Heft 4/2003 - Post-Empire


Kritik der imperialen Vernunft

Überlegungen zur Wirkungsgeschichte von Antonio Negris und Michael Hardts »Empire«

Nicolas Siepen


»Nicht der Schlaf der Vernunft gebiert Monster, sondern die aufmerksame, nie schlafende Rationalität« (Anti-Ödipus, Gilles Deleuze/Félix Guattari)

In den politischen Debatten der Linken und darüber hinaus hat »Empire«1 von Antonio Negri und Michael Hardt schlagartig eine Art internationalen Kristallisationspunkt gebildet. Kaum ein gesellschaftstheoretischer Diskurs der letzten drei Jahre kommt ohne eine positive oder negative Bezugnahme auf zentrale Kategorien dieser »großen Erzählung« aus. Darüber hinaus stellt das Buch mittlerweile so etwas wie einen implizit-expliziten Bezugsrahmen politischer Theorien und Interessen jeder Couleur bereit oder wird als solcher funktionalisiert. Auch wenn der Hype mittlerweile abgeflaut ist und jetzt eher Giorgio Agamben die Runde macht, zeigte zum Beispiel der Kongress »Indeterminate! Kommunismus«2, der diesen November in Frankfurt stattfand, ganz deutlich die ambivalenten Spuren, die »Empire« hinterlassen hat. Die anfängliche Aufgeregtheit der Debatten, das »Versprechen«, das der Text zu Beginn verströmte, von vielen gefeiert und von anderen bekämpft, ist an vielen Stellen einer gleichgültigen Negation gewichen: Empire? Viel Rauch um nichts!

Von Morgenröte ist jedenfalls nichts mehr zu sehen, und dieser Umschwung hängt sicher auch mit der Tatsache zusammen, dass »Empire« vor dem 11. September 2001 geschrieben wurde. Im Inneren der Debatten tobt aber weiterhin Krieg. Wenn man sich stichprobenartig einige Texte noch einmal ansieht, springt einen das Ressentiment förmlich an. Gerade weil die radikale Kritik durch ein feines Netz von Rationalität gefiltert erscheint, haben die Debatten in ihrem Willen zur absoluten Zuspitzung etwas Irres und Monströses. Das Ende vom Lied ist dann, dass die Ontologie des »Empire« ganz nahe am faschistischen Jargon angesiedelt wird und die Fratze des impliziten Antisemitismus offenbart. In diesem Punkt sind sich jedenfalls Robert Kurz und Detlef Hartmann einig, auch wenn sich ihre ausführlichen Besprechungen von »Empire« an vielen Punkten eklatant unterscheiden. Letzterer hat mit seinem Buchtitel die Richtung der Kritik angegeben: »Empire – linkes Ticket für die Reise nach rechts«3. Er stellt Negri/Hardt in eine Linie mit Peter Sloterdijk und Joschka Fischer als Brüder im Geiste für ein neues Elitedenken. Dass dieser Vergleich schon alleine deswegen absurd ist, weil sich Sloterdijk als eine Art Medien-Platon via TV unter die Leute bringt und Fischer den Molotowcocktail gegen die Pose des Weltenlenkers eingetauscht hat, während Negri bis vor kurzem im Gefängnis saß – als Resultat politischer Kämpfe und Intrigen der siebziger Jahre –, zählt nicht. Für Detlef Hartmann ist der Fall klar: »Empire« ist eine Propagandaschrift von oben, die der Linken den Kompromiss mit dem globalen Kapitalismus schmackhaft machen möchte, indem sie ihn als Pseudo-Selbstbefreiung feiert. Gerade die Immanenz, von der Negri/Hardt in Bezug auf das Verhältnis von »Empire« und Multitude immer wieder sprechen, eröffnet keine Möglichkeiten emanzipatorischer Kämpfe, sondern stellt den theoretischen Verrat an vergangenen und zukünftigen realen Kämpfen der militanten und undogmatischen Linken weltweit dar. So gesehen ist der operaistische Neologismus Multitude nichts anders als eine neoliberale Falle, in die schon viel zu viele Leute gegangen sind.

Es scheint so etwas wie eine mikropolitische Gesetzmäßigkeit zu sein, dass, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse kompliziert werden, die linken Subkulturen die gröbsten theoretischen Geschütze entweder gegeneinander richten oder sich in einem diffusen Konsens sammeln. Beide Reflexe erzeugen gerade in ihrer Mischung eine seltsame Agonie. Man muss in diesen Abgesang, den Robert Kurz4, Hartmann und andere unisono, wenngleich unterschiedlich intoniert vortragen, nicht einstimmen, um einige der wesentlichen Kritikpunkte an »Empire« ernst zu nehmen und zentrale theoretische Setzungen, die Negri/Hardt vornehmen, genauer zu betrachten. Zumal beide selbst nicht zimperlich mit anderen Theorien umgehen, sowohl was die Kritik und Verabschiedung zum Beispiel von Giorgio Agamben angeht, als auch die Vereinfachungen von Theoretikern wie Gilles Deleuze, Félix Guattari und Michel Foucault oder den reduktionistischen Gebrauch des Feminismus oder der Postcolonial Studies. Es kann hier nicht darum gehen, die ganzen Debatten um Biopolitik, Klassenkampf, immaterielle Arbeit, Werttheorie, Weltordnung, Krieg oder Globalisierung noch einmal zu entfalten. Vielmehr soll es im Folgenden um die Kristallisationspunkte unterschiedlicher Diskussionen und ihrer sprachlichen bzw. realen Effekte gehen, und zwar am Beispiel einiger Topoi, die »Empire« aufgeworfen hat – plus diverser Feedbacks darauf. Wer nimmt dieses Konzept explizit oder implizit für sich in Anspruch und was passiert dadurch? Die Effektivität politischer Theorien für die Konstitution eines »revolutionären Projekts« lassen sich nicht an dem inhaltlichen Abstand von Begriffen wie »Empire« und »ideeller Gesamtimperialismus« messen, wie es Robert Kurz gerne hätte, sondern daran, wie sich die unterschiedlichen Begriffsinstrumentarien in einer politische Praxis gegenseitig verstärken lassen. Das bedeutet nicht, die Differenzen zu verwischen, sondern den Differenzierungen möglichst weit zu folgen und sie weder dem Ressentiment zu opfern noch in Wiederholung still zu stellen. Was die real existierenden Debatten der letzten drei Jahre betrifft, so sind an vielen Stellen des Diskurses genau diese Spaltungen eingetreten. Es haben sich publizistische Fraktionen gebildet, die entweder die gesamten Theorie von Negri/Hardt aus völlig konträren Motivationen vom Tisch fegen – wie etwa die Zeitschriften »Bahamas«, »Krisis«, »Das Argument« und »Konkret« – oder sich, wie zum Beispiel die »Subtropen«, um eine differenzierte Diskussion zwar bemüht haben, allerdings mit der Neigung zur Wiederholung der immer gleichen Begrifflichkeiten und Modelle.

Um jedoch den Gehalt von Begriffen und Modellen genauer und auch produktiver einschätzen zu können, ist es notwendig, diese oft extrem polemische Ebene zu verlassen und vom »Patchwork der Minderheiten« in seinen konkreten Formen auszugehen. Zumal gerade die an der Werttheorie ausgerichtete Kapitalismuskritik, wie sie zum Beispiel Robert Kurz in seinen Barbarisierungs- und Zerfallsszenarien vertritt, dazu neigt, aktuelle politische Gegenbewegungen selber als ohnmächtige Zerfallsprodukte des großen Niedergangs zu verkennen. Vielleicht liegt die Potenzialität, die ein Begriff wie Multitude anvisiert, genau dazwischen. Anhand von drei sehr unterschiedlichen politischen und ästhetischen Praktiken lässt sich diese Ebene genauer fassen. In den öffentlichen Auftritten des bundesweiten Aktionsbündnisses »Kanak Attak«5, das sich in Anlehnung an die Bewegung der »sans papiers« aus Frankreich um einen von MigrantInnen und NichtmigrantInnen organisierten antirassistischen Kampf gruppiert hat, wird mit ganz unterschiedlichen Mitteln an einer Umwertung der negativen gesellschaftlichen Konstruktion des »Migranten« gearbeitet. Das repressive Dispositiv aus Illegalisierung, Segregation, Unsichtbarmachung, Kriminalisierung, Kontrolle und Abschiebung wird von Kanak Attak unter Slogans wie: »Recht auf Legalisierung« oder »relative Autonomie der Migration« nicht nur kritisiert, sondern gleichsam von innen her konkret bearbeitet und performativ verschoben. So wurde etwa in der »KanakHistoryRevue – OPEL PITBULL AUTOPUT«, die 2001 in der Volksbühne Berlin als Teil der Aktion: »Dieser Song gehört uns!« zur Aufführung kam, die Geschichte der Kampf- und Protestformen der »Gastarbeiter« der ersten Generation in den siebziger Jahren in der BRD »aufgeführt« und damit als gesellschaftliche Realität zu Bewusstsein gebracht. Dadurch sollte dem »offiziell« produzierten Bild eines passiven, sich der Integration verweigernden »Problems«, das beobachtet und kontrolliert werden muss, ein gesellschaftliches Subjekt entgegengesetzt werden, das sich eben nicht einfach in sein Schicksal fügt, sondern aktiv in politische Kämpfe verstrickt ist; das somit auch eine Autonomie hat, die selber wieder gesellschaftliche Realität erzeugt und damit über konkrete Kräfte und Lebenszusammenhänge verfügt, die durch das rassistische Dispositiv permanent diskriminiert und negiert werden. Die Aktionen von Kanak Attak, die sich selber als Teil dieses Widerstandes verstehen, unterlaufen die Unterscheidung von Innen und Außen anhand des Kriteriums »kulturelle Identität« und treffen so genau den Nerv des nationalstaatlichen Regulationsregimes. Auf diese Weise umgehen sie ein Problem, das bestimmte Formen des politischen Aktivismus immer wieder gelähmt hat, nämlich die innere Spannung, die aus Stellvertreterfunktionen erwächst. Im »Namen von anderen zu sprechen«, bedeutet fast zwangsläufig, bestimmte Zuschreibungseffekte zu wiederholen und damit zu stützen und gerade die Autonomie zu schwächen. Kanak Attak stellt diese Kategorien selber in Frage und eröffnet damit einen Spielraum, der vielfältige Anknüpfungspunkte zu anderen politischen Kräften unterhält.

Dass die Vermischung eines juristischen Diskurses, des Rechts auf Legalisierung und einer identitätspolitischen Praxis, nämlich der relativen Autonomie der Migration, eine politische Kraft werden kann, hat die Bewegung der sans papiers in Frankreich gezeigt. Hier werden auch zwei zentrale Bestimmungen des Begriffs Multitude, die Negri/Hardt vornehmen, praktisch kurzgeschlossen, nämlich die sehr abstakte Forderung nach einem Recht auf Weltbürgerschaft und die emphatische Betonung der Positivität der Migrationsströme und des »Exodus« für die Konstitution der Multitude als politisches Subjekt. Negri/Hardt betonen in »Empire« immer wieder, dass sie genau solche Bewegungen wie die sans papiers vor Augen haben, wenn sie von einer neuen Zusammensetzung der politischen Kräftekonstellation sprechen. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass die Emphase, mit der sie den Exodus von den Rändern, aber auch in den Zentren des globalen Raums positiv besetzen und das Empire als einen glatten Raum beschreiben, in dem es zu einem biopolitisch-ontologischen Kurzschluss zwischen Produktivität und Widerstand kommt, der in sich eine immanente positive Gegenmacht gegen die globale Ausbeutung realisieren könnte, ihr eigenes theoretisches Instrumentarium beschädigt. Hier würde ich Detlef Hartmann in seiner Kritik durchaus folgen, wenn er den falschen Gebrauch von Foucaults Mikrophysik der Macht und speziell dem Konzept der Biomacht in »Empire« aufzeigt. Es geht in der Analyse von Dispositiven ja gerade darum, die scheinbar fixen ontologischen Formen in Relationen und Kräfteverhältnisse zu transformieren und darin die Widerstandspotenziale freizulegen. Dazu kommt, dass das Konzept des glatten Raums, das Negri/Hardt von Deleuze/Guattari importieren, streng genommen nur sinnvoll ist, wenn es in Relation zum »gekerbten Raum« gestellt wird. Ein wesentlicher Teil der theoretischen Anstrengungen in »Tausend Plateaus« besteht darin, zu zeigen, wie beide Formen ständig ineinander übergehen und koexistieren. Zäune, Grenzen oder Abschiebelager sind keine glatten Räume, sondern »gekerbte Räume«, Territorien, in denen Macht ansetzen kann und ausgeübt wird, Formen und Identitäten aufzwingt und der Autonomie beraubt.

Die Methode des emphatischen Kurzschlusses, deren sich Negri/Hardt sehr oft bedienen, zeigt hier seine eklatanten Schwächen. Die New Yorker Künstlergruppe »Bernadette Corporation« scheint sich jedoch genau für diesen theoretischen Stil und seine ästhetischen Implikationen zu interessieren. Ihr Film »Get Rid of Yourself« lässt sich anhand von Dokumentarmaterial der Straßenkämpfe von Genua (2001) und der Fernsehbilder der Attacke auf das WTC durch eine sehr luzide Reflektion über politische Militanz gleiten. Hier wird bewusst eine diffuse Nähe zwischen sehr unterschiedlichen Gewaltformen erzeugt, die mit direktem Bezug auf »Empire« ein seltsames Endzeitszenario des Übergangs entwerfen, in dem nicht wirklich auszumachen ist, was eigentlich die politische Intention dahinter ist. Vielmehr scheint es darum zu gehen, eben einen Kurzschluss zu erzeugen zwischen Formen des Radical Chic, dem Warenfetisch, Gewalt, Mode und einer bewussten Ästhetisierung von Politik und Widerstand, um eine Ahnung zu vermitteln, was uns bevorstehen könnte, wenn die Globalisierung in Panik gerät. Interessant ist hier, dass dem Komplex der politischen Militanz, so wie ihn auch Negri/Hardt in ihrem Buch exponieren, eine Dimension hinzugefügt wird, die in »Empire« völlig ausgeblendet wird: Was wird eigentlich aus der Energie und dem Begehren, das die Menschen positiv an die Warenwelt und die kapitalistischen Lebensformen knüpft, nachdem sie sie verlassen oder zerstört haben, und warum sollten sie überhaupt darauf verzichten wollen? In diesem »Attachment« besteht ja gerade die ungeheure Sogwirkung des »capitalist way of life«. Der Film »Get Rid of Yourself« arbeitet in Bezug auf ein bestimmtes idealistisches linkes Vokabular mit situationistisch-distinktivem Pathos, reproduzieren darin jedoch gleichzeitig den Machismo-Mythos des militanten Straßenkämpfers eins zu eins.

Mit Distinktion gegenüber linken Mythen arbeitet auch der Musiker, Labelgründer (Comatonse Recordings6) und Queer-Aktivist Terre Thaemlitz, ist darin jedoch viel radikaler und genauer, gerade weil er die viel geschmähte Queer Politics in seinem Universum reflektiert und nicht als »Nebenwiderspruch« verbannt. Sein dekonstruktiver Umgang mit den Codes der Popgeschichte und deren impliziten politischen Phantasien erteilen jedem Unmittelbarkeits- und Ausdrucksfetisch eine ästhetisch präzise Absage, ohne einen schlechten Gegensatz zwischen Kultur und Politik aufzumachen. So hat er auf dem »Kommunismus-Kongress« auch seine tiefe Skepsis gegenüber dem Konzept der Liebe im Zusammenhang mit Fragen eines zukünftigen Kommunismus Ausdruck verliehen: Wenn wir uns alle lieben, kommt ganz sicher kein Kommunismus dabei heraus, weil Liebe eben auch alle möglichen Formen von Gewalt legitimieren kann und Machtverhältnisse voraussetzt. Auch wenn es die Position gibt, den Kitsch am Ende von »Empire« als camp zu verstehen, möchte ich doch vorschlagen, die kursiv gedruckten Spracheruptionen über Liebe und Militanz durch die neue CD »Lovebomb« von Terre Thaemlitz zu ersetzen und einfach zu hören, was passiert.

 

 

1 Original: Harvard University Press, 2000. Deutsche Ausgabe im Campus Verlag, 2002.
2 http://www.kommunismuskongress.de
3 Berlin 2002.
4 Vgl. Weltordnungskrieg: Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung. Bad Honnef 2003.
5 http://www.kanak-attak.de
6 http://www.comatonse.com