Heft 4/2004 - Netzteil


Lost & Found (VI)

Das Österreichische Filmmuseum schickt 2005 das restaurierte Werk des Filmemachers Owen Land (Georg Landow) auf Welttournee

Christian Höller


»Die Zeit, die mich am meisten interessiert, ist jene vor dem Danach, mit anderen Worten: das ›Prä-Post‹«. So umriss der Filmemacher Owen Land einmal sein Verhältnis zu Zeitlichkeit und Geschichte. Und in der Tat ist es genau diese verquere Denkfigur, die nicht nur sein Oeuvre – etwa dreißig Filme aus der Zeit zwischen 1960 und 1980 –, sondern auch dessen langsame Wiederentdeckung kennzeichnet. Zweifelsohne umschreibt »die Zeit vor dem Danach« die Eigentümlichkeit des filmischen Moments, der als nicht fixierbarer imaginärer Signifikant im Augenblick seines Erfasstwerdens immer schon vergangen ist. Ein Moment, dem nicht zuletzt der strukturelle Film und Owen Land als einer von dessen Mitinitiatoren konsequentest, bis in die Struktur und Stofflichkeit des Materials hinein, nachgegangen sind. Darüber hinaus benennt das »Prä-Post« aber auch das Hier und Jetzt eines Darauf-Zurückkommens, das Einholen und Antizipieren möglicher Wirkungen, welche der strukturelle und post-strukturelle Film der sechziger und siebziger Jahre immer noch auszuüben vermag.
Dem Projekt »Reverence – The Films of Owen Land (formerly known as George Landow)« ist es nicht hoch genug anzurechnen, das Oeuvre dieses US-amerikanischen Pioniers restauriert zu haben und ab Jänner 2005 an einer Reihe von Präsentationsorten erneut zugänglich zu machen. Initiiert und zusammengestellt vom britischen Filmkurator Mark Webber, kann somit gut die Hälfte des Land’schen Werkes wieder besichtigt werden – eines Werkes, das von inneren Verschränkungen, von »Re-Takes« und »Re-Enactments« ebenso lebt wie vom impliziten Dialog mit seinem institutionellen Umfeld. »Reverence« greift genau diese innere und äußere Verzahnung der Land’schen Filme auf, etwa indem einzelne Re-Takes in wohldosierten Abständen zueinander platziert sind. Schließlich bringt die Schau durch ihre Reihung nach werklogischen, im Gegensatz zu chronologischen Kriterien das besagte »Prä-Post-Verhältnis« zum Vorschein, das – selten genug in der Kunst – frühere Arbeiten aus zeitlich späteren erschließen hilft. Oder, ebenfalls eine Rarität, Filme sich in der Schnittmenge ihres Davor und Danach lokalisieren lassen. Ähnliches gilt im Übrigen auch für den Namen des Filmemachers, der seit einiger Zeit offiziell »Owen Land (formerly known as George Landow)« lautet.

Als Land noch Landow hieß und kaum zwanzig Jahre alt war, gingen aus seiner Hand frühe Meisterwerke des strukturellen Films hervor. Beispielsweise »Film in Which There Appear Edge Lettering, Sprocket Holes, Dirt Particles, Etc.« (1965/66), Landows bis heute bekannteste Arbeit, die genau das enthält, was der Titel verspricht. Ein Teststreifen der Firma Kodak zur Einstellung der Farbbalance dient als Ausgangsmaterial, das Landow neu kadriert und zu einem vierminütigen Loop ausdehnt. Das Ergebnis, in dem P. Adams Sitney nicht weniger als »die Essenz des minimalen Kinos« erblickte – »a found object extended to a simple structure« –, ist in der Tat bestechend: links zwei angeschnittene Kader einer Frau in Rot, daneben Farbbalken, in der Mitte das Führungsloch mit Buchstaben, die am Stand rotieren, rechts noch einmal – stärker beschnitten – das Frauenbild. Eine deutlich sichtbare Klebestelle macht (abgesehen vom Zwinkern der Frau) den Looping-Prozess offenkundig, bevor dieser durch die Staubpartikel, die sich bei jedem Kopierschritt vervielfacht haben, wieder unterlaufen wird. Ein Bild, das sich keinen Millimeter von der Stelle rührt – und sich doch bewegt. Zumindest in kleinen Spurenelementen, die den unheimlichen Anschein einer mobilen Statik erwecken; aber auch im Angesicht der Apparatur, die dem Film bei jedem Durchlauf weitere Spuren, Kratzer, Abnutzungen etc. hinzufügt.
Das immer tiefere Eindringen in die filmische Trägersubstanz führt »Bardo Follies« vor, das in unterschiedlichen Fassungen aus der Zeit von 1967 bis 1976 existiert und in der siebenminütigen Schnellversion »Diploteratology« (1978) eine komprimierte Reprise erfährt. Eine kurze Szene, in der eine Frau einem vorbeifahrenden Boot zuwinkt, wird schrittweise in ihre materiellen Schwundstufen zerlegt: zunächst in kreisförmige Spots auf schwarzem Grund, anschließend durch Eingriffe in das Celluloid selbst (Verbrennen) zu immer bizarreren Abstraktionen. Am Ende (Stufe sechs) steht ein geloopter Rückwärtszoom, der in den Tiefen des verbrannten Filmkorns geisterhafte Gebilde auslotet, bevor er von solcherart monströsen Chimären wieder ablässt. Und in der Tat offenbaren sich dem Auge wundersame Totentänze – so wie man sie an der Oberfläche des Materials (der trivialen Grußszene) nicht für möglich gehalten hätte. Kein Wunder demnach, dass in den Titeln »Bardo« und »Diploteratology« Anspielungen auf das Tibetanische Totenbuch enthalten sind. Wobei Landow selbst sich in den siebziger Jahren vom visionären Buddhisten zum »Liberal Christian« wandelte – eine Wandlung, der er mit der Verve des frisch Bekehrten, obgleich nicht gänzlich unironisch in den Filmen »Thank You Jesus for the Eternal Present« (1973) und »A Film of Their 1973 Spring Tour Commissioned by Christian World Liberation Front of Berkeley, California« (1974) nachging.
Lässt sich in letzterem, vor allem in dessen stroboskopischer Struktur, ein gespaltenes Bewusstsein orten, so sind eine Reihe weiterer Filme subtile Angriffe auf jegliche Form von »falschem Bewusstsein«. »This is a film about you/ not about its maker« heißt es wiederholt in Einblendungen, etwa in »Remedial Reading Comprehension« (1970), der alle möglichen Traumvorgänge letztlich im Auge seiner BetrachterInnen kollabieren lässt. Auch um sich vom lyrischen Kino einer Maya Deren und dessen persönlichen Untertönen zu distanzieren, mit allem, was dazu nötig ist: Werbeslogans, einem davonlaufenden Regisseur (Landow selbst), einem Plädoyer für »wahrlich nahrhaftes Kino«. Falsches Fiktionsbewusstsein wird schließlich auch in einer Reihe von Instruktionsfilmen hintertrieben: »Institutional Quality« (1969) stellt einen Wahrnehmungstest aus und damit bloß, bevor er sich in einer Etüde des richtigen Filmeinlegens in einen Projektor ergeht; »New Improved Institutional Quality« (1976) schraubt solcherlei Institutions- und Apparaturkritik noch einen Dreh weiter, indem der Intelligenztest, den der Film appropriiert, in einem real möblierten Oberstübchen samt Camp-artigem Homunkulus ausgetragen wird.
Landows »Prä-Post-Haltung« sollte einen weiteren Höhenflug erfahren, als er mit »Wide Angle Saxon« (1975) die Initiations- und Bekehrungsrituale des Avantgardefilms selbst auf die Schaufel nahm. Bereits der Titel vermengt ethnisch-religiöse Zugehörigkeit (WASP) und Filmsprache (Weitwinkel). Die Story, in groben, fragmentarischen Zügen durchaus narrativ, tut ein Übriges: Die Hauptfigur Earl Greaves hat nach der Ansicht eines Experimentalfilms (einer Parodie auf Landows eigenen »Remedial Reading Comprehension«) ein Erweckungserlebnis und beschließt fortan, seiner materiellen Besitzungen zu entsagen. In zahlreichen Anspielungen auf das eigene Werk bzw. das seiner Kollegen (Anger, Frampton, Kubelka) kommt implizit das Versagen zur Sprache, eine höhere Form von Intellektualität – nicht zuletzt im Avantgardefilm – zu erlangen. Dazwischen geschnitten ist ein US-Nachrichtensprecher vor dem Hintergrund des Panamakanals, der es nicht und nicht schafft, die Namen der neuen Militärjunta richtig auszusprechen – ein höhnischer Verweis auf chauvinistisch-imperiale Sichtweisen schlechthin. Am Ende dann das geradezu klischeehafte Erwachen: »Oh, it was dream!« Womit Landow einmal mehr die Anmaßung des Avantgardismus bloßlegt, dem Illusionismus wirksam begegnet zu sein.

»Reverence – The Films of Owen Land (formerly known
as George Landow)« ist am 25. und 26. Jänner 2005 im
Österreichischen Filmmuseum zu sehen und tourt anschließend durch Festivals und Institutionen in Rotterdam, London, Barcelona, Paris, New York etc. (Infos unter http://www.filmmuseum.at oder http://www.lux.org.uk). Zur Retrospektive erscheint das Buch »Two Films by Owen Land«, hg. v. Mark Webber, London/Wien 2005.