Heft 4/2003 - Netzteil


Becoming Nike? The Fake Behind the Swoosh

Public Netbase und 0100101110101101.ORG proklamieren den weltweit ersten »Nikeplatz«

Vera Tollmann


Wien im Oktober 2003: Auf dem Ausläufer einer der ungeliebten Verkehrsinseln, die den Karlsplatz teilen, steht eine neue, vom Design jedem Container weit überlegene rote Box. Auf den großen abgerundeten Glasscheiben klebt die Aufschrift »nikeplatz (formerly Karlsplatz)« und das Logo des Sportartikelherstellers Nike. Rückseitig kündigen Punkte auf einer Landkarte zukünftige Nikeplätze in weiteren Städten an. Doch das ist nicht alles: Im Präsentationsraum der Box informiert persönlich ein sportlicher Typ über den angeblich neusten Marketingcoup des globalen Konzerns. Neben der dort präsentierten Website nikeground.com illustriert der Entwurf für einen 36 mal 18 Meter großen Stahl-»Swoosh« (jenes erfolgreichen Logos, das der Firmengründer Phil Knight 1971 für 35 Dollar einer Marketingstudentin abkaufte) das vereinnahmende Vorhaben. In dem überzeugenden Boxinterieur steht signifikanterweise auch ein spiegelnder Fußball aus der Edition von Manchester United, und das populäre Nike-Sportschuhmodell »ID«. »ID«, so die Firmenphilosophie, kann von den Kunden individuell mitgestaltet werden, mit dem Effekt, dass sich diese als Teil von Nike fühlen können. Die italienische Künstlergruppe 0100101110101101.ORG hat sich zusammen mit der Wiener Medieninstitution Public Netbase diese Philosophie vorgenommen und versucht sich mit der vorgetäuschten Aktion »nikeplatz« an der Kritik der Privatisierung öffentlichen Raumes. Denn die angekündigte Umbenennung des Karlsplatzes, dessen Anlieger bedeutende kulturelle Orte wie die Secession, das von Adolf Loos gestaltete Café Museum und die Karlskirche sind, hieße, den Platz Nike zu widmen, ihn mit der geplanten Nike-Skulptur als Firmenprodukt zu signieren.

Ausgelöst durch gefakte Aussendungen, empörte sich die Wiener Boulevardpresse so lange, bis die österreichische Nike-Pressestelle klarstellte, nicht Urheberin der Aktion zu sein und daraufhin Public Netbase verklagte. Am 14. Oktober erreichte die Medienaktivisten eine Schadensanforderung von Nike in einer Höhe von 78.000 Euro. Doch die Anstrengungen, ein Verbot des künstlerischen Projekts zu erzielen, blieben erfolglos. Zugunsten von Public Netbase wurde vorerst der Freiheit der Kunst statt gegeben.

Was bleibt

Im Gegensatz zu früheren Arbeiten von 0100101110101101.ORG verliert die Karlsplatzaktion nach Klärung des Rollenspiels jedoch sehr schnell an Spannung. Denn was dort behauptet wurde, ist an anderen Orten längst Realität: Zeitgleich mit der »Nikeground«-Aktion stand etwa zur Bewerbung des neuen VW Golf am Produktionsort »Golfsburg« auf den Bahnhofsschildern und der städtischen Website. Zudem vereinnahmt Nike seit einigen Jahren mit der temporären Errichtung urbaner Erlebniszonen öffentlichen Raum und nimmt dadurch ein jugendliches Klientel für sich ein. Diese Strategie, von Tom Holert treffend als »Corporate Situationism«1 bezeichnet, ist also längst Alltag umtriebiger Marketingabteilungen.

Zudem stellt sich die Frage, wie sich das Wiener Projekt zu den internationalen »Anti-Nike-Kampagnen« verhält, die dem Konzern Imageschäden zufügten. Seit 1996 sind in den USA und seit 1999 in Europa aktivistische Gruppen aktiv. In dieser Zeit eröffnete das erste Niketown Europas in Berlin-Charlottenburg mit dem von »Reclaim the Streets«-Kampagnen angeeigneten Slogan »Lass Dich nicht von Deiner Stadt ausnutzen. Nutze Deine Stadt aus.« Gleichzeitig erschien Naomi Kleins Erfolgstitel »No Logo« auf Deutsch.

In Sichtweite der gefakten Nikebox in Wien hatte die Public Netbase auch das seit Aktionen im Museumsquartier bekannte Camouflage-Zelt errichtet und warb mit dem Slogan »Reclaim the net« für die Sicherung einer unabhängigen Medienlandschaft in Österreich, insbesondere für dem Erhalt von Radio Orange und die Existenz von Public Netbase. So gesehen könnte sowohl die Wahl des Ortes als auch die inhaltliche Thematik von »nikeplatz« bereits im voraus als wesentlicher Bestandteil des Spiels mit eingeplant worden sein.

 

 

1 Vgl. Brainware im Strukturwandel. Interview mit Tom Holert von Krystian Woznicki, in: springerin 4/2000.

http://www.nikeground.com
http://www.t0.or.at/nikeground/
http://www.0100101110101101.org/home/nikeground/index.html
http://mediencamp.karlsplatz.at/