder Korrelation zwischen Form und Inhalt herzustellen, die auf der Ebene konkreter Produktionsverhältnisse reproduziert wird. Die Produkte, in denen sich Dualismen verweben, sind so vielfältig wie die Strategien und Modelle, die ersonnen werden, um sie verteilen, ordnen oder auch zerstreuen zu können. Eines davon ist »Starship«. Die fünfte Ausgabe dieser in Berlin hergestellten Zeitschrift besitzt rein äußerlich gesehen signifikante Unterschiede zu den vorangegangenen Heften. Sie ist doppelt so groß, und die Wirkung des Covers spricht ungefähr folgende Sprache: Modemagazin mit Anspruch auf Differenz, wobei die Zeichen eindeutig Richtung Kunst weisen. Die Art der Stilisierung, derer sich das inszenierte Foto von Deborah Schamoni bedient, meidet, obwohl in der Nähe angesiedelt, die gängigen Lifestyle-Klischees der Modeindustrie genauso wie diverse Spielarten von Crossover. Die drei gezeigten Frauen sind cool, aber in ihrer Verkleidung nicht glamourös. Ihr hippiesker Touch ist weniger Mode als eine jugendkulturelle Momentaufnahme, die in einen allegorischen Zusammenhang gestellt wird: drei Äpfel und ein Inhaltsverzeichnis.

Die Liste der AutorInnen, die das »Starship« mit Texten, Zeichnungen und Bildern versorgen, ist lang und international. Viele Namen zirkulieren schon seit der ersten Ausgabe durch die Hefte und Formate, in denen sie auftreten, sie sind einem teilweise schon richtig vertraut geworden. So gibt es sicher nicht wenige, die es bedauern werden, dass sich der Fortsetzungsroman »Stirbt der Mensch als Künstler« von Dany Mueller nach Ausgabe #4 mit »Liebe Grüße Jean-Marie« von seinen LeserInnen verabschiedet hat. Auch wenn für die aktuelle Ausgabe die Zusammensetzung der Redaktion verändert wurde und die Literaturwissenschaftlerin Stephanie Wurster neu hinzugekommen ist, verfolgen Martin Ebner, Ariane Müller und Hans-Christian Dany auch hinter der neuen »Fassade« nach wie vor ein redaktionelles Modell, das auf erweiterten Freundschaftsstrukturen basiert; wobei die fünfte Ausgabe den Eindruck erweckt, als wäre es gelungen, diese Methode zu intensivieren. Das hat sicher auch damit zu tun, dass viele Beiträge um einen Nukleus herum angeordnet sind, der im Editorial mit den Begriffen »Straße« und »displacement« angegeben ist.

Wenn die ersten Hefte noch stärker in der Nähe von Fanzines angesiedelt waren und den Charme von Groschenromanen hatten, die in Gefahr standen, ein diffuses »Wir« zu hypostasieren, so wirkt die Nummer 5 nach außen hin transparenter, irgendwie einladender, was sich auch in einem sehr dezenten und klaren Layout äußert. Das besondere an Projekten wie »Starship« ist eben die Möglichkeit, nicht nur die eigene Form zu verändern, sondern auch die vermeintliche Distanz zwischen Form und Inhalt selber als Teil des Artefakts zu bearbeiten. Womit wir beim Inhalt wären: Daniel Pflumm, einer der hartnäckigsten Verfechter des Logo-Zentrismus im Kunstfeld, übt sich in der Kunst der vegetativ- orientalistischen Handzeichnung und der Liebeslyrik, die Kolumne »Kinderkommunismus« von Ariane Müller ist diesmal illustriert und beschäftigt sich mit dem Bau von Barrikaden, Sebastian Lütgert zerreißt in seinem Text »Die Nomaden des Kapitals« das enge Band der Sympathie zwischen Rhizomen und selbst ernannten, umherschweifenden Netz-ProduzentInnen, Michaela Eichwald nennt ihre fiktive Reportage über Rock schlicht und einfach »Metallkrakenkrankenkanne«, Natascha Sadr Haghighian lässt ihren theoretischen Streifzug »speaking in tongues«, über Chancen und Gefahren der Glossolalie, mit dem Satz beginnen: »Das kleine Mädchen ist besessen«, und auf einer Zeichnung von Jutta Koether sitzt neben dem Wort »Destroy« ein Schmetterling. Das kann kein Zufall sein! Immer wenn die binären Codes, die der Staat unter die Leute bringt, in Frage gestellt oder sogar durcheinander gebracht werden, sind auch Kinder, Tiere und Pflanzen in der Nähe.

 

 

Bestelladresse: hallo@star-ship.org