Heft 3/2007 - Netzteil


Dunkle Inseln im Netz

Robert Young Pelton, das Black Flag Café und ein Reiseführer für die Risikogesellschaft

Krystian Woznicki


Der Tod zieht zahlreiche Reisende nicht nur an, er verbindet auch weltweit verstreute Gleichgesinnte. Das Logo des beliebtesten Treffpunkts dieser »Dark«-TouristInnen1 ist ein Totenkopf mit Baseballmütze; der Ort selbst ist nach einer US-amerikanischen Undergroundband der 1980er Jahre benannt: »Black Flag Café«. Anders als vielleicht erwartet, handelt es sich hierbei nicht um einen düsteren Laden in Mogadischu oder in den Slums von São Paulo, sondern um eine Homepage im Internet.2 Dort werden über Mailinglisten und Foren die neusten Informationen über unwegsames Gelände, politisch instabile Zonen, sowie Tipps über die Anreise in ein Krisengebiet ausgetauscht.3 In dieser virtuellen Kontaktzone verdichtet sich ein regelrecht globales Netzwerk von Reisenden, das längst zu einer ernstzunehmenden Bewegung herangereift ist, mit allem, was dazugehört. Es gibt T-Shirts, die, wie Merchandise von Rockbands, auf dem Rücken mit allen Eckdaten der persönlichen Krisenherd-Tournee bedruckt werden können, und es gibt passende Bücher.
Robert Young Pelton ist dort so etwas wie ein Gott und eine Vaterfigur zugleich. Er hat das Black Flag Café gegründet, er ist Verfasser zahlreicher Schriften, und er gilt als Vorbild der mit diesem Ort assoziierten Subkultur, die eine ganz dünne Linie zwischen Adrenalinsucht und Aufklärung beschreibt – wer, wenn nicht Grenzgänger wie Pelton, sorgen mit ihren Reisen dafür, dass der Weltöffentlichkeit alternative, vielleicht sogar auch authentischere Informationen über das Denken und den Zustand in Regionen bekannt werden, die gemeinhin als Tabuzonen markiert sind? Die halsbrecherische Pionierarbeit hat ihren Preis: Entführungen, Unfälle, Gefangenschaften, Schussverletzungen, Flugzeugabstürze, Überfälle, Vergiftungen, etc. Pelton hat all das schon erlebt und überlebt.
Wenn seine Freilassung aus der Gefangenschaft einer Guerilla-Gruppe in Kolumbien oder seine Rückkehr aus Tschetschenien bekannt wird, überschlagen sich die Wortmeldungen im digitalen Forum des Cafés. Noch bevor er sich selbst in der virtuellen Gemeinschaft zeigt, kommt es zu Freudentänzen: »Wenn RYP etwas ist, dann ist er ein Überlebender!«, schrieb beispielsweise einst ein Besucher des Black Flag Café, der mit seiner Notiz den Beruf oder vielmehr: die Berufung Peltons, auf den Punkt brachte – nicht umsonst lautet sein Slogan »Come back alive!« – jedoch auch den gemeinsamen Nenner der Pelton-Jünger sowie das Leitmotiv von Peltons bislang bekanntestem Buch »The World’s Most Dangerous Places«.4
Gefährliche Regionen werden darin detailliert aus der Innenperspektive vorgestellt. Der pragmatische Fokus: Reisevorbereitung, Reisedurchführung und Anleitungen zur Kunst, lebend zurückzukommen. Das britische »Times Magazine« beschreibt »Dangerous Places« – wie die Publikation von der Gemeinde bündig genannt wird – als einen unvergleichlichen Reiseführer, in dem Hintergrundreportagen mit praktischen Hinweisen verknüpft sind.5 Ein US-Offizier charakterisiert den Führer wiederum als eine Mischung aus »Soldier of Fortune Magazine« und »National Geographic«: die einzig wirklich gute Quelle für »nicht klassifiziertes Geheimdienstwissen«.6 Und so sollen selbst Green Berets darauf zurückgreifen, weil nur dort ungefilterte Hintergrundinformationen über ein Land wie Afghanistan zu finden sind.
Selbst Frauen über fünfzig lesen »Dangerous Places«. Laut Pelton stellen letztere einen enorm großen Teil seiner KundInnen dar. »Frauen über fünfzig sind schlau genug, sich ein Buch mit Sicherheitstipps zu kaufen, bevor sie in eine entlegene Region reisen«, wie ihn das »Times Magazine« zitiert. »Aber sie sind auch diejenigen, die an den dortigen Geschehnissen nicht unbeteiligt sind, sie wollen wissen, was los ist. Im Grunde müssten eigentlich alle, die an Weltpolitik interessiert sind, ›Dangerous Places‹ kaufen.«7
Die Idee, seine Reiseerlebnisse in einem Führer zu bündeln, kam Pelton, als er drauf und dran war, seinen Marketingjob an den Nagel zu hängen. 1993 entschloss er sich, den »Fielding’s«-Reiseführerverlag zu kaufen, und unterzog ihn alsbald einer Modernisierung. Er erweitere im Zuge dessen nicht nur die existierende Produktpalette durch weitere Titel. Er erneuerte sie auch von Grund auf durch Publikationen, die seinem ganz persönlichen Interessengebiet entsprachen.
1995 gab Pelton mit »Borneo« ein Buch über »einen der letzten wilden Orte« heraus sowie die erste Ausgabe von »Dangerous Places«, die prompt ein Überraschungshit wurde und mittlerweile in vielfachen Überarbeitungen neu aufgelegt worden ist. Überarbeitungen der verlegten Titel werden vor allem deshalb möglich, weil ihn seine LeserInnenschaft ständig mit neuen Informationen aus den besagten Regionen versorgen.
Das Black Flag Café dient als Aufnahmestelle für solche Informationen. Stand ursprünglich Robert Young Pelton selbst hinter dem Tresen, hat er in Erik Solomonson mittlerweile einen kongenialen Nachfolger gefunden (»He has been to Haiti twice and lived in the Balkans [Bulgaria] for parts of 1993 and 1994«, wie ihn die Webseite vorstellt). Solomonson bekommt es im Café mit jungen StudentInnen, aber auch mit erfahrenen AdrenalintouristInnen zu tun, die einen für das Web 2.0 üblichen Mitteilungsdrang haben. Macht diese kollektive Intelligenz das Black Flag Café zu einem einzigartigen Ort im World Wide Web, so ist sie auch die unverzichtbare Basis der »Dangerous Places«-Führer: Der Anschein einer kollektiven Autorschaft ist es, der einen transnationalen Community-Gedanken am Leben erhält und »Dangerous Places« wie eine Bewegung à la »Lonely Planet« aussehen lässt. Vergleichbar wäre der historische Status von »Dangerous Places« sicherlich mit der ersten Ausgabe von »Lonely Planet«, die 1973 einer recht überschaubaren Gruppe von abenteuerlustigen, vor allem aber auch kulturell aufgeschlossenen BackpackerInnen das Tor zu einer anderen Welt öffnete. Doch ob »Dangerous Places« eine vergleichbare massenkulturelle Revolution des Individualtourismus nach sich ziehen wird, ist eine andere Frage.

 

 

1 Vgl. John Lennon, Malcom Foley, Dark Tourism. The Attraction of Death and Desaster, London/New York 2000.
2 http://comebackalive.com/phpBB2/index.php
3 Todd Brizendine hinterließ beispielsweise am 10. Oktober 2003 folgende Nachricht am Black Board des Cafés: »I am planning a trip to a DP [Dangerous Place] in Feb for a photo excursion. I am tentatively planning to visit KNLA-controlled areas along the Thai-Burma border, but have been a few times already. What are some recommendations for other areas I might consider?«
4 Robert Young Pelton, The World’s Most Dangerous Places, New York 2003.
5 Angus Batey, Looking for trouble. Robert Young Pelton Interview, in: Times Magazine 22, 2003.
6 Zitiert in ebd.
7 Zitiert in ebd.