Heft 2/2005 - Artscribe


Katrina Daschner: »Dolores«

8. Mai 2005 bis 3. Juli 2005
Artothek & Factory, Kunsthalle Krems / Krems

Text: Yvonne P. Doderer


Krems. Die in der Factory, Kunsthalle Krems gezeigte Einzelausstellung »Dolores« der in Wien lebenden Künstlerin Katrina Daschner interpretiert die Geschichte der Lolita in Anlehnung an den 1955 erschienenen Roman von Vladimir Nabokov sowie an dessen gleichnamige Verfilmung von Stanley Kubrick auf eindringliche Weise neu. Diese Neuerzählung wird in einer Rauminstallation, in einer Abfolge von insgesamt sechs Räumen und in verschiedenen Medienformaten, gefasst. Im Gegensatz zu ihren früheren fotografischen und performativen Arbeiten, in denen Katrina Daschner sich selbst, häufig in einer Verdoppelung, darstellte und selbst agierte, greift sie in dieser Arbeit, die Anfang 2005 in Mexiko produziert wurde, auf Schauspielerinnen zurück. Wie in allen ihren Arbeiten, stehen auch in diesem Projekt sowohl performativ angelegte Transformationen und Transgressionen von Geschlechterzuschreibungen, Heteronormativität und sexualisierter Gewalt als auch Ausdrucksformen lesbischer Sexualität und lesbischen Begehrens im Zentrum.

Im Gegensatz zu Roman und Film wird die Erzählperspektive in der von Katrina Daschner angelegten Neuerzählung zu Lolita selbst verlagert. Diese Verschiebung wird bereits im Titel der Arbeit gekennzeichnet, denn Lolita wird zu Dolores. Lolita ist eine Verniedlichung von Dolores und genau diese Verniedlichung sexualisierter Gewalt kennzeichnen sowohl Roman- und Filmvorlage als auch deren Rezeption, denn Lolita wird gemeinhin als Sinnbild für die unschuldig-schuldige, naive und kindliche Verführerin gelesen. Mit diesem Bild ist der Subtext verbunden, dass der subtil-gewaltsame, inzestuöse Zugriff eines erwachsenen Mannes auf die sich noch in der Entwicklung und am Anfang befindende Sexualität eines jungen Mädchens zwar gesetzlich verboten, aber dennoch, sozusagen als ersatzväterliche Hilfestellung, legitimiert sei. In diversen skandalisierten Medienberichten wird Bild und Subtext der Lolita nach wie vor aktualisiert, die Veralltäglichung dieser sexualisierten Gewalt sowie deren Folgen verbleiben ansonsten meist im gesellschaftlichen Dunkel. Der Verweis auf diesen, wenngleich zentralen Aspekt tradierter Geschlechterverhältnisse ist jedoch nur ein Strang innerhalb dieser Neuerzählung, die über eine bloße Umkehrung der Erzählperspektive und einer Verschiebung des widersprüchlichen Blicks vom Täter zum Opfer hinausreicht. Durch den Kunstgriff, diese Narration in einem lesbischen Setting zu verorten, gelingt es Katrina Daschner, eine andere Lesart dieser Geschichte in Gang zu setzen und am Ende eine andere Perspektive auf Möglichkeiten der Aneignung der eigenen weiblichen Sexualität zu vermitteln.

Bereits im ersten Raum, in dem die Protagonistinnen in kurzen Videoportraits und aus dem Off von Dolores eingeführt werden, erweisen sich diese als Subjekte ihrer jeweils ganz eigenen Geschichte. Die Mutter von Dolores (gespielt von Lidya Romero) ist eine elegante, manisch beruflich engagierte, wenngleich alkoholkranke Familienpsychologin, die ihre Tochter Dolores vernachlässigt. Humbert (gespielt von Elisabeth Romero) ist eine attraktive, leicht depressive Künstlerin mittleren Alters, die nach zwanzig Jahren ihren pädophil orientierten Mann Quilty verlassen hatte und sich sofort in Dolores verliebt. Dolores selbst (gespielt von Edwarda Gurrola) begreift sich bereits in ihren jungen Jahren als Lesbe beziehungsweise Dyke und entdeckt ihre sexuellen Begehren durch Masturbation.
Schon in der nächsten Sequenz, dargestellt auf Schwarzweißfotografien, stirbt die Mutter bei einem Autounfall. Damit ist Dolores allein und auf Humbert angewiesen, zusammen ergreifen sie die Flucht und begeben sich auf eine ziellose Reise. Die Wand füllende Videoprojektion, die Dolores und Humbert während ihrer endlosen Autofahrt und in ihrem stillen, mittels Subtitel transportierten Dialog, jede mit sich selbst, zeigt, ist einer der stärksten Momente in dieser Ausstellung. Hier tritt das emotionale und körperliche Ausgeliefertsein von Dolores, ihr Überwältigtsein durch die sexuelle Obsession Humberts, in die sich Humbert trotz anfänglichen Zögerns hineinsteigert, schmerzhaft und bedrückend zu Tage. Der nächste Raum thematisiert die Befreiung Dolores von Humbert. Sie entwischt an einer Tankstelle in den Wald. Bei ihrer Rückkehr am nächsten Morgen wird sie jedoch von Quilty, dem Exmann von Humbert, der die beiden verfolgt hatte, vergewaltigt. Der vorletzte Raum thematisiert die Rache Humberts, der Quilty erschießt und der letzte zeigt dann die eigentliche Neueinschreibung in die klassische literarische und filmische Repräsentation vermeintlich weiblichen Begehrens. Denn während Lolita nicht nur in der tradierten weiblichen Rolle als schwangere Ehefrau endet, sondern, wie bei Kubrick angedeutet, Humbert den obsessiven Zugriff auf ihre Person verzeiht, geht Dolores einen anderen Weg. Sie geht aktiv mit den ihr zugefügten Verletzungen um und sucht sich eine ihr entsprechende Partnerin (gespielt von Katia Ezperanza Tirado), um endlich eine von ihr selbst bestimmte Sexualität und ein ihr eigenes Begehren zu leben. Eine andere Wendung als in den Vorlagen nimmt auch die Darstellung von Humbert. Diese endet nicht im Gefängnis, sondern als fortwährende Beobachterin des Befreiungsaktes von Dolores muss sie sich in einer Endlosschleife der Konfrontation mit sich selbst stellen.
Mit diesem Ende, ebenso wie mit der anfänglichen Setzung, verweist Katrina Daschner nicht nur auf die Komplexität der Beziehungen zwischen und unter Frauen, sondern sie durchkreuzt sowohl gängige als auch häufig vorkommende feministische Interpretationen und Repräsentationen lesbischen Begehrens. Denn selbst in feministischen Begründungen lesbischer Sexualität erscheint diese, wie Teresa de Lauretis bemerkt, als »Metapher des Mütterlichen«1, als imaginäre oder symbolische Identifikation mit der Mutter und mütterlich konnotierter Schwesternschaft oder sie ist schon von vornherein als sich innerhalb des Konstrukts von Heterosexualität und Geschlechterdualismus bewegend angelegt.

Das Projekt »Dolores« hingegen unterläuft solche Lesarten auf mehreren Ebenen zugleich. Von Anfang an verweigert sich Dolores einem, wenngleich unausgesprochenen, mütterlichen Masturbationsverbot, indem sie ihr Begehren auf ihren eigenen Körper richtet und diesen durch die Masturbation, ihrem »Hobby« wie es in der Selbstbeschreibung von Dolores heißt, zu ihrem Fetisch macht. Damit reicht ihr Begehren über einen positiven und negativen, über den Vater beziehungsweise das Kind des Vaters und über die Mutter besetzten Ödipuskomplex hinaus. Auch die subtil angelegte Mütterlichkeit Humberts (»she is a child ... she could be my daughter«) und die phallisch-heterosexuelle Besetzung ihres Körper-Bildes durch die von Quilty verübte Vergewaltigung wird von Dolores zurückgewiesen und mit ihrem Anspruch auf die ihr eigene lesbische Identität außer Kraft gesetzt. Wenn zudem, wie Teresa de Lauretis bemerkt, nicht eine, sondern zwei Frauen eine Lesbe ausmachen, gelingt es Katrina Daschner mit »Dolores«, wie bereits mit ihren früheren Arbeiten, eine künstlerisch und inhaltlich äußerst gelungene Repräsentation und Selbstdarstellung lesbischer Sexualität zu schaffen, die diese Sexualität nicht als gesellschaftlich und psychisch minoritär, sondern als eigenständig und Weg weisend situiert.

 

 

1 Vgl. Teresa de Lauretis, die andere szene. Psychoanalyse und lesbische Sexualität, Berlin 1996.