Heft 2/2004 - Lektüre



Büro trafo.K/Renate Höllwart, Charlotte Martinz-Turek, Nora Sternfeld und Alexander Pollak (Hg.):

In einer Wehrmachtsausstellung

Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung

Wien (Turia + Kant) 2003 , S. 76

Text: Jo Schmeiser


Wie können zeithistorische Themen wie Nationalsozialismus und Shoah in einer Ausstellung vermittelt werden? Welche Gefahren und welche Potenziale liegen in neuen Ansätzen professioneller Vermittlungsarbeit, wenn sie auf diese Themen angewandt werden? Wie können VermittlerInnen die Bedeutung und Nachwirkung der Vergangenheit in der Gegenwart bestimmten Publikumsgruppen, etwa jugendlichen BesucherInnen, bewusst machen? Anhand des Vermittlungsprogramms, das sie für die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« entwickelten, und anhand der Reaktionen von BesucherInnen der Ausstellung im Jahr 2002 in Wien reflektieren die AutorInnen und HerausgeberInnen des Buches »In einer Wehrmachtsausstellung – Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung« unterschiedliche Konzepte und Methoden zur Vermittlung der NS-Verbrechen. Die AutorInnen haben sich ein vergleichsweise neues, doch nicht ganz einfaches Ziel gesetzt. Zum einen will die Anthologie einen grundlegenden Beitrag zur aktuellen Diskussion von Nationalsozialismus, Antisemitismus und Shoah leisten, indem etwa nach deren konkreten Wirkungen in der Gegenwart gefragt wird. Zum anderen soll sie als Basiswerk zur theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit Vermittlungsprogrammen in Ausstellungen dienen.

Der erste Teil des Buches widmet sich der konkreten Vermittlungsarbeit in der Ausstellung und unterschiedlichen Vermittlungsmethoden. Diskutiert werden deren Möglichkeiten und Grenzen im Umgang mit dem Nationalsozialismus sowie die Verbindung von Kunst- und Geschichtsvermittlung. Beiträge zu Abwehrhaltungen und Vermeidungsstrategien in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus schließen den Teil ab. Im zweiten Teil des Buches liegt der Schwerpunkt auf der historischen und aktuellen wissenschaftlichen Forschung zur NS-Vergangenheit in Österreich. Alexander Pollak gibt einen Überblick über die Anzahl und den thematischen Fokus soziologischer Studien zur NS-Vergangenheit seit 1945. Ines Garnitschnig und Stephanie Kiessling diskutieren die Ergebnisse einer Studie, die sie im Rahmen der Ausstellung durchführten. Über Angaben auf Fragebögen und Wortmeldungen in Gruppendiskussionen wird untersucht, wie sich Jugendliche auf die NS-Zeit beziehen, welche Verbindungen sie zu ihrem Alltag und ihrer Familiengeschichte herstellen. Und es wird die Frage gestellt, welche Vermittlungsansätze den Jugendlichen die Beschäftigung mit dem Thema erleichtern bzw. erschweren. Die vielen – und viel sagenden – Zitate der Jugendlichen werden nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurse zu NS-bezogenen Themenfeldern wie etwa Restitution einer eingehenden Analyse unterzogen, sondern immer auch vor der explizit oder implizit miterzählten Familiengeschichte untersucht.
Genau dieser Punkt, das Zusammenwirken von Familienerzählung und offizieller Geschichtstradierung macht den Beitrag von Garnitschnig und Kiessling so interessant und für die Lektüre des Buches so wesentlich. Sie nehmen in den Blick, welche Jugendlichen aus welcher gesellschaftlichen Position sprechen. Und sie fragen nach den unterschiedlichen historischen und aktuellen Elementen, die diese Positionen und das Sprechen, das von ihnen ausgeht, bedingen und bestimmen: Familienhintergrund und Verhalten der Familie in der NS-Zeit, Herkunftsland und politische Sozialisation, Zugehörigkeit zur Mehrheit oder zu einer Minderheit und entsprechende Erfahrungen mit Rassismus in Österreich etc. Es ist dieses Fragen und Kontextualisieren, das die anderen Texte, retrospektiv betrachtet, fast durchgängig vermissen lassen: Wer spricht oder vermittelt aus welcher Position? Wie kommt es zu dieser Position? Und was bedeutet das Sprechen und Handeln, das von ihr ausgeht, an welchen Orten? Doch vielleicht ist gerade diese, von mir als solche bezeichnete »Leerstelle« bezeichnend – auch für meine Sprecherinnenposition. Sie könnte also auch eine »Lehrstelle« sein. Eine Stelle, die es für die LeserInnen zu erforschen und zu reflektieren gilt.