Heft 4/2006 - Netzteil


Who Killed the JAMs!

Über Adbusting, Open Content und die jüngsten Kampagnen des britischen Künstlers James Cauty

Benjamin Paul


»Artists steal or borrow things from other artists and shops all the time, it’s part of the evolution of ideas and normal practice./ […] If you see something in this book you think belongs to you … get over it./ If you see something you want … feel free to borrow it.« (James Cauty, Stamps of Mass Destruction and Other Postal Disasters Vol. II, London 2005)

Na wenn das mal so einfach wäre. Der britischen Royal Mail jedenfalls fiel es nicht so leicht, souverän über James Cautys Briefmarkenproduktion hinwegzusehen, und so ließ sie am 5. November 2003 150 Produkte seiner Guerilla-Firma »Cautese National Postal Disservice« konfiszieren. Dieses Datum war gut gewählt, steht bei den Briefmarken doch in der linken oberen Ecke anstelle der Wertangabe »5-11« in Anspielung auf den in England an diesem Tag jährlich gefeierten Guy Fawkes Day (»Remember, remember the fifth of November«). Im sogenannten Gunpowder Plot plante Fawkes 1606, das englische Parlamentsgebäude in die Luft zu sprengen, um auf die Unterdrückung der Katholiken in England aufmerksam zu machen. Parallelen zum Radikalislamismus und dem 11. September liegen da natürlich auf der Hand, und so zeigen die Marken in drei Varianten gigantische Rauchwolken, die von einer (fiktiven) Durchschießung von Big Ben auf der Höhe des berühmten Ziffernblatts stammen.

Damit nicht genug. Die Kunstabteilung der Royal Mail verlangte auch die Herausgabe der Originale von Cautys Gasmasken-Variante der gewöhnlichen Queen-Briefmarke. Hier nun aber wurde es kompliziert. Denn wie kann man das Original von etwas herausgeben, wovon es überhaupt kein Original gibt, da es aus der digitalen Bearbeitung einer Vorlage in Photoshop hervorgegangen ist? Also überreichte Cauty der Post eine CD mit Jpegs seiner Briefmarkenmotive, und siehe da, diese war damit vollauf zufrieden. Womit wir mitten drin wären im ewigen Abgrund von Original und Copyright im digitalen Zeitalter. Ja nicht einmal die Kunstabteilung der Royal Mail war sich sicher, ob es sich hier wegen der theoretischen Verwendbarkeit der Briefmarken um ein Copyright- und damit Wirtschaftsvergehen handelte oder wegen der Beleidigung der Königin um einen Verstoß gegen den künstlerischen »Anstand«.

Für Cauty sind solche Copyrightkonflikte freilich nichts Neues – im Gegenteil, er provoziert sie ständig und stellt sie konzeptionell ins Zentrum seiner Arbeit. Bereits sein überaus erfolgreiches Musikprojekt The KLF, mit dem er 1991 gemeinsam mit Bill Drummond in den Hitparaden abräumte, charakterisierte geschicktes Sampeln und Collagieren zur Erzeugung eines bombastischen Soundpotpürees, dessen einziges Anliegen hohe Verkaufszahlen waren. Die schlaue Manipulierung der sensationslüsternen Medien half dabei kräftig mit. Als beispielsweise ABBA sich über die ungefragte Verwendung eines ihrer Stücke beklagte, setzten sich Cauty und Drummond mit einem Journalisten der englischen Musikzeitung »NME« ins Auto und fuhren direkt zum ABBA-Büro nach Schweden, wo sie freilich äußerst medienwirksam auf verschlossene Türen stießen. Nachdem sich KLF 1992 auflösten, schrieben die beiden noch ihr Handbuch »Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit«, bevor sie 1994 in einer spektakulären Aktion eine Million Pfund öffentlich verbrannten.

Man könnte diese radikale Geste freilich als eine ironische nachträgliche »Bezahlung« der Urheberrechte verstehen, auch wenn KLFs Jonglieren mit der Musikindustrie natürlich auf die Zerstörung derselben und der Musikindustrie insgesamt zielte, wie Cauty noch kürzlich in einem Interview zugab. Genau solchen größenwahnsinnigen Illusionen unterliegen viele der momentan so populären Guerillataktiken des Culture Jamming, seien es nun Adbusting, Media Hoaxing oder auch der Hacktivismus. Gerade das weit verbreitete Adbusting, also eine Art kritische Antiwerbung durch die Verkehrung bestehender Werbung anhand von minimalen Sinnverschiebungen, gerät dabei rasch selbst zur Mode oder, noch schlimmer, zur Schleichwerbung. Letzteres ist derzeit zu beobachten auf T-Shirts, auf denen das Puma-Logo zu einem Fisch umgeformt und mit dem Schriftzug »Tuna« versehen wird. Und selbst das Schaulaufen mit der anfangs so wirkungsstarken Verwandlung des Shell-Logos in einen Totenkopf mit »Hell«-Schriftzug ist längst zur leeren Hipness-Geste verkommen, da die Shell-Kooperation mit Nigerias Exdiktatur seit langem aus den Medien verschwunden ist. Am krassesten jedoch zeigt sich die Verfangenheit von Adbusting in der eigenen Aufmerksamkeitsmacht in der Rip-Off-Kultur der Skateboard-Szene. Denn ab dem Moment, wo die Variation von Logos selbst zum Markenzeichen teuerer Designerskateboards wird, bestehende Werbung also nur noch als Referenz dient und nicht mehr in Antiwerbung transformiert wird, entledigt sich Adbusting der Glaubwürdigkeit seiner Kritikalität und droht selbst zur umso effektiveren Imagepflege zu verkommen.

Wie umfassend und zynisch Firmenwerbung sich subversiver Strategien des Adbusting bedient, also selbst auf Aneignungstechniken zurückgreift, hat gerade wieder die Fußballweltmeisterschaft gezeigt. Coca Colas »It’s your Heimspiel«-Kampagne simulierte den immer stärker werdenden Protest der Fans gegen die komplette Durchkommerzialisierung des Fußballs und proklamierte in guter alter »reclaim the streets«-Manier die Rückkehr zur Basis und Essenz des Spiels. Übertroffen wurde Coca Cola dabei noch von Pumas unverfroren zynischer Afrika-Werbung, welche die menschenverachtenden Praktiken der Spielervermarkter ganz einfach ironisch (und rassistisch) verpackte – und damit auch die Herstellung der eigenen Produkte in Sweatshops.

Adbusting ist so anfällig, weil es selbst nur auf Logos beruht und keine wirkliche Auseinandersetzung oder Eingriffe leistet. Da sind die Strategien zur Bekämpfung des Urheberrechts schon weitaus effektiver aufgrund des nur schwer kontrollierbaren freien Datenaustauschs im Netz in Open-Source-, Open-Content- und Peer-to-Peer-Foren. Allerdings bleibt auch hier das Problem der tatsächlichen politischen Wirkung gerade beim Austausch von Musik und Filmen im Internet. Keine Frage, haben Napster und all seine Nachfolger die Musik- und Filmindustrie massiver erschüttert als sich das KLF überhaupt nur vorstellen konnten. Doch handelt es sich um eine Schwächung, die weniger aus einem politischen Bewusstseinswandel resultiert, um den es noch KLF bei ihrer Aufdeckung von Marktmechanismen ging, sondern vielmehr aus dem Hedonismus der KonsumentInnen, die sich einfach nehmen, was sie können.

Obwohl es also naiv wäre, Adbusting und Downloaden per se zu subversiven Handlungen zu stilisieren, etwa im Sinne von Michel de Certeaus Schaffung des freien Raums durch alltägliche Aneignungen und Praxis, so birgt Culture Jamming nach wie vor subversives Potenzial. Um anhaltender und tiefgreifender zu wirken, müssen solche Strategien allerdings mit langwierigen Prozessen der Aufklärung und Analyse verbunden werden, wofür sich das Internet durch seine Möglichkeiten des freien Meinungs- und Informationsaustauschs in Blogs und Open-Content-Foren wie MySpace geradezu anbietet. Doch auch James Cautys Guerilla-Post leistet hier ihren kleinen Beitrag, eben weil sie es nicht bei Piraterie belässt, sondern darüber hinaus, wie mit dem »5-11«-Motiv, zu umfassenderen Auseinandersetzungen anregt.

http://www.cnpdonline.com/home.htm
http://www.adbusters.org
http://www.myspace.com