Heft 2/2007 - Lektüre



Yvonne Volkart:

Fluide Subjekte

Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst

Bielefeld (transcript) 2006 , S. 74

Text: Susanne Lummerding


Yvonne Volkarts Dissertation »Fluide Subjekte. Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst« erschien im Herbst vergangenen Jahres als erster Band der von Silke Wenk und Sigrid Schade bei transcript herausgegebenen Reihe »Studien zur visuellen Kultur«, die bereits 2000 im Jonas Verlag begonnen wurde und nach drei Bänden nun im transcript Verlag weitergeführt wird.1
Gegenstand von Volkarts Untersuchung ist »die Inszenierung techno-organischer Körpervorstellungen in der Medienkunst, die Grenzauflösungen signalisieren und dabei […] Metaphern von Weiblichkeit und Fließen reaktualisieren.« Und sie formuliert ein viel versprechendes Vorhaben entlang der Frage: »Inwiefern naturalisieren oder dekonstruieren die Körper- und Geschlechterentwürfe in der Medienkunst die Machteffekte der Informationsgesellschaft, und welche Möglichkeiten der Widerspenstigkeit können sie eröffnen?« Ausgangspunkt ist die These, dass in den in der Medienkunst vorherrschenden Körperentwürfen, die »unbestimmte Geschlechtlichkeit oder ›Weiblichkeit‹ konnotieren«, anknüpfend an die Tradition der Spätmoderne, »›das Weibliche‹ als Medium, Zeichen oder Personifikation« – bzw. genauer: als Symptom – fungiert.
In drei großen Abschnitten zu den Themen »Weiblichkeit als Symptom in technokapitalistischen Zeiten«, »Der monströse Geschlechtskörper als Schauplatz monströser Subjektverhältnisse in der Informationsgesellschaft« und »Zwischen Auflösung, Erlösung und Verkörperlichung: Cyborgsubjekte und andere fluide Wesen« bietet Volkart ausführliche »symptomale Lektüren« unterschiedlicher, vorwiegend seit den frühen 1990er Jahren entstandener medienkünstlerischer Arbeiten wie etwa Francesca da Riminis »dollspace«-Netzprojekt, Mariko Moris Cyborg-Verkörperungen oder Matthew Barneys »Cremaster«-Zyklus. In diesen interpretativen Beschreibungen, begleitet von zahlreichen Abbildungen, liegt auch die Stärke des Buches.
Weniger überzeugend ist die analytische Ausformulierung der eingangs angedeuteten These und der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen. Denn poststruktural-psychoanalytische und feministische kunst- und medientheoretische Ansätze, die sich in den letzten Jahrzehnten kritisch mit den Fragen von Repräsentation, Subjektkonstituierung und (sexueller) Differenzierung auseinandergesetzt haben, werden ebenso nur gestreift wie der Bezug auf Ansätze der Queer Studies. In Bezug auf das formulierte Vorhaben erweist sich dies insofern als bedauerliche Einschränkung, als dadurch der Eindruck entsteht, traditionelle Vorstellungen eines Kausalzusammenhangs zwischen Geschlecht, Körper und Sexualität, die von den erwähnten Theorieansätzen einer kritischen Revision unterzogen wurden, fänden in Volkarts Argumentation eine erneute Bestätigung. Demgegenüber hätte eine Berücksichtigung der sprachlichen Verfasstheit (also der strukturellen Unmöglichkeit einer Fixierung von Bedeutung) der thematisierten Konstruktionen es nicht nur ermöglicht, »den Körper« als relationale Kategorie auf seine strukturelle Funktion hin zu analysieren, anstatt ihn als unhintergehbare Grundlage für Widerstand zu re-affirmieren. Sie hätte vor allem auch – mit kritischem Fokus auf die stabilisierende Funktion von Fluiditätsvorstellungen – ermöglicht, dass Volkarts eigene, schlüssige Vorbehalte gegenüber Metaphern der »Fluidität« im Gegensatz zu einer ungebrochenen Interpretation derselben als Potenzial und Manifestation von »Widerspenstigkeit« stärker in den Mittelpunkt rücken.
Diesen Fokus richtet Volkart hingegen auf ihre »These des fluiden Symptom- und Effektkörpers«. Letzteren bestimmt sie als »jene[n] Körper«, »der Teil der fluiden Kräfte ist, die z.B. unsere Wirtschaft ankurbeln oder Medien miteinander vernetzen, der diese fluiden Ströme aber auch transformiert und nochmals anders abführt, z.B. als stinkende Sekrete oder verschlingende Körpersäfte.« Die Faszination der Metapher der »Fluidität« scheint möglicherweise mehr ins Schwimmen zu bringen als Volkart anfangs intendiert haben mag, denn spätestens hier wird der Verzicht auf einen Hinweis deutlich, wogegen sich die Widerspenstigkeit richten sollte und weshalb.
Eine Auseinandersetzung mit genau dieser Frage aber hätte entscheidendes, in Volkarts anregenden Lektüren künstlerischer Arbeiten durchaus angelegtes Potenzial produktiv machen können. Der/dem geneigten LeserIn würde es zudem entgegenkommen, wenn Volkart in ihrem resümierenden Plädoyer »für die Aufrechterhaltung und Reformulierung des Körpers als Ort des Verkörperns und Verkörperlichens, des Körpers als Durchgang für Subjektivierung und Identität«, deutlicher thematisieren würde, unter welcher Voraussetzung ein »Fluidisieren und Widerspenstig-Werden« zu einem »Modell der Handlung« werden könnte. So bleibt, frei nach Klaus Heinrich, aus dem Faszinosum des »Fließens« die zuversichtliche Perspektive zu gewinnen, dass Faszinationsgeschichte jene Dimension der Geschichte ist, in der sich die Gesellschaft über ihre eigenen Bedürfnisse auf dem Stockenden hält – um die Sedimente und den Treibsand nicht aus den Augen zu verlieren.

 

 

1 Der nächste Band der Reihe ist für März 2007 angekündigt: Marion Hövelmeyer, Pandoras Büchse: Konfigurationen von Körper und Kreativität. Dekonstruktionsanalysen zur Art-Brut-Künstlerin Ursula Schultze-Bluhm, Bielefeld 2007.
Die bei Jonas 2000–2004 veröffentlichten Bände sind:
Bd. 1: Anja Cherdron, Prometheus war nicht ihr Ahne. Berliner Bildhauerinnen der Weimarer Republik, Marburg 2000; Bd. 2: Linda Hentschel, Pornotopische Techniken des Betrachters. Raumwahrnehmung und Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne, Marburg 2001; Bd. 3: Barbara Schrödl, Das Bild des Künstlers und seiner Frauen. Beziehungen zwischen Kunstgeschichte und Populärkultur in Spielfilmen des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit, Marburg 2004.