Heft 4/2004 - Artscribe


»Black Atlantic - Travelling Cultures, Counter-Histories, Networked Identities«

17. September 2004 bis 15. November 2004
Haus der Kulturen der Welt / Berlin

Text: Florian Zeyfang


Berlin. Mit einem Großteil Europas teilt man in Deutschland den Wunsch, die Geschichte der Sklaverei als rein amerikanisches Phänomen zu erinnern. Deutsche Handelshäuser spielten beim internationalen Sklavenhandel im Vergleich mit Spanien, Portugal und den Niederlanden eine eher marginale Rolle, doch es war Berlin, wo 1884 die Kolonialmächte in der Kongo-Konferenz das Terrain unter sich aufteilten und die Grenzen Afrikas neu abgesteckt wurden. Jene mit dem Lineal gezogenen Ländergrenzen bestimmen noch heute die Konflikte auf dem gesamten Kontinent. Dass erst 2003, hundert Jahre nach seiner Veröffentlichung in den USA, ein Standardwerk der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, »The Souls of Black Folks« von W.E.B. Du Bois, in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, mag unterstreichen, wie wenig die Fragestellungen um den Zusammenhang von Moderne und Sklaverei in der hiesigen Kultur Beachtung finden.
Paul Gilroys »Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness« aus dem Jahr 1993 harrt noch der Übersetzung. In diesem Band entwickelte Gilroy jene Theorie, die nun dem Projekt gleichen Namens im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zugrunde liegt. Der Black Atlantic definiert sich nicht durch den Begriff der »Rasse«, sondern durch die so genannte Middle Passage: die durch den Sklavenhandel erzwungene »Migration« über den Atlantik, die untrennbar mit der Geschichte der Kolonialmächte Europas zusammenhängt. Von diesem Ausgangspunkt folgt die Theorie des Black Atlantic den verschlungenen Wanderungen und der von jenen komplex zusammengeworfenen Menschengruppen entwickelten Kulturen, durch die laut Gilroy Sprache, Religion und vor allem Musik neu und zukunftsweisend definiert wurden.
Zusammen mit Peter C. Seel, Tina Campt, Fatima El-Tayeb, Jean-Paul Bourelly und Shaheen Merali entwickelte Paul Gilroy nun eine Veranstaltungsreihe, in der Filmprogramme, Musikveranstaltungen und Podiumsdiskussionen gleichberechtigt neben der hier besprochenen Ausstellung stehen. Wie sehr migrantische Entwicklungen unser Stadtleben beeinflussen, zeigt darin die Arbeit von Lisl Ponger am Beispiel von Wien, wo die gebürtige Nürnbergerin lebt und arbeitet. Ponger sammelte für »Phantom Fremdes Wien« in den Jahren 1991 und 1992 Bilder von Festen, Hochzeiten und Tänzen verschiedener Bevölkerungsgruppen. Gut zehn Jahre später unterlegte sie den Film mit einer Tonspur, die durch sehr persönliche, mal lakonische, mal ironisch strukturierende Kommentare versucht, jeder Form von objektiver Kategorisierung und eventuell damit einhergehenden Konstruktionen eines Multikulturalismus zu entkommen. Diese »Reise« wird in einem schwarzen Kubus präsentiert, der, von außen opak erscheinend, von innen dennoch die Sicht auf das Geschehen im Außenraum erlaubt.
»Black Atlantic« handelt vor allem vom Meer; seine Theorie betont das Hybride, die Vermischung, die Flüssigkeit anstatt der Verfestigung des Landes, der Erde, in der »die nationalen Kulturen keimen«. Isaac Julien ist diesem Bild stark verbunden, sowohl mit »Paradise Omeros«, einer Dreikanal-Videoinstallation, die bereits auf der Documenta11 gezeigt wurde, als auch in seiner neuen Arbeit »True North«, welche vom Haus der Kulturen zusammen mit Institutionen in Paris, Montreal und Amsterdam produziert wurde. Ausgehend von den Erlebnissen des Afroamerikaners Matthew Henson, der mit der Expedition Robert Pearys zum Nordpol gelangte, wird mit der enigmatischen Videoinstallation eine Gegen-Geschichte erzählt und Henson/Julien deuten darin schon mal an, dass es nicht Peary gewesen sein muss, der als erster den Pol erreichte. Die extreme Stilisierung der Bilder, Juliens »Signature Style« seit den Filmen der späten 1980er Jahre und Mittel einer teilnehmend subjektiven Annäherung an Themen der Identitätskonstruktion, wird mit »True North« überführt in einen überaus ästhetisierten Raum der Überwältigung.
Keith Piper, der sich in der Vergangenheit mit den Repräsentationen des »Anderen« und kritisch mit den dramaturgischen Mitteln des Dokumentarfilms beschäftigte, nimmt in »Synthetic Geographies« die Geschichte des Hauses der Kulturen der Welt und des Berliner Bezirks Tiergarten auf. In der etwas hermetischen Multimedia-Installation, situiert in einer Art Zeltraum, konstruiert er collagenartig die Entwicklung vom Jagdgrund zum Volkspark zum Regierungsviertel. In seinem zweiten Projekt, der »Sounding Gallery«, lässt er in wohnzimmerartigen Kleinsträumen die Geschichten schwarzer Deutscher von einer jüngeren Generation lesen. Das künstliche Furnier dieser am Computer entworfenen Messestände lässt daran denken, wie »gewöhnlich« diese Geschichten eigentlich sein müssten.
Der gebürtige Schotte und Wahl-Wiener Tim Sharp propagiert die Flucht aus der Identität: »I.D. Entities/Scram« kombiniert durch nachträgliche Kolorierung veränderte Bilder Helgolands, welches einst im Tausch gegen Samoa in deutschen Besitz gelangte, und Venedigs, jener erfolgreichsten Handelsstadt in der Geschichte Europas, mit den Verhaltensregeln bei einem gewünschten Identitätswechsel. Auf die Bilder gedruckt finden sich Sätze wie »Wenn du den Drang hast, dich neu zu erfinden, denk daran: du bist nicht alleine, du bist nicht der erste, der davon träumt«, und immer wieder findet sich ein hinein collagierter, offensichtlich ortsfremder Frauentorso.
Die Konzentration auf vier KünstlerInnen in der Ausstellung »Black Atlantic« mag im Sinne der Produktionsintensivität günstig erscheinen, doch verwirrt die unterschiedliche Gewichtung in der Präsentation. Sharps kleinformatige Zeichnungen könnten im Vergleich mit den benachbarten Videoinstallationen Juliens, die fast den gesamten Ausstellungsraum des Hauses der Kulturen einnehmen, durch den Kontrast noch eine gewisse Konzentration bewirken. Doch die Gestaltung der Ausstellung in ihrem Versuch, der sehr bestimmenden Architektur des 1957 von Hugh Stubbins erbauten Gebäudes durch Dezentralisierung der Installationen zu entkommen, scheint insgesamt nicht geglückt. Pipers »Sounding Gallery« kann man sich in den unteren Gängen noch durchaus erschließen, doch seine Videoinstallationen und Leuchtkästen verschwinden in rückwärtigen, engen Räumen. Und Pongers schwarzer Kubus, in dem »Phantom Fremdes Wien« gezeigt wird, schmiegt sich etwas zu glücklich an den Bücher- und Devotionalienstand nahe des Eingangs, anstatt einen Fremdkörper im groß dimensionierten Foyer bilden zu dürfen. Dort nimmt stattdessen ein großzügig bestückter, jedoch von vorherigen Events sattsam bekannter Infobereich mit seinen Büchern und Monitoren viel Raum ein.
Die Arbeiten der vier KünstlerInnen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten mit diesen Thematiken beschäftigen, bringen in unterschiedlicher Weise die zentralen Elemente des Modells »Black Atlantic« hervor, ohne in die Gefahr zu geraten, die Theorie zu illustrieren. Sie schlagen selbst eine Brücke: Wo Isaac Julien analog zum Hintergrund Gilroys und des englischsprachigen Kulturraums argumentiert, binden die Arbeiten Lisl Pongers und Tim Sharps die Thematik an Zentraleuropa an; Keith Piper versucht über die Verbindung mit dem nahen Reichstag, Geschichte zu visualisieren. Eine präzise argumentative Konfrontation mit dem Ort der Veranstaltung, eben jenes Berlin der Kongo-Konferenz, wird jedoch in den Lesungen und Podiumsdiskussionen geleistet werden müssen.