Heft 4/2003 - Netzteil


Selbstreflexive Signale

Ernsthaftigkeit und Analyse bestimmten das Amsterdamer Festival »Next 5 Minutes 4 – International Festival of Tactical Media«

Martin Conrads


Die vierte Ausgabe des seit 1993 in unregelmäßigen Abständen in Amsterdam stattfindenden »Next 5 Minutes«-Festivals für taktische Medien war zu weiten Teilen von einer Atmosphäre geprägt, der nichts entfernter schien als die Idee des Aufbruchs und in der insgesamt die Reflexion über die aktuelle Wirksamkeit der eigenen Mittel überwog. War es beim letzten Festival (im März 1999) noch die Regel, sich dank erbrachter netzkultureller Pionierarbeit auf der effektiven Seite taktischer Medien zu verorten, so bildet diese Art der Selbstbezüglichkeit nun eher die Ausnahme.

Es war durch und durch spürbar, dass einschlägige Geschehnisse der Zeit seit »Next 5 Minutes 3« ihre Spuren in der diesjährigen Festivalkonzeption und den auf der Veranstaltung geführten Diskussionen hinterlassen hatten1 – Ereignisse und deren Konsequenzen, für die stichwortartig Begriffe wie Seattle, Genua, 9/11, Dotcom-Crash, die Kriege in Afghanistan, dem Irak und in Jugoslawien stehen.

Aber auch noch der Nachhall der Publikation von »Empire« und die Effekte der Gründung der Indymedia Center seit 1999 bestimmten die Themen von »n5m4« mit: Anders als noch beim letzten Festival ging es heuer nicht nur um Themen, die partikulare oder lokale Situationen benennen, sondern auch – mehr denn zuvor – um ein oft beschworenes »Ganzes«. Obwohl die einzelnen Schwerpunkte »The Reappearing of the Public«, »Deep Local«, »The Tactics of Appropriation« und »The Tactical and the Technical«, zumeist in Workshops und Filmsektionen, die dem Festival eigene Empathie für lokale Agenden betonten, dominierten in den übergreifenden Diskussionen die großen, globalen Themen. So waren es hauptsächlich das Einführungspanel oder jenes zur Kritik von Biotechnologie bzw. die Abschlussdiskussion, Filmsektionen wie »Global Conflicts« und Filme wie (der stark emotionalisierende und in seinem Appellcharakter letztlich essenzialistische) »The Fourth World War«2, wie auch etwa die Live-Schaltungen zum WTO-Gipfel in Cancun, welche demonstrierten, dass Forderungen nach einer anderen Globalisierung und die Politik taktischer Medien in ihren Zielen (Internationalismus, Solidarität, Mobilisierung etc.) zusammengefunden haben. Was dies jedoch jenseits der Ziele hinsichtlich des konkreten Gebrauchs, der Strategien und der Definition taktischer Medien bedeutete, wurde häufig als mindestens problematisch, wenn nicht als Krisensituation vermerkt. Für das Genre der taktischen Medien, das weite Teile des netzkulturellen und netzaktivistischen Diskurses der neunziger Jahre mitbestimmt hatte, wurde heuer ein Zustand benannt, nach dem sich gerade das Internet auf für Aktivismen unvorteilhafte Weise verändert habe.

So stellte sich n5m4 als ein Festival dar, das vor allem von Analyse, aber auch von verlegener Ernsthaftigkeit bestimmt war. Euphorisches jedenfalls gab es kaum zu beobachten; indes, dass dies so war, sollte als positives, als selbstreflexives Signal gewertet werden: Die Zeit, in der noch Subversion, aktivistische Netzkunst, Fake, »Adbustertum« und »Hacktivismus« als Methoden für den Gebrauch taktischer Medien hochgehalten wurden (wie noch 1999) sind vorbei. Nun kann es nicht mehr bloß darum gehen, das Bild anzugreifen, sondern, so schien die Losung, die das Verhältnis von politischer Macht und medial vermitteltem Wissen konstituierenden Strukturen selbst zu erfassen und auf sie realpolitisch einzuwirken. Genau dort aber beginnt die Crux der Taktik, bedeutet dies doch auch den Abschied von Symbolpolitik bzw. der Zulänglichkeit der nur richtigen medialen Repräsentation.

Schon in der einführenden Debatte zur Aktualität des »Multitude«-Begriffs zeigte sich eine Kluft zwischen Anspruch und Wirksamkeit. Von einigen an den Panels Beteiligten als »Mythos« gekennzeichnet oder als irreführendes Werkzeug für Repräsentation charakterisiert (als Beispiel dienten die Anti-Kriegs-Demonstrationen vom 15. Februar 2003), wurde der Begriff gerade nicht zum Leitmotiv des Festivals. Dass voreiliger Konsens in Amsterdam kein Thema war, spricht so auch von dem Vermögen des Festivals, weiterhin anschlussfähige Kritik zu produzieren. Geert Lovinks neues Buch »My First Recession«, das während des Festivals gelauncht wurde und in dem sich der Autor im Sinne eines »radikalen Pragmatismus« und anhand einer Analyse von Mailinglisten wie Syndicate, Xchange oder Oekonux vehement für eine Fortschreibung von Netzkritik einsetzt, mag dieses Erbe der neunziger Jahre am pointiertesten mit der in Amsterdam vorgefundenen Situation in Verbindung bringen: »Die Gesellschaft globaler Netzwerke ist nicht länger ein Versprechen, sondern fluide und schmutzige Wirklichkeit. Anstatt nun wieder die nächste Zukunft auszurufen, sollte es interessanter sein, davon auszugehen, dass wir genau dort schon angelangt sind, und deren Mechanismen zu untersuchen.«3

Was n5m4 betrifft, so war dies keineswegs, wie es Lovink vor Ort ausgemacht zu haben meinte, das Festival, auf dem Kunst und Aktivismus endlich zusammengefunden hätten. Die bei dem Präsentationspanel »Tactical Cartography: Diagrams of Power – Visualising for the Public Eye« vorgestellten Arbeiten von Bureau d’études und Richard Rogers (»Issue Atlas Project«) zumindest konnten nicht wirklich vermitteln, dass hier ein direkter Anschluss an aktivistische Praxen außerhalb von Kunst gefunden worden wäre: Wo der für Bureau d’études sprechende Brian Holmes in den Arbeiten der Gruppe eine Visualisierungsstrategie sah, welche genau jene Vorherrschaft reflektiere, die die Identifikation mit dem dargestellten System erst hervorgebracht habe, kritisierte Rogers die Bureau-Karten als »positivistisches« Unterfangen. Aus dem Publikum warf Ted Byfield im Hinblick auf Rogers’ Projekt ein, dass dieses keine Karten, sondern Diagramme produziere, und Felix Stalder wies den Bureau-Ansätzen einen einheitlichen, simplifizierenden Charakter zu, der paradoxe Strukturen des dargestellten Systems nicht berücksichtigen könne. An dieser Diskussion zeigte sich erneut, dass, auch wenn derlei Karten als künstlerische Visualisierungsstrategien funktionieren, sich die Frage nach deren Anwendbarkeit und der Verlässlichkeit der verwendeten Daten im Hinblick auf daraus zu gewinnenden Möglichkeiten taktischer Praxis nicht automatisch ergibt.

Dass diese Diskussion eher eine Problematik des Umgangs mit taktischen Medien als mit Kunst spiegelt, bestätigte die Abschlussdiskussion »Crisis in Tactical Media«. Hier wurde die für ein Festival zu taktischen Medien gleichermaßen fundamentale wie fatale Frage aufgeworfen, was diese denn eigentlich seien. Joanne Richardson nannte als funktionierendes Beispiel für taktischen Mediengebrauch ein Webforum rumänischer Neonazis und untermauerte so ihre These, dass der Gebrauch taktischer Medien in dem Maße hinfällig geworden sei, in dem sich der Begriff entleert habe und man dringend einen neuen benötige. Und David Garcia, einer der Begründer und Veranstalter des Festivals, beklagte sich darüber, dass in der Aktivismusszene zwar Nerds und AktivistInnen, jedoch keine Divas mehr anwesend seien, das Feld somit »unsexy« geworden sei. In diesem Bereich des notwendig Spekulativen wurde denn auch die Frage aufgeworfen wurde, ob ein nächstes »Next 5 Minutes«-Festival überhaupt erforderlich sei.

»When a conflict is not productive, you just leave it« – vielleicht hat Garcia dabei an jene (in anderem Zusammenhang geäußerten) Worte von Brian Holmes aus der Eröffnungsdiskussion gedacht. Die vierte Ausgabe von n5m war ein Festival, dessen tatsächliche Produktivität sich möglicherweise erst im Nachhinein entfalten wird (in der Zeit bis zu den zu begrüßenden nächsten n5m). Ein Prüfstein werden die Veranstaltungen der »WE SEIZE!«-Gruppe sein, die parallel zum WSIS, dem von der UNO organisierten »Weltgipfel der Informationsgesellschaft«, im Dezember in Genf stattfinden. Dass das als öffentliche Diskussion konzipierte, erstaunlich gut besuchte Arbeitstreffen der Gruppe während der Veranstaltung erst nun, nämlich auf der entsprechenden Mailingliste4, konsolidierende Effekte zeitigt, spricht dafür, dass n5m4 auch von einer nachträglichen Produktivität gekennzeichnet ist. Und obwohl man sich, wie gelegentlich zu hören war, von der (politischen, ökonomischen und technologischen) Entwicklung überrannt fühlte, blieben kulturpessimistische Lamentos weitgehend aus – oder wie es Lovink in seiner modernistischen Art resümierend formulierte: »Nach wie vor rast die Weltgeschichte voran.« Und der Marsch durch die Institute und NGOs hat eben erst begonnen.

 

 

1 Den »Next 5 Minutes 4« waren, über das Jahr verteilt, so genannte »Tactical Media Labs« in verschiedenen Städten vorausgegangen.
2 Big Noise Films 2003 (http://www.bignoisefilms.com)
3 Geert Lovink: My First Recession. Critical Internet Culture in Transition, Rotterdam: V2_/NAi Publishers, 2003, S. 34 (Übers. des Verf.).
4 http://www.geneva03.org / http://lists.emdash.org/mailman/listinfo/prep-l

Next 5 Minutes 4, De Balie, Paradiso, Melkweg und andere Orte in Amsterdam, 11. bis 14. September, http://www.next5minutes.org