Heft 4/2004 - Lektüre



Marjane Satrapi:

Persepolis

The Story of a Childhood

Zürich (Deutschsprachige Ausgabe: Edition Moderne) 2004 , S. 76

Text: Martin Reiterer


»Veiled threat«, »Verschleierte Drohung«, lautet der Titel eines Artikels von Marjane Satrapi, der vor einem Jahr – als die Diskussion um das Kopftuchverbot in französischen Schulen die Köpfe erhitzte – im »Guardian« zu lesen war. Darin bringt die entschiedene Gegnerin der Kopftuchpflicht, die während der Islamischen Revolution im Iran eingeführt wurde, ihre ebenso entschiedene Ablehnung eines inzwischen in Frankreich rechtskräftig gewordenen Kopftuchverbots zum Ausdruck. Das Kopftuchthema durchzieht auch das Comicbuch »Persepolis« der in Paris lebenden Autorin: eine fiktive Comicautobiografie, zugleich Comicreportage über die jüngste Geschichte des Iran seit dem Ende des Schah-Regimes, rund um die als »Kulturrevolution« apostrophierte Islamische Revolution, erzählt aus dem Blickwinkel der kleinen heranwachsenden Marji. Das Kopftuch verknüpft auf exemplarische Weise die unterschiedlichen Ebenen des Comicbuches, deren kunstvolles Ineinander einen wesentlichen Reiz dieser Bild-Text-Erzählung ausmachen. Da ist zum einen die Nahtstelle zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre; als prominentes, wenngleich verkrustetes Symbol des Islam bezeichnet das Kopftuch zum anderen auch die Schnittstelle einer kulturellen Differenz, mithin Schnittstelle einer interkulturellen Wahrnehmung bzw. Bilderproduktion.
Die ursprünglich (2000-2002) in vier Folgen bei dem französischen Comicverlag L’Association erschienenen Geschichten setzen ihre Erfolgslinie (über 300.000 verkaufte Exemplare) nun auch beim deutschsprachigen Publikum fort: Der erste Band – nach dem Vorbild der englischen Ausgabe werden die Comics in der deutschen Übersetzung in zwei Bänden zusammengefasst – ist 2004 herausgekommen, unmittelbar gefolgt von einer zweiten Auflage; das Erscheinungsdatum des zweiten Bandes wurde um ein halbes Jahr noch auf diesen Winter vorverlegt. Zuletzt wurde »Persepolis« als Comic des Jahres 2004 auf der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet.
Dass gerade eine Comiczeichnerin mit Herkunftsland Iran in einem männerdominierten Metier, noch dazu im Westen, den Durchbruch geschafft hat, ist doppelt erfreulich. Das hat einerseits freilich mit einem gesteigerten Interesse am Stoff des Buches zu tun und entspricht damit der Intention der Autorin, das verzerrte Bild des Westens von einem Land zu korrigieren, »das fast ausschließlich mit Fundamentalismus, Fanatismus und Terrorismus in Verbindung gebracht wird«. Der Erfolg von »Persepolis« lässt sich aber auch als ein Zugeständnis an ein Medium verstehen, das sich, der Eigenheit seiner künstlerischen und ästhetischen Ausdrucksmittel bewusst, in den letzten Jahrzehnten abseits einer stereotypen Superheldenindustrie das Terrain ernsthafter Themen und Sujets erobert hat.
Im ersten Band, »Eine Kindheit im Iran«, hat die sechsjährige Marji den Wunsch, als erste Frau Prophetin zu werden. Mit Gott ist sie in regem Kontakt. Als 1979 die Massen auf die Straße gehen, um für die Absetzung des Schahs zu demonstrieren, will es der zehnjährigen noch nicht einleuchten, warum ein vom Gott eingesetzter Schah abgesetzt werden sollte. Dann aber überstürzen sich die Ereignisse, der Schah wird abgesetzt, das Land in einen Ausnahmezustand versetzt, die anfänglichen Hoffnungen einer linken Revolution werden jäh zerstört, das alte Regime von einem neuen, allerdings weit grausameren abgelöst. Der Alltag verwandelt sich in eine Maschinerie von Drohungen, in dem Folter, Hinrichtungen und Massaker diese in Hochbetrieb halten. Mit Hilfe der charmanten kleinen, aber selbstbewusst aufmüpfigen Marji, Tochter wohlhabender, intellektueller wie aufgeschlossener Eltern, gelingt es Satrapi, ein eindringliches und vielschichtiges Bild des Iran der achtziger Jahre zu zeichnen. Um sie schließlich vor den Zugriffen des Fundamentalismus und der zunehmenden Gefahren des inzwischen angezettelten Iran-Irak-Krieges zu schützen, schicken die Eltern die 14-Jährige am Ende des ersten Bandes in eine französische Schule nach Wien.
Der zweite Band (»Jugendjahre«) spielt zur Hälfte in Österreich, wo Marji, nun schon eine junge Frau, abseits des Kriegsschauplatzes mit völlig neuen Schwierigkeiten zu kämpfen hat: In der Isolation und unter dem Druck einer gänzlich anderen Kulturaneignung bzw. -anpassung macht sie Bekanntschaft mit der westlichen freien Liebe, mit Sex und Drogen, aber auch mit einer Realitätsferne, wenn es um die Wahrnehmung von Konflikten im Mittleren Osten geht. Überfordert und ausgelaugt von dem, was sie die »österreichische Niederlage« bezeichnet, kehrt Marjane vier Jahre später in einen Iran zurück, dem sie erwartungsgemäß mit Befremden wiederbegegnet. Doch ihre Berührung mit dem Westen wird auch ihr Verhältnis zu diesem Land grundlegend verändern. Die Rückkehr ist eine auf Zeit. Am Ende verlässt Marjane das Land, nun mit einem abgeschlossenen Kunststudium, ein zweites Mal.
Diese doppelte Hin- und Herbewegung – fortgesetzt in der Schreibposition der Comicautorin – ist wesentlicher Teil des Buches. Die reduktiven Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit ihrer expressiven Sachlichkeit eignen sich einerseits dazu, die heftigen (kulturellen, politischen …) Kontraste festzuhalten, mitunter auch kurzzuschließen – etwa in der Vergleichbarkeit des verbitterten Fundamentalismus der gleichermaßen verschleierten Frauen des Revolutionskomitees und der Nonnen im Wiener Internat –, andererseits die Auflösung der Konturen hinter der Kleiderordnung sichtbar zu machen. Ironie und Witz, oftmals verknüpft mit einer liebenswerten Selbstinszenierung der Protagonistin, sind wirksame Gegenmittel gegen die Stumpfheit der Schrecken. Das Stumpfwerden durch die Schrecken und die paralysierende Angst, die durch ein System »verkopftuchter« Drohungen, ganz zu schweigen von der glatten Gewalt, vorangetrieben werden, erkennt Marjane am Ende als die größten Gefahren, denen die Autorin ihr Comicbuch entgegensetzt.