Heft 3/2004 - Netzteil


Der Terror des geistigen Eigentums

Der Prozess gegen das Critical Art Ensemble

Felix Stalder


Zunächst zu den bisherigen Ereignissen: Am 11. Mai 2004 fand Steve Kurtz, Mitbegründer des Critical Art Ensemble (CAE), seine Frau und künstlerische Partnerin Hope Kurtz bewusstlos in ihrem Bett. Die über den Notruf herbeigeholten Sanitäter konnten nur noch Herzstillstand feststellen. Sie war im Schlaf gestorben. Die Polizei wurde mit der Untersuchung der Umstände ihres Todes betraut – gemäß der üblichen Verfahrensweise, die hier jedoch auch schon endet. Als die Polizei das Haus betrat, entdeckte sie vermeintlich verdächtiges Material, nämlich die biotechnologische Ausstattung, die das CAE für sein jüngstes Projekt »Contestational Biology« benutzt hatte. Die Polizei wurde daraus jedenfalls nicht schlau, dachte sofort: »Terrorismus«, rief das FBI und die Joint Terrorism Task Force, eine Unterabteilung des Verteidigungsministeriums. Mit voller Einsatzkraft und in Montur kam diese an, sperrte den gesamten Block rund um das Haus ab, führte eine umfassende Durchsuchung durch, beschlagnahmte die gesamte Ausstattung, die sie finden konnte, Computer und Arbeitsmaterialen wie auch die Leiche von Hope Kurtz. Alles unter dem Terrorismusverdacht. Kurtz wurde für 24 Stunden inhaftiert, illegal, wie sich später herausstellen sollte. Für einige Tage war es ihm nicht möglich, zu seinem Haus, das immer noch als »Gesundheitsrisiko« galt, zurückzukehren.
Anfang Juni bekamen Kurtz und sieben KünstlerInnen, allesamt aus dem Umfeld des CAE, Vorladungen vor ein Bundesgericht (die so genannte Grand Jury). Im amerikanischen Rechtssystem entscheidet die Grand Jury darüber, ob der Staatsanwalt Untersuchungen in einem Fall einleiten kann oder nicht. Die Vorwürfe betrafen Bioterrorismus. Diese Kategorie wurde im Anti-Terrorism Act von 1989 definiert und durch den USA Patriot Act ausgedehnt, der in unmittelbarer Nachwirkung des 11. September 2001 verabschiedet wurde. Spätestens hier hätte es aufhören müssen.
Es ist schlichtweg unmöglich, die gewöhnliche und eher simple Ausrüstung, die in Kurtzs Haus gefunden wurde, wie auch irgendeine Tätigkeit der CAE mit Bioterrorismus in Zusammenhang zu bringen. Die Maschinerie aber arbeitete bereits auf Hochtouren und zwei Wochen später gab das Bundesgericht die Zustimmung zur Anklage von Kurtz. Mittlerweile hatte sich jedoch die Anklage völlig geändert. Statt Bioterrorismus betrafen die Vorwürfe nun den illegalen Besitz von Mikroorganismen im Wert von 256 Dollar. Dabei handelt es sich um eine Probe Serratia marcescens, ziemlich harmlose Bakterien, die in der Vergangenheit häufig in Schulexperimenten ihrer grellen roten Farbe wegen zum Einsatz kamen. Kurtz und Dr. Robert Ferrell, ein Genetikprofessor an der Universität Pittsburgh, der Kurtz die Probe zur Verfügung gestellt hatte, wurden am 8. Juli offiziell angeklagt. Weil sie das Internet nutzten, um die Probe zu kaufen, und die Post, um sie liefern zu lassen, wurden ihnen »wire fraud« und »mail fraud« zur Last gelegt – ein zu schwer wiegender Tatbestand, als dass man ihn einfach als »Postbetrug« übersetzten könnte. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu 20 Jahre Haft. Zwischenzeitlich wurden weiter Vorladungen verschickt, unter anderem an Autonomedia, den Independent-Verleger aller CAE-Bücher.
Claire Pentecost, Sprecherin des Verteidigungsfonds der CAE, teilte während einer Diskussion im September in der Wiener Public Netbase mit, das Verfahren stehe momentan still. Die Gerichtstermine werden Ende Oktober bekannt gegeben; erste Anhörungen und Verhandlungen werden für den kommenden Frühling erwartet. Bis dahin könnten sich die Gerichtskosten für jeden Angeklagten auf knapp 100.000 Dollar belaufen.
Was soll man von diesem Fall halten? Verfolgt der Staat kritische KünstlerInnen, welche seit Jahren an den Grenzbereichen der Legalität experimentieren? Immerhin war es doch das CAE, das seit Mitte der neunziger Jahre zum »elektronischen zivilen Ungehorsam« aufgerufen hat. Oder läuft hier eine Untersuchung unter einem Staatsanwalt, der sein Gesicht nicht verlieren will, nachdem der ursprüngliche Terrorismusfall zusammenbrach, Amok? Wir wissen es nicht, vielleicht spielt beides eine Rolle. Am auffälligsten ist gar nicht die Leichtigkeit, mit der man dieser Tage unter Terrorismusverdacht geraten kann. In diesem Punkt waren die Ereignisse – verglichen mit einer Verwahrung in Guantanamo oder Isolationshaft in den USA (oder auch Europa) – doch relativ harmlos. Wäre Kurtz Araber oder Moslem, er hätte als »enemy combatant« (feindlicher Kämpfer) eingestuft werden können und damit all seine Bürgerrechte verloren. Unspektakulärer und aber viel heimtückischer ist der neue Anklagegrund.
Er betrifft nicht die materielle Natur der Bakterien – sie stellen ja keine »controlled substance« dar –, sondern vielmehr ihren Status als geistiges Eigentum. Darin verdeutlicht sich die zunehmende Rolle des geistigen Eigentums in Wissenschaft und Forschung sowie die Art und Weise, wie dies nicht nur fundamentale wissenschaftliche Prinzipien der Offenheit und Zusammenarbeit untergräbt, sondern allgemeiner den Austausch von Information und Wissen in der Gesamtgesellschaft hemmt.
WissenschaftlerInnen, die mit Organismen arbeiten, benötigen für ihre Forschung möglichst reine Proben. Diese Proben kann man von Firmen kaufen, die solches Rohmaterial in standardisierter Qualität anbieten.
Die Standardisierung ist wichtig, um ein Experiment kontrollieren und reproduzieren zu können. Dieser Tage stellt der Erwerb jedoch nicht mehr eine einfache Kaufhandlung dar. Um Proben, selbst harmlose wie die von Ferrell an Kurtz weitergegebene, zu bekommen, muss ein Vertrag unterschrieben werden, ein so genanntes »Material Transfer Agreement« (MTA). Dieser Vertrag regelt das Nutzungsrecht des Wissenschaftlers an der Probe. So verbietet etwa ein Standard-MTA ausdrücklich die Weitergabe des Materials an laborfremde Dritte. Dies ist nun aber genau das, was Ferrel tat, als er Kurtz, den er seit Jahren kannte und schätzte, die Probe gab. Das ist üblich und akademische Praxis. Forschung ist ähnlich wie Kunst ein offener und gemeinschaftlicher Prozess, der am besten funktioniert, wenn Menschen leicht und ungehindert kommunizieren können. In den »Life Sciences« beinhaltet diese Kommunikation auch die gemeinsame Verwendung von Proben. Natürlich gibt es dazu Sicherheitsvorschriften. Natürlich wurden keine gebrochen. Was gebrochen wurde, waren die geistigen Eigentumsrechte der Firma, welche die Probe produzierte und sie an Ferrel unter Ausstellung eines MTA verkaufte.
Es handelt sich hier um einen Kampf zweier Weltsichten. Die eine ist die offene Kultur der Wissenschaft, die andere die geschlossene Kultur des Eigentums. In den letzten Jahren nahm der Einflussbereich des geistigen Eigentums deutlich zu. Mehr und mehr Informationen und das diese Informationen verkörpernde Material können auf Basis von Urheberrecht und Patentgesetz zu Eigentum gemacht werden. Information, die sich im Privatbesitz befindet, kann von Dritten nur unter Zustimmung des Eigentümers verwendet werden. Das hat weit reichende negative Konsequenzen. Erstens: Die Klärung von Eigentumsverhältnissen macht Standardvorgänge kompliziert und teuer, was letztlich auch die Vielfalt an bestimmten Forschnungsfragen partizipierender Menschen und Institutionen einschränkt. Zweitens: Der Eigentümer hat die Kontrolle über die weitere Verwendung bzw. die weitere Nichtverwendung dieser Information. Er hat dadurch die Möglichkeit, die weitere Entwicklung der Wissenschaft und der Kultur zu steuern. Letztlich wird damit eine Situation geschaffen, in der es beinahe unmöglich wird, die normale Praxis effizient fortzusetzen, ohne irgendwelche geistigen Eigentumsrechte zu verletzen. Material im Wert von 256 Dollar zu teilen ist definitiv innerhalb deren Grenzen akademische Praxis; in der wirklichen Welt wird Forschung so betrieben. In den Händen eines übereifrigen Staatsanwalts jedoch wird dieses ethisch zweifelsfreie Handeln zum Vergehen, das die gesamte Karriere bedrohen kann. Diese Art der Verunsicherung ist, gewollt oder nicht, die Hauptaussage des Prozesses gegen das CAE: Nicht auffällig werden, denn für WissenschaftlerInnen oder KünstlerInnen stehen die Chancen gut, gegen geistige Eigentumsrechte zu verstoßen. Und sind diese Verstöße zu klein, um wirklich zu zählen, kann der Beweis eben dieser Geringfügigkeit immer noch ein Vermögen kosten.

CAE Defense Fund, http://www.caedefensefund.org
CAE-Website, http://www.critical-art.net
Videostream der Diskussion mit Brian Holmes und
Claire Pentecost (Wien, 15. September 2004) unter
http://www.t0.or.at/t0/caedefense/deutsch/

 

Übersetzt von Brandon Walder