Heft 3/2004 - Lektüre



Gerald Raunig (Hg.):

Bildräume und Raumbilder

Repräsentationskritik in Film und Aktivismus

Wien (Turia + Kant) 2004 , S. 73

Text: Jens Kastner


Keine Proteste ohne Videodoku, kein Grenzcamp ohne Medienzelt, keine Bewegung ohne Indymedia: Die Öffentlichkeit sozialer Bewegungen ist seit dem zapatistischen Aufstand 1994 und den Anti-WTO-Protesten von Seattle 1999 mehr denn je mit der Frage ihrer eigenen Herstellung verknüpft. Als umkämpfter Ort ist die Öffentlichkeit auch ein Raum, so die Dokumentarfilmerin und Kulturtheoretikerin Hito Steyerl, in dem Wahrheit nicht nur verhandelt, sondern auch gemacht wird. Michel Foucault nannte diesen Prozess »Politik der Wahrheit«.
Um Fragen dieser Art von Politik dreht sich der von Gerald Raunig herausgegebene Sammelband. Die Reflexion politischer Aktivismen wird dabei ebenso betrieben wie diejenige künstlerischer Strategien, Beiträge zur aktuellen Filmtheorie finden Platz neben gesellschafts-theoretischen Überlegungen. Gemeinsame Klammer der Beiträge, die aus zwei Workshops des Wiener European Institute for Progressive Cultural Politics (eipcp) hervorgegangen sind, ist die Kritik an Techniken der Repräsentation. Ist der Begriff als Ablehnung politischer Vertretungen Konsens, sind Repräsentationen im Sinne filmischer oder künstlerischer Darstellung durchaus umstritten. Die Aufsätze bewegen sich zwischen den Polen Raum, Bild und Politik. Gerahmt sind sie von theoretischen Positionen, vor deren Hintergrund diese Begriffe überhaupt erst gemeinsam zu diskutieren sind: Also weniger Marx/Engels und Horkheimer/Adorno als vielmehr Negri/Hardt und Deleuze/Guattari.
Boris Buden erläutert, warum der öffentliche Raum, der in den theoretischen Konzepten der traditionellen und neuen Linken als zentraler Ort politischer Auseinandersetzung immer eine immense Rolle spielte, in poststrukturalistischen Ansätzen kaum vorkommt. Statt der Konfrontation antagonistischer Kräfte und Interessen ist Politik hier eher konzipiert als Übersetzungsleistung im kulturellen Feld. Öffentlichkeit verliert ihre zentrale Bedeutung als Ort der Transparenz und Verhandlung. Stattdessen gewinnt der »Raum der Subversion, der Transgression, der Blasphemie, der Häresie« (Buden) an Bedeutung auch für emanzipatorische Politik.
Einer gut zu heißenden linken Praxis widmen sich gerne solche AutorInnen, die, wie Antonio Negri, der Tradition des italienischen Operaismus entstammen. In seiner Aktualisierung des Autonomiebegriffes betont Franco Berardi Bifo dessen Prozesscharakter. Autonomie heute bedeute nicht die Konstruktion eines wesenhaften, starken Subjekts, sondern »die kontinuierliche Veränderung sozialer Beziehungen«. Und Maurizio Lazzarato hebt die Möglichkeiten hervor, die neue Subjektivitäten in Bezug auf »raumzeitliche Gefüge« hervorbringen. Weder Optimismus noch Antiessentialismus ist an solchen Positionen problematisch. Bedenklich ist hingegen, wenn Berardi Bifo die Prekarisierung der Arbeit als verspäteten Erfolg der Bewegung (und ihrer gezielten Arbeitsverweigerung) interpretiert, weil sie eine »Form der Autonomie von der kontinuierlichen regulären Arbeit« sei.
Zeitdiagnostisch triftiger und politisch angemessener erscheinen da die Beiträge von Alice Creischer/Andreas Siekmann oder Hito Steyerl. Creischer/Siekmann stellen ausgehend von einer ökonomiekritischen Untersuchung der Wirtschaftskrise in Argentinien die »Zurichtung und Freisetzung von öffentlichem Raum« dar. Einerseits schildern sie dabei die Räumung von Orten, an denen sich die neuen sozialen Bewegungen im Anschluss an die Dezember-Krise versammelt hatten als »neuen Standard von Staatsgewalt«. Zum anderen entgehen ihnen aber auch politische Strategien nicht, die gerade durch das Aufgreifen ehemals oppositioneller Slogans »Subersivität in ein Instrument der Kontrolle« verwandelt haben. Auch Hito Steyerl zeigt, wie eng Machttechniken und Subversion manchmal beieinander liegen. Ihr eigenes Medium reflektierend, beschreibt Steyerl dokumentarische Formen als solche, die Wahrheit weniger abbilden als selbst erst hervorbringen. Indem das Dokumentarische Handlungen und Haltungen nahe legt, vorschlägt oder direkt hervorruft – in der parteiischen Demo-Berichterstattung prinzipiell nicht anders als in der Kriegspropaganda –, erweist es sich als Regierungstechnik im Sinne Foucaults. Dass es keine abzubildende Wahrheit mehr gäbe, will Steyerl damit allerdings nicht sagen. Am Beispiel dokumentierten Unrechts wird ein Dilemma deutlich, denn hier kommt der relativistische Ansatz, der das Bild als pures Konstrukt sieht, dem revisionistischen verdammt nahe, der die gezeigten TäterInnen entlasten will. Genaues Hinsehen, Momente der Wahrheit »gründlich zu lesen und zu bergen« schlägt Steyerl als möglichen Ausweg vor.
Probleme der Wahrheitsproduktion allerdings sind weder auf Film und Fotografie beschränkt, noch sind sie in jedem Fall gleich auf der Höhe der Theorie. Was den vorliegenden Band so lesenswert macht, ist unter anderem die Mischung an verschiedenen Textsorten.
Filmtheoretische Abhandlungen neben der Schilderung eines indigenen Filmprojekts in Mexiko, Theorien zum Kulturwandel der Öffentlichkeit neben Berichten zur Besetzung der ehemaligen somalischen Botschaft in Brüssel oder vom Grenzcamp in Strasbourg 2002: Nicht, dass diese Reportagen sich um theoretische Einordnung nicht bemühen würden oder hier ein Versäumnis des Herausgebers vorläge. Neben manch medientheoretischem Hochtrab ist es nur angenehm zu lesen, wie sich die soziale Praxis geriert. »Der eine Kilometer vom Eingang bis zum hinteren Ende des Geländes«, schreibt Marion Hamm in ihrem Beitrag zu Kommunikationsstrategien beim Treffen der GlobalisierungskritikerInnen in Strasbourg, »war in gewisser Weise länger als die 3.000 Kilometer zwischen zum Beispiel Wien und London in der internetgestützten Vorbereitungsphase«. Als einen »Ort der Krise« beschreibt auch Tristan Wibault jene leerstehende und von Papierlosen besetzte »Universal Embassy«. Dass Menschen hier einerseits selbstorganisiert ihr Elend verwalten, andererseits neue Kollektivitäten und Repräsentation »im Kommen« formieren, könnte auch als Botschaft des Buches betrachtet werden. Universell ist sie nicht.
»Wir sind uneinig, das ist schlecht. Nein, das ist gut, das ist Bewegung«, zitiert Michaela Pöschl in ihrem Beitrag über Peter Watkins’ Film »La Commune« aus Bertolt Brechts »Die Tage der Kommune«. Uneinheitlich sind auch die Beiträge dieses Bandes. Und das ist gut.