Heft 3/2005 - Lektüre



Susanne Lummerding:

agency@?

Cyber-Diskurse, Subjektkonstituierung und Handlungsfähigkeit im Feld des Politischen

Wien/Köln/Weimar (Böhlau) 2005 , S. 71

Text: Christa Benzer


Eigentlich war nicht mehr daran zu denken, dass die »virtuelle Welt« für die feministische Theoriebildung noch produktiv gemacht werden könnte, denn jenseits von »Selbstermächtigungstrategien«, die sich – wie Susanne Lummerding betont – in der »Herstellung von Gegenöffentlichkeit, von Netzwerken und entsprechenden Onlineforen niederschlagen«, blieben sämtliche mit dem so genannten Cyberfeminismus verknüpften Versprechungen unerfüllt.
Aus gutem Grund setzt Lummerding, mit ihrer Reformulierung von »agency« also genau dort an, wo den »Cyberspace-Apologetinnen« von Donna Harraway bis Sadie Plant der größte Denkfehler unterlief: bei der Subjektkonstituierung.
Unter Zuhilfenahme strukturaler (Lacan’scher), psychoanalytischer, repräsentationskritischer, medientheoretischer, aber auch neuerer Hegemonie- bzw. Demokratietheorien (Laclau/Mouffe) sowie der Cultural Studies nähert sich Susanne Lummerding in ihrer Neukonzeption von Handlungsfähigkeit einem zentralen Dilemma der feministischen Theoriebildung: Wie kann Handlungsfähigkeit definiert werden, wenn das kohärente Subjekt – das nicht nur in traditionellen Aufklärungsdiskursen eine wichtige Rolle gespielt hat, sondern auch in sämtlichen aktuellen Cyber-Diskursen wieder belebt wird – in feministischen Ansätzen längst demontiert wurde? In ihrem Versuch, Handlungsfähigkeit zu beschreiben, ohne auf die Vorstellung von Subjektautonomie zu rekurrieren, stützt sie sich auf psychoanalytisch fundierte Konzeptionen des Vorgangs der Subjektkonstituierung, in denen der Aspekt der Kontingenz als eine unumgänglich notwendige Dimension dieses Vorgangs und damit auch jedes Signifikationsprozesses beschrieben wird.
Nicht ohne vorher ausführlich argumentiert zu haben, wieso das Subjekt – auch entgegen anders lautender Proklamationen – nach wie vor als ausschließlich sprachlich konstituiert zu verstehen sei, betont sie hier die konstitutive Funktion des Verfehlens bzw. »die Unmöglichkeit einer Schließung von Bedeutung«, die jeden Signifikationsprozess (und damit Realitätskonstruktion) bestimme. Darauf aufbauend und in Bezug auf Joan Copjec schlägt sie eine Reformulierung der Kategorie Geschlecht (sex) als eine »nicht-signifikante Differenz« vor, die als »Manifestation des Verfehlens von Sprache« zu verstehen sei. Nach Lummerding wird die Kategorie Geschlecht, die von Geschlechtszugehörigkeit zu trennen sei, der »Notwendigkeit einer Differenzierung« gerecht, ohne die
es gar kein Subjekt geben könne. Lummerding zufolge ist Geschlechtszugehörigkeit die »Einschreibung des Verfehlens von Sprache auf einer soziosymbolischen Ebene während Geschlecht bzw. sexuelle Differenzierung das Subjekt als Scheitern von Subjektivität konstituiert«.
Das entscheidende politische Potenzial ihrer Konzeption von Geschlecht sieht Lummerding darin begründet, dass dieser »Ansatz einen differenzierten Begriff von Handlungsfähigkeit und ein kritisches Verständnis von aktuellen Medienkonstellationen und Technologieentwicklungen ermöglicht, das Strukturfunktionen beleuchtet und die Frage der Herstellung von Bedeutung und Identität nicht erst auf einer soziosymbolischen Ebene ansetzt, sondern auch die Voraussetzung von Signifkation in den Blick nimmt«. Unter Berücksichtigung des Lacan’schen »Realen« will Lummerding nicht nur die Subjektpositionen und Realitätskonstruktionen in Frage gestellt wissen, sondern die Strukturfunktionen des Soziosymbolischen selbst »wahrnehmbar, das heißt anfechtbar« machen.
In Verbindung mit den politischen Theorien von Laclau/Mouffe liefert ihr dieser Ansatz darüber hinaus die Instrumentarien, mit denen sie die Versprechungen aktueller Medienutopien analysiert: Lummerding entlarvt sowohl die im Zusammenhang mit virtuellen Räumen generierten Heilsversprechungen als auch die damit verbundenen Bedrohungsszenarien als phantasmatische Konstruktionen, »deren phantasmatische Stabilität angesichts einer zunehmenden gesellschaftlichen und kulturellen Fragmentierung und des drohenden Zerfalls bislang wirksamer sinn- und ordnungsstiftender Orientierungspunkte fragwürdig geworden« sei. Weil es diesen »großen Anderen« aber gar nicht gebe, der die Ordnung von Identität, Realität oder Handlungen garantieren könne, bringt die Autorin auch Begriffe wie Verantwortung und Freiheit wieder ins Spiel: Denn – so Lummerdings Schluss – wenn es diese Garantie nicht mehr gibt, wird Handlungsfähigkeit notwendig. Dass der für die Thesen der Autorin maßgebliche Aspekt der Kontingenz auch für ihre Ausführungen gilt, nimmt sie bereits eingangs zum Anlass, um fortlaufende Reartikulationen dieser »temporären Setzung« zu garantieren.
Bis auf weiteres eröffnet ihre Zusammenführung von Technologie, Gesellschaft und Politik aber nicht nur eine neue Verhandlungsbasis für alte feministische Problemstellungen und scheinbar verabschiedenswerte politische Begriffe, sondern sie forciert auch ein Denken, das die »Unmöglichkeit (einer Schließung von Bedeutung) als Möglichkeitsbedingung (für die Anfechtbarkeit von Realitätskonstruktionen)« für sich in Anspruch nimmt.