Heft 3/2004 - Artscribe


Olafur Eliasson:

»Camera Obscura für die Donau«

26. Juni 2004 bis 1. Januar 2005
Rollfähre Spitz an der Donau / Rossatz-Arnsdorf

Text: Susanne Neuburger


Spitz an der Donau. Olafur Eliassons »Camera Obscura für die Donau« ist die erste Arbeit eines von Brigitte Huck kuratierten Projektes, das von »niederösterreich kultur. kunst im öffentlichen raum« über einen längeren Zeitraum in der Wachau veranstaltet wird und im Juni eröffnet wurde. Im niederösterreichischen Engtal der Donau zwischen Melk und Krems, das auf einer Strecke von 35 Kilometern keine Brücken hat, installierte der Künstler auf einer der behäbigen Rollfähren eine Camera Obscura. Zu diesem Zweck wurde die kleine Bordkabine der Fähre, die Spitz an der Donau mit Rossatz-Arnsdorf verbindet, in eine Art Black Box verwandelt, in der auf zwei nebeneinander in Augenhöhe installierten Bildschirmen die beiden Uferlandschaften der Donau mittels einer mit Linsen und Spiegeln aufgerüsteten Camera Obscura zu sehen sind. Mit dem Ablegen der Fähre, die zehn Minuten für eine Überquerung benötigt, kommen die Bilder langsam im Rhythmus der Überfahrt in Bewegung.
Die Camera Obscura ist ein wichtiges Arbeitsmodell Eliassons, die schon in vorhergehenden Installationen des Künstlers vorkommt. Bisweilen setzt er sie in Verbindung mit dem Panorama ein, das auch in Spitz eine Rolle spielt, indem der begleitende Folder die Landschaft in einem Panoramabild von 360 Grad um die Fähre abbildet. Es ist bekannt, dass Eliasson immer wieder das Verhältnis zwischen den BetrachterInnen und der diese umgebenden Situation untersucht. Die Wachau, als eine der landläufig als besonders malerisch geltenden Gegenden Österreichs, bot eine ideale Voraussetzung um dort, wo es immer auch schon um das bewertete, wenn nicht sogar vermarktete Bild geht, Wahrnehmungsmodelle einzusetzen, die unsere Wahrnehmung noch einmal von Grund auf zu dekonstruieren vermögen.
Die BetrachterInnen, die Eliasson in anderen Arbeiten mit Nebel einhüllt, um sie ins Zentrum zu stellen, sind auf der Fähre verschiedenen Blickstrategien ausgesetzt. Außen auf der Fähre stehend ist die Voraussetzung für einen Panoramarundblick gegeben, während die BetrachterInnen in der Bordkabine mit einem klassischen Kinoblick auf die beiden Bilder schauen. Wie KinobesucherInnen sind sie von der Realität draußen abgeschirmt, nehmen aber, wie es für die Camera Obscura typisch ist, die Bilder lebensechter und schärfer als die Wirklichkeit wahr. Die (geografische) Nähe zu Natur und Landschaft wird im dunklen Innenraum für sie – obwohl in Echtzeit – zu Distanz, Peripherie und Fragment. Fern ist die Stimmung der Bilder, nah sind sie auch deshalb, weil infolge der geringen Größe des Raums die körperliche Nähe zum Bild bestimmend wird.
Sie erinnert an jenes Phänomen der »Greifbarkeit« (Jonathan Crary), das in Zusammenhang mit stereoskopischen Bildern beschrieben wird. Zu diesem Vergleich mit einem optischen Gerät, für das die größte Übereinstimmung zwischen dem Realen und dem Optischen behauptet wurde, verleitet auch das Doppelbild – binokulares Doppelsehen suggerierend –, das schließlich als fiktives, dreidimensionales Bild einer Einheit beider Bilder denkbar wäre. Dieses Gesamtbild ist jedoch ein anderes als das des Panoramas draußen, obwohl Crary für beide Sehweisen – Stereoskop und Panorama – den Verlust eines konsistenten und kohärenten Distanzverhältnisses zwischen BetrachterIn und Bild1 als gemeinsam nennt.
Grundsätzlich stellt Eliasson den prinzipiell historischen Charakter seiner Wahrnehmungsmodelle, wie hier der Camera Obscura, nie in Frage, geht jedoch weit über deren traditionelle Grenzen hinaus, um sie mit vielfachen Referenzen auszustatten, die erst eine Sache nicht nur eindimensional bewertbar und erfahrbar machen.

 

 

1 Jonathan Crary, Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, Frankfurt: Suhrkamp 2002, S.236