Heft 1/2003 - Artscribe


26. duisburger filmwoche

4. November 2002 bis 10. November 2002
filmforum / Duisburg

Text: Jan Verwoert


Die Duisburger Filmwoche zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Veranstalter von den Filmen, die sie zeigen, etwas wissen wollen. Auf die Vorführung der Filme folgen Diskussionen mit den AutorInnen. Diese werden wiederum gerahmt durch Vorträge. Das Programm ist also insgesamt so angelegt, dass sich thematische Schwerpunkte ergeben.

Eines der diesjährigen Themen war die Auseinandersetzung mit verschiedenen Politiken des Persönlichen. In diesem Kontext waren zunächst drei Porträts interessant: Norbert Wiedmer porträtiert in »Behind Me« (CH 2002) den Schauspieler Bruno Ganz, Claudia Heuermann in »A Bookshelf on Top of the Sky« (D 2002) den Musiker John Zorn und Jörg Adolph in »On/Off the Record« (D 2002) die Band The Notwist. Alle Filme gestalten die Annäherung an die jeweilige Person als Vorstoß zu einer Realität hinter dem Medienbild der Ikone. Der Zugewinn an Authentizität vermittelt sich dabei nicht durch biografische Daten oder psychologische Deutungen, sondern durch die Betonung des Performativen: Ganz gibt den Faust, Zorn bläst sein Saxophon, die Notwist schrauben an ihren Soundmaschinen. Die traditionellen Mittel der Authentifizierung, Biografie und Psychologie, werden so zwar aufgegeben, nicht aber die Sehnsucht nach dem Authentischen. Die Folge ist eine gewisse Blindheit für den problematischen Charakter der »Echtheit« verbürgenden Performanzbilder: allesamt Bilder von Körpern in Aktion und Männern bei der Arbeit.

Um den Körper geht es auch Katja Baumgarten, nur versteht sie ihn als Politikum. In »Mein Kleines Kind« (D 2001) schildert sie, wie bei pränatalen Untersuchungen die beschränkte Lebensfähigkeit ihres ungeborenen Kindes diagnostiziert wird, und dokumentiert Gespräche, in deren Verlauf sie sich für die Geburt entscheidet. Weder stilisiert sie sich hierbei zum Opfer, noch ist ihr Film als Plädoyer gegen Abtreibung misszuverstehen. Baumgarten gelingt es vielmehr darzustellen, wie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung die Frage danach, wer Leben verantworten soll, ins Private abgedrängt und Frauen als vermeintlich persönliche Sorge aufgebürdet wird. Indem der Film das Persönliche öffentlich macht, gibt er die Problematik an die Gesellschaft zurück.

Eine Verräumlichung persönlicher Erfahrungshorizonte durch die Verschränkung von Biografie und Topografie stellte eine Reihe von Filmen über Städte und Reisen her: In »Mirabella / Sindelfingen« (D/DK/I 2001) beschreibt Andreas Pichler die Realität von MigrantInnen, die vor Jahren aus Mirabella in Sizilien nach Sindelfingen kamen, um für Mercedes zu arbeiten. Die Städte verbindet ein ständiger Fluss: Busse pendeln hin und her. Manche Familien gehen zurück, andere kommen wieder. Dynamisch verwebt der Film Bilder von beiden Orten und zeigt so, dass Mirabella / Sindelfingen weder in Deutschland noch in Italien liegt, sondern einen »dritten Ort«, ein eigenes psychosoziales Territorium bildet.

In »Sarajevo Guided Tours« (A 2002) ließ sich Isa Rosenberger von mehreren Personen Orte in Sarajevo zeigen, die für diese mit Erinnerungen verbunden sind. Eine Frau führt das Café vor, das auch im Krieg die beste Torte hatte. Ein Jugendlicher erklärt, dass die Brücke, wo der einzige Kiosk steht, der nachts noch Chips und Bier hat, auch die Brücke ist, vor der ihn ein Sniper anschoss und schwer verwundete. Durch den Umweg zur Biografie über Orte in der Stadt vermittelt der Film die für die Kriegssituation essenzielle, von außen aber schwer nachvollziehbare Erfahrung der Durchdringung von Alltag und Katastrophe. Die Methode, durch ein Stadtporträt eine gesellschaftliche Situation zu beschreiben, wenden auch Solmaz Shabazi und Tirdad Zolghadr in »Tehran 1380« (D 2002) an. Ausgehend von der Analyse der Architektur Teherans zeigt der Film, dass in der urbanen wie sozialen Realität der Stadt Modernismen und Traditionalismen koexistieren. Der Film korrigiert so das Bild vom Iran als einem Land, das ausschließlich durch die Diktatur der Mullahs definiert wird.
Die Filmwoche ermöglichte (unter anderem) einen Vergleich verschiedener Methoden, die Bedeutung des Persönlichen zu erschließen: durch die Betonung der Performanz bezeichnender Handlungen, durch die Hervorhebung der gesellschaftlichen Relevanz vorgeblich privater Probleme und schließlich durch die Lokalisierung persönlicher Erfahrung im Raum der Stadt.