Heft 3/2007 - Netzteil


Konvulsivisches Geflacker

Die Ausstellung »MindFrames« am Karlsruher ZKM präsentierte Pioniere der Medienkunst, die einst am Department of Media Study in Buffalo tätig waren

Rainer Bellenbaum


Wer in der Ausstellung »MindFrames« im Karlsruher ZKM an eine Flughafenhalle dachte, konnte dafür mehrere Gründe haben. Erstens die leuchtenden, dynamischen Anzeigetafeln, welche, von Minute zu Minute aktualisiert, die Startzeiten und Terminals zwar nicht für abgehende Flugzeuge, jedoch für die nächsten Vorführungen von Videos und Sound-Files in den umliegenden Black Boxes annoncierten. Zweitens wiesen alle Exponate in Richtung der State University of New York in Buffalo, oder genauer gesagt: Anzusteuern waren Werke der dort zwischen 1973 und 1990 Medienkunst lehrenden ProfessorInnen – sieben Männer, eine Frau –, Werke also an der Schwelle vom analogen zum digitalen Zeitalter. Und drittens gestatteten die durchwegs zugänglichen Kabinen, ähnlich wie ein Fernreise-Angebot, den BesucherInnen das rasche Eintauchen in eine fremde Welt sowie die ebenso rasche Rückkehr von dort. Wer jedoch ohne engen Reiseplan und mit der Lust des Ausstellungs-Flaneurs durch die Karlsruher Halle schlenderte, sich geduldig auf Vorführungen einließ, um sich dann wieder im zentralen Studio-Labor hastig durch die angebotenen Bild-, Ton- und Textdateien zu klicken, dem/der bot solche Verschaltung medialer Dispositive eine aufschlussreiche Odyssee. Mehr noch als an der verführerischen Reibung zwischen immersiven und informatorischen Betrachtungsweisen lag dies allerdings an den unterschiedlichen Laufbahnen und Seiteneinstiegen der kollegial präsentierten KünstlerInnen.
Hollis Frampton etwa arbeitete zunächst als Dichter und Fotograf, bevor er zu einem der angesehensten Filmemacher der amerikanischen Neoavantgarde avancierte. Insbesondere sein Film »nostalgia« (1971) bündelt jene Praktiken zu einem subtilen Essay, in dem nacheinander einzelne Fotos aus Framptons Sammlung auf einer Herdplatte verbrennen. Immer wieder ist es eine kleine Überraschung, wenn die Hitze den Papierabzug entzündet. Und stets entzieht der Brand die jeweilige Abbildung – Porträt oder Interieur – mit neuer Spannung dem Blick der BetrachterInnen, während eine Stimme im Off bereits das in der nächsten Szene zu erwartende Foto beschreibt. Subtil konfiguriert »nostalgia« damit nicht nur das Bedeutungsvolle und das Elementare durch deren je spezifische Formen des Erscheinens und Verschwindens. Gleichzeitig reflektiert der Film solche unterschiedlichen Erinnerungsweisen wie jene des Autobiografischen und jene, die der Zeitversatz zwischen Beschreibung und Abbildung auslöst.
Ebenfalls mit Phänomenen des Zeitversatzes arbeitet der aus Brünn stammende Woody Vasulka. Narrative Momente spielen dabei allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Ausdrücklich bestreitet der ausgebildete Ingenieur die Hegemonien der zwischenmenschlichen Erzählung und des abgebildeten Gesichts. Stattdessen konzentriert er sich auf Experimente mit elektronischem Feedback. Dieses entsteht beim Video, wenn eine Kamera den Monitor filmt, der gleichzeitig das aufgenommene Bild ausstrahlt, sodass sich eine Schleife aus Aufzeichnung und Wiedergabe ergibt. Wenn Vasulka in diesen gewissermaßen autoerotischen Maschinenprozess Gegenstände und Aktionen mit einbezieht – für »Vocabulary« (1973) etwa die Bewegungen einer Hand –, dann führen die kleinen Differenzen der überlagerten Videosignale an den Licht- und Schattenkonturen der Aufnahme zu optischen Echos, welche die gefilmten Motive in abstrakte Gitterstrukturen verwandeln. Die Eindringlichkeit solcher technischen Artefakte verstärkt sich zusätzlich, wo sich an das optische Feedback das akustische koppelt. Vasulka gehört mit seiner Frau, der aus Island stammenden Violinistin Steina zu den Pionieren der Videokunst. In den 1970er Jahren gründeten die beiden in New York die legendäre »Electronic Kitchen«, Zentrum für elektronische Musik, Video und Performance. Ihre umfassenden Experimente zwischen Hard- und Software zur elektronischen Bildgenerierung haben ein Werk konstituiert, das inzwischen als das Unbewusste elektronischer Bilderströme gelten kann und darum zu Recht seine Wiederentdeckung feiert.
Paul Sharits’ Filme führen die Materialität der Bildgenerierung dagegen mit deutlich minimaleren Mitteln vor. Auch er hat den Echoeffekt im Sinn, wenn er für seine Flicker-Filme den farbigen Hintergrund einzelbildweise wechselt. Insbesondere will er damit den im Vordergrund dargestellten Gegenstand, sei es ein Gesicht oder ein Gewehr, auf das Bildhafte zurückverweisen und deutlich machen, dass jedes Abgebildete in einem Rahmen (»frame«) steht. Wo Sharits sich auf das Rechteck der Leinwand bezieht, referieren die Karlsruher KuratorInnen, Steina und Woody Vasulka sowie Peter Weibel (ebenfalls Exprofessor in Buffalo) und Thomas Thiel, auf das gesamte Dispositiv medialer Aufmerksamkeit (»Mindframes«). Symptomatischerweise präsentieren sie Sharits’ »Epileptic Seizure Comparison« (1976) nicht wie der Künstler seinerzeit selbst im offenen Galerieraum als Filminstallation mit sichtbaren Projektoren, sondern als Black-Box-Projektion. Indem hier die aufblitzenden Einzelbildaufnahmen krampfgeschüttelter Epilepsie-PatientInnen und der stroboskopartige Rhythmus roter und grüner Bildfelder, begleitet vom schrillen Maschinen-Sound, die BetrachterInnen vollkommen einhüllen, bedient der Film weniger einen identifikatorischen Prozess – sei es mitfühlender oder dekonstruierender Art. Vielmehr stellt das konvulsivische Geflacker jede kognitive Aufmerksamkeit hinter die pure Netzhautreizung zurück, nahezu einen hypnotischen Effekt erzeugend.
Noch abwechslungsreicher und zunehmend humorvoller lassen sich die Kapriolen reflexiver Wahrnehmung am Werk Tony Conrads aufzeigen. Mit »The Flicker« (1966) hatte der in New Hampshire geborene Allroundkünstler den Prototyp jenes gleichnamigen Avantgarde-Genres geschaffen und war damit zum Mitbegründer des Strukturellen Films geworden. Zur gleichen Zeit zählte er als Mitglied der Band »Theatre of Eternal Music« neben John Cale, Angus MacLise, Marian Zazeela und La Monte Young zu den prägenden Persönlichkeiten des musikalischen Minimalismus. Hier untergruben vor allem die mikrotonalen Verschiebungen des Violinen- bzw. Drone-Spiels die gewohnte Wahrnehmung von chromatischen Tonsystemen oder kodierten Harmonien. Conrad verstand solche Praxis nicht zuletzt als Widerspruch gegen die repräsentativen Muster amerikanischer und europäischer Kompositionsweise. Dass die reduktiven und improvisierenden Verfahren des Minimalismus allerdings nicht automatisch dem romantischen Künstlergestus entkamen, erfuhr er im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Ex-Band-Kollegen La Monte Young, der bis heute seinen genialischen Urheber-Anspruch auf die damalige Produktion erhebt und sich weigert, die Tonaufzeichnungen den übrigen Bandmitgliedern zur Verfügung zu stellen. Wie suspekt Conrad vielleicht auch deswegen die Konsolidierung formaler und autorschaftlicher Prinzipien geworden ist, ließ sich in Karlsruhe an seinem Werk ablesen, das wie kaum ein anderes die Bandbreite medialer Produktion ironisch rekombiniert: vom strengen Formalismus bis zum partizipatorischen Fernsehmagazin, vom minimalistischen Konzertausschnitt bis zum Dokument grotesker Performance. So mischt Conrad in »That Far Away Look« (1988) den Gestus eines Korrespondenten (zwischen den USA und Japan) mit dem Habitus des künstlerischen Stipendiaten und den Ritualen des Privatlebens. Mit »In Line« (1986) wendet er sich gleichermaßen als Aufklärer wie als Hypnotiseur an die ZuschauerInnen. In »Your Friend« (1982) schließlich sehen wir ihn als dadaistischen Filmvorführer, der die Filmspule wie eine Dusche hält und dabei das Zelluloid über seinen Kopf abwickeln lässt. Conrad dekonstruiert obsessiv und selbstironisch die verschiedenen Genres, Medienformate und damit ein weites Feld modernistischer Verfahren, und so erscheint es durchaus konsequent, dass der radikale Improvisateur als einziger der in Karlsruhe präsentierten KünstlerInnen nach wie vor sein Professorenamt am Department of Media Study at Buffalo innehält.

 

 

MindFrames – Media Study at Buffalo 1973–1990, ZKM Medienmuseum, Karlsruhe, 16. Dezember 2006 bis 25. März 2007.

http://www.zkm.de/mindframes/
http://zkm.oasis-archive.eu
http://www.vasulka.org/
http://tonyconrad.net/blog.htm