Heft 4/2004 - Artscribe


Lodz Biennale

2. Oktober 2004 bis 31. Oktober 2004
International Artists´ Museum / Lodz

Text: Berenika Partum


Lodz. In den letzten 15 Jahren hat sich die Anzahl der Biennalen zeitgenössischer Kunst weltweit vervielfacht. Um 1990 gab es ungefähr zehn, heute schon über vierzig. Dabei bleibt so gut wie kein weißer Fleck auf der Landkarte: von Sharjah (Vereinigte Arabische Emirate) bis Fortaleza (Brasilien), Istanbul und Sydney, von Puerto Rico und Lyon über Kairo, New York und Havanna bis Peking, um nur einige zu nennen.
In Polen hingegen kann sich eigentlich kein Ort eine aufwändige Biennale leisten. Umso erstaunlicher ist es, dass Lodz, eine Stadt, die in den letzten Jahren mit schweren ökonomischen Problemen zu kämpfen hatte (zwanzig Prozent Arbeitslosigkeit), nicht nur eine, sondern gleich drei Biennalen auf einmal ins Leben rief. Die Initiative zeigt, dass es an sich keines großen finanziellen Aufwands bedarf, eine Biennale zu organisieren. Mit geringen Mitteln hat man unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters von Lodz und einigen privaten Sponsoren das Projekt ins Leben gerufen. Ein Gremium von KuratorInnen, OrganisatorInnen wie auch KünstlerInnen wählte internationale TeilnehmerInnen aus. Das Team: Emmet Williams, die New Yorker Künstler Leon Golub und Lawrence Weiner, Won-il Rhee, künstlerischer Leiter der Media City Seoul und Direktor des Seoul Museum of Modern Art, die Kritikerin und ehemalige Leiterin der Zacheta Galerie in Warschau, Anda Rottenberg, die KritikerInnen Robert. C. Morgen, Gregory Volk und Lilly Wie sowie die Direktorin der Moderna Galerija Ljubljana, Zdenka Badanovic.
Kann diese zum ersten Mal in Polen stattfindende Biennale etwas Neues in das bestehende Spektrum einbringen? Die KuratorInnen des Unternehmens meinten, durchaus. Man wollte dem Trend, ambitionierte kuratorische Projekte stärker in den Vordergrund zu rücken als die Werke der KünstlerInnen selbst, entgegenwirken. So wurden alle Projekte der eingeladenen TeilnehmerInnen innerhalb zweier Wochen direkt vor Ort realisiert. Schon 1981 fand in Lodz die erste internationale Ausstellung, »Konstruktion im Prozess«, mit einem ähnlichen Konzept statt. KünstlerInnen luden KollegInnen ein, gemeinsam vor Ort ihre Arbeiten zu produzieren. Von der Solidarnosc-Bewegung finanziert, traten zum ersten Mal KünstlerInnen aus ganz Europa und den USA miteinander in Dialog. Das Ganze fand in belebter Atmosphäre vor dem Hintergrund neuer politischer sowie künstlerischer Befreiungsversuche statt.
Heuer dienten drei Orte der Stadt als Präsentationsfläche, und das von gleich drei Biennalen. Das erste Segment bildete das von Grzegosz Musial geleitete Projekt »Biennale Lodzer Kunst«. KünstlerInnen aus Lodz und Umgebung wollten Projekte und Werke zu zeigen, die ins private Leben übergreifen. Privater konnten die Ausstellungsräume nicht sein. Ausgehend von der Idee, dass der Mensch schon immer einen Platz in seiner Wohnung für Kunst übrig gelassen hat, wurden die Werke in gewöhnlichen Wohnungen Lodzer BewohnerInnen präsentiert. Am Eröffnungstag konnte man verschiedene Arrangements besichtigen. So temperierte etwa Lukasz Ogórek einen Raum mit 36,6 Grad Celsius, und gab dieser Arbeit den gleichnamigen Titel. Ob der Raum tatsächlich so temperiert war, war allerdings nicht nachprüfbar. An der Wand hing zwar ein Thermometer, jedoch ohne Richterskala.
Im ehemaligen Schloss der polnischen Großfabrikantenfamilie Poznanski, heutiges Museum der Stadt Lodz, rief die Kuratorin Aneta Szylak zur »Biennale polnischer Kunst« auf. Die KünstlerInnen untersuchten die Frage, wie zeitgenössische Kunst auf bereits vorhandene traditionelle Museumsexponate reagiert. Die Ergebnisse waren erstaunlich, obwohl die Idee selbst sicherlich nicht neu ist. Roman Dziadkiewiczs präsentierte am Eingang ein Künstlervideo mit dem Titel »Der Künstler wendet Gewalt gegen künstlerische Institutionen als auch gegen ihre Vertreter an«. In dem Video, in dem die Kuratorin (Aneta Szylak) entführt, gefesselt und durch maskierte Kidnapper bewacht wird, bedient sich der Künstler an Versatzstücken aus den Nachrichten, um aufzuzeigen, auf welche Weise selbst raffinierte Kulturen Gewalt auszuüben vermögen. Interessant im Hinblick auf den Kontext der Lodzer Biennale war die Arbeit von Kamil Kuskowski. In einem der Kabinette des Museums war ein Schriftzug zu lesen, den der Künstler in verschiedenen Sprachen an die Wand geschrieben hatte: »Ich hab’ nichts, du hast nichts, also lass uns eine Fabrik aufbauen.« Der viel zitierte Satz aus dem berühmten Film von Andrzej Wajda, »Das Gelobte Land« (1974), der die Geschichte dreier Unternehmer in Lodz im Industrialisierungsprozess erzählt, hat paradoxerweise seine Aktualität gerade in Polen nicht verloren.
Das letzte Segment, die »Biennale internationaler Kunst«, war auf einem über achttausend Quadratmeter großem Gelände der ehemaligen Textilfabrikhalle (Uniontex) untergebracht. In Zukunft will man hier dem Museum Internationaler KünstlerInnen einen festen Platz geben. Dort zu sehen waren Arbeiten von Ann Noel, Micha Ullmann, Victor Kegli, Maria Eichhorn und anderen. Die Installationen und Projekte waren zumeist mit Materialen aus der Umgebung realisiert. So war in Claudia Schmackes Installation fluoreszierendes Wasser an beiden Enden eines dunklen Ausstellungsraumes so angebracht, dass der Orientierungssinn der BesucherInnen dadurch irritiert wurde.
Die Lodzer Initiative zeigt unzweifelhaft die Konsequenz des Wachsens ausstellerischer Unternehmen in osteuropäischen Ländern und Mitteleuropa (aber nicht nur dort). Es scheint, als handle es sich um einen »Akt der Befreiung«, aber auch eine Angleichung an westliche Gesellschaften, wo Kunstbiennalen bereits etabliert sind. Ob es der Biennale gelingen wird, sich auf dem internationalen Parkett zu etablieren? Vorerst fehlte ihr ein übergreifendes Konzept, welches sich in die heutige »Biennalisierung« der Kunstwelt hätte einschreiben können. Mit Sicherheit war es jedoch ein fruchtbares Zusammentreffen, wo es mehr auf die Atmosphäre ankam als auf marktstrategische Prinzipien der internationalen Kunstwelt.