Heft 3/2007 - Lernen von ...


Nichtassoziierte Initiativen

Betrachtungen zum »Summit« alternativer Bildungskultur

Irit Rogoff


Kurz danach
Die Versammlung fand in der letzten Maiwoche in Berlin statt, während im Hintergrund Gewitter niedergingen. Unter der Ägide von »Nichtassoziierten Initiativen zur Bildungskultur«1 kamen dort sehr unterschiedliche VertreterInnen einer Auseinandersetzung mit abweichenden Bildungsbegriffen zusammen: AkademikerInnen, AktivistInnen, Studierende, KünstlerInnen, KuratorInnen, GewerkschaftlerInnen und viele andere. Die Versammlung fand in niemandes Namen statt, unautorisiert und ohne Finanzierung von Seiten irgendeiner Bildungsinstitution, im Wesentlichen nur durch den sich gerade einstellenden Eindruck motiviert, im Begriff der »Bildung« könne ein fortschrittliches Denkpotenzial liegen, ein Potenzial, das in anderen Diskussionen weitgehend ausgeblendet bleibt. Es war einigermaßen klar: Wer dort hinkam, wurde in erster Linie von Neugier getrieben, und zwar einer Neugier nicht nur darauf, wer dort sein und was sagen würde, sondern auch darauf, was eine solche Versammlung mit einem ganz anderen Denken und Einsatz in seinen Zwischenräumen zu bieten haben könnte. Irgendwo im Hintergrund dieses Projekts dräute zudem die Frage: Wenn man einen Raum um den Begriff der Bildung herum schafft, wer fühlt sich dann dorthin gezogen, und würde das irgendwie die Form einer »kommenden Politik« erkennen lassen?

Schon seit geraumer Zeit gehen wir davon aus, dass ein bedeutender Teil unserer Arbeit der Herstellung von Subjekten für unsere Arbeit gewidmet ist. Die bereits abgesegneten Subjekte, die unsere verschiedenen Denk- und Berufswelten bevölkern, sind im Wesentlichen mit der Reproduktion existierenden Denkens in leicht abgeänderten Formen befasst. Doch sind Subjekte ja nicht nur der Inhalt von Debatten, sie sind auch diejenigen, die sich von ihnen angezogen fühlen, die glauben, dass diese Subjekte wiederum ebenfalls etwas aus ihnen beziehen werden.

Die Berliner Versammlung nahm die Gestalt eines »Gipfels«, genauer: eines Gipfels der Nichtassoziierten an. Dieser Gipfel bezieht Elemente aus dem geschichtlichen Moment, in dem sich verschiedene Länder der Dritten Welt auf der Weltbühne kollektiv bemerkbar machten, indem sie die von den Supermächten diktierte binäre Aufspaltung der Weltkarte zurückwiesen. Ehrlich gesagt sind solche Ansprüche für unser relativ bescheidenes Projekt kaum angemessen, und dennoch birgt das »Nichtassoziierte« tatsächlich eine Art Versprechen. Wichtig ist es, dies nicht als die Preisgabe einer Position zu verstehen, sondern als die Annäherung unüberbrückbarer Unterschiede. Diese wechselseitige Annäherung unterschiedlicher Positionen, diese vorübergehend gemeinsam genutzte Plattform sieht weder eine Resolution noch das Aufspüren von Gemeinsamkeiten oder eine Reihe kompromisshaft gebildeter Unterpositionen als ihren Fluchtpunkt. Vielmehr funktioniert sie als Moment wechselseitiger Anerkennungen. Die Selbstorganisierten und Selbstermächtigten, deren Leben durch die Freiheiten der Selbstpositionierung sowie durch die Risiken der Prekarität und des Ephemeren gekennzeichnet sind, treffen auf diejenigen, die um die Entflechtung institutioneller Arbeitsweisen kämpfen, um sie jenseits ihrer eigenen Grenzen und ohne die Vereinnahmung durch geregelte Selbstbeschränkung und Selbstbezüglichkeit produktiv werden zu lassen. Zwar können wir aus der Geste von Politikern wie Nehru, Nasser und Tito lernen, von denen die politische Begrifflichkeit des »Nicht-Assoziierten« stammt, doch ist unsere Form des »Nicht-Assoziierten« nicht programmatisch gemeint und richtet sich auch nicht auf die Stiftung eines Machtverbundes. Es geht um die Geste selbst. Giorgio Agamben hat gesagt: »Die Geste ist also dadurch gekennzeichnet, dass man in ihr weder etwas hervorbringt bzw. macht noch ausführt bzw. handelt, sondern etwas übernimmt und trägt. Das heißt, die Geste eröffnet die Sphäre des ETHOS als die dem Menschen eigenste Sphäre«.2 In diesem Augenblick der Unzufriedenheit und der enttäuschten Resignation erschien es wirklich wichtig, eine Geste zu setzen und dadurch ein Ethos zu eröffnen.

Kurz davor
Ich möchte an dieser Stelle eine kurze Geschichte einstreuen: Ich lehre an einer Londoner Universität, und zwar am Department of Visual Cultures, was eigentlich ein Nicht-Bereich ist, und so geht es in unseren Gastvorträgen oftmals um Nicht-Themen. Vor ein paar Wochen hielt bei uns ein Performance-Theoretiker namens Joe Kelleher einen Vortrag, in dem er eine Performance von Ane Lang, einem norwegischen Transgender-Performer beschrieb, die er bei einem Festival erlebt hatte, und diese Performance ließ sich kaum anders denn als klobig beschreiben. Mit strähnigem Haar, ganz in Braun gekleidet, kam Ane Lang aus einem Verschlag mit welkem Herbstlaub und sang in Begleitung zweier ebenso nach innen gekehrter Musiker ein paar tief gestimmte Takte. Das Ganze war denkbar unspektakulär, kaum unterhaltsam oder aufbauend, nicht einmal auf überzeugende Weise melancholisch oder introvertiert, es war einfach klobig und verwirrend. Kelleher überlegte, in welche BetrachterInnen-Position man versetzt werde, wenn man eine so schwache, wahrscheinlich absichtsvoll schwache Performance erlebt, obwohl er sich bei dieser Beschreibung nicht sicher sei. Nachdem wir uns darüber unterhalten hatten, schickte er mir die folgenden Sätze zu: »Die Performance verfehlt ihr selbst gesetztes Ziel. Dieser sanft entschlossene Versuch, gut zu sein, sickert in die Handlungssituation ein und hat bei mir ein zögerliches Mitleidsgefühl zur Folge, ein Mitleid, das auf fast unerklärliche Weise die Bühnenpersonen, jene altmodischen Theaterfiguren trifft, die gerade dieses Theater in all seiner Schwäche anscheinend nie zum Leben zu erwecken vermochte.« (Nicolas Ridout)3

Joe Kellehers Begriff einer »schwachen Performance« ließ mich sogleich über die Möglichkeiten einer »schwachen Bildung« nachdenken. Drückt sich doch so viel an der Rhetorik der Bildung in den Begrifflichkeiten eines Korrektivs, einer Kompensation aus. Die Gesellschaft ist von Rassismus, Sexismus, Ungerechtigkeit, weltweiter Ignoranz und den sonstigen Gebrechen unserer Gesellschaften gekennzeichnet. Gegen all dies wird wieder und wieder die Bildung als Gegenmittel in Stellung gebracht – durch sie werden wir zu besseren DenkerInnen, besseren Menschen usw. Das macht einen starken Bildungsbegriff aus, er weckt unseren Geist und zeigt eine bessere Alternative auf.

In gewisser Weise ist der »Gipfel« im Namen einer »schwachen Bildung« zusammengekommen, im Sinne eines nichtreaktiven Bildungsdiskurses, der sich nicht auf all jene von uns längst erkannten Fehler von Bildung einlassen will: ihre Fortschreibung einer kapitalistischen, ihre Neigung zu herrschenden Zusammenhängen, ihre andauernde Kommodifizierung, ihre überzogene Bürokratisierung, ihr immer weiter anwachsendes Bestehen auf vorhersagbaren Ergebnissen usw. Denn das ist es, was Bildung dauerhaft als ein reaktives Verhalten angesichts globaler Missstände kennzeichnet. Im hier entwickelten Zusammenhang dagegen soll von einer Bildung die Rede sein, die ganz in dieser Welt verankert ist, die nicht Antwort auf die Krise, sondern Teil von deren auf Dauer gegebenen Komplexitäten ist. Sie stellt Wirklichkeiten her und reagiert nicht bloß auf sie. Viele dieser Wirklichkeiten sind unauffällig und schwer einzuordnen, haben nichts Heroisches und gewiss auch nichts Aufbauendes an sich, und doch sind sie unerhört schöpferisch. Zuallererst zeigt sich das Schöpferische der Bildung darin, dass Räume und Diskurse zur Verfügung gestellt werden, die zeigen, wie man mit komplex strukturierten Widersprüchen jenseits von Annahme oder Zurückweisung leben kann – im Sinne fortgesetzt erlebter Wirklichkeiten.

Warum Bildung und warum gerade jetzt?
Zunächst einmal gilt es, dem ewigen Gejammer etwas entgegenzusetzen: wie schlimm alles geworden ist, wie bürokratisch, wie gleichgeschaltet, wie unterbesetzt und unterfinanziert, wie schlimm die Anforderungen der Bologna-Beschlüsse mit deren Homogenisierungsdruck zusammenspielen, wie traurig der von ihnen diktierte Verlust lokaler Traditionen, wie unmöglich, einem Wissen zu entrinnen, das als kapitalistische Produktionsweise funktioniert. Dieses andauernde Jammern, das an sich nicht unberechtigt ist, ja dieser endlose Klagegesang trägt dazu bei, Bildung innerhalb der Beschränktheiten einer kleinen Gemeinschaft von Studierenden und Bildungsprofis zu halten. Wie also, um Roger M. Buergel zu paraphrasieren, kann Bildung mehr werden? Wie kann sie mehr sein als ein Ort der Einbußen und der Enttäuschung?
Und warum ausgerechnet jetzt? Weil diese Zeit der Bologna-Beschlüsse und all der offensichtlichen, mit ihnen verbundenen Unzufriedenheiten auch die Zeit einer bisher ungekannten Anzahl selbstorganisierter, außerinstitutioneller Foren und selbstermächtigter Aufbrüche innerhalb von Institutionen ist. Seit Ende der 1960er Jahre hat man diese Dualität von Drinnen und Draußen nicht mehr so sehr als eine produktive Kraft erfahren, und es wird zum bestimmenden Charaktermerkmal unserer kulturellen und politischen Gegenwart, dass diese einander scheinbar ausschließenden Modi sich permanent aufeinander beziehen und einander aufrufen. Nun könnte man die Meinung vertreten, die Verfassung selbstorganisierter kritischer Kollektive im zeitgenössischen Kunstausstellungsbetrieb, die Nachahmung selbst erzeugter Lernmodelle innerhalb etablierter Institutionen oder die gemeinsam genutzten Open-Source-Technologien seien lediglich weitere Beispiele für die unaufhörliche Vereinnahmung und Kommodifizierung von Kunst und Bildung. Man könnte dies aber auch als die unvermeidliche, obgleich unsichere Vorwärtsbewegung des Wissens und als die Unmöglichkeit auffassen, es zu fixieren und an einem Ort zu halten.

Ein weiterer Grund dafür, sich jetzt mit Bildung zu beschäftigen: Bildung ist per definitionem prozesshaft – sie setzt einen unauffälligen Wandlungsprozess voraus, steht für Dauer, und für die Ausarbeitung einer umkämpften gemeinsamen Grundlage. Und ein weiterer wichtiger Beitrag, den Bildung zu unserem gesellschaftlichen und politischen Leben leisten kann, liegt in der Fähigkeit, diese umkämpfte Grundlage unversöhnt zu lassen, zumindest im klassischen Sinne, wenn eine Position über die andere obsiegt. Wie in der Welt der künstlerischen Arbeitsweisen hat es der Niedergang einer objektbasierten Kultur für uns notwendig gemacht, Prozesse zu entwickeln, die nicht nur ergebnisorientiert sind, die nicht auf eine einzige Sache als ihren vereinheitlichten Abschluss hinauslaufen. Fasst man Bildung als Modell für eine kulturelle Praxis, dann ist die Möglichkeit, Zeit zu beanspruchen und anderswohin oder jedenfalls zu etwas anderem als dem erwarteten Ergebnis Führenden zu gelangen, in den Grundvoraussetzungen bereits vorgesehen.

Eher aus einem inneren Antrieb als durch äußere Einschränkung wird Bildung zu einem Ort merkwürdiger und unvermuteter Zusammentreffen – geteilter Neugier, geteilter Subjektivitäten, geteilter Leiden, geteilter Leidenschaften –, die sich um das Versprechen eines Subjekts, einer Erkenntnis, einer schöpferischen Möglichkeit zusammenfinden.

Im besten Fall erzeugt Bildung Kollektivformen, flüchtige Kollektivitäten, die anwachsen und zurückgehen, zusammenkommen und wieder zerbrechen. Kleine ontologische, von Begehren und Neugier getriebene Gemeinschaften, zusammengeschweißt durch eine Form der Ermächtigung, die aus intellektuellen, politischen oder gesellschaftlichen Herausforderungen entsteht. Das Entscheidende am Zusammentreffen durch geteilte Neugier liegt darin, dass wir nicht mehr gezwungen sind, im Namen von Identitäten zusammenzukommen; wir, die LeserInnen von Jean-Luc Nancy, begegnen uns, den MigrantInnen oder uns, den kulturellen Ortlosen oder uns, den sexuell anders Orientierten, wobei alle ein und dasselbe »Wir« bilden. In diesem Augenblick also, da wir so um die Art der Partizipation, der Teilhabe an der begrenzten Grundlage besorgt sind, die uns zum Teilnehmen offen bleibt, zeigt uns Bildung reichhaltige Möglichkeiten der Zusammenkunft und der Teilnahme an einem bislang noch unbenannten Forum der Auseinandersetzung.

Ein neues Vokabular wird benötigt
Nachdem ich mich aus dem Bezugsfeld starker, erlöserischer, missionarischer Bildung befreit habe, möchte ich dieses Feld mit den folgenden Begriffsvorschlägen ausstatten:
Zunächst einmal sollte der Drang nach einer Neuorganisation der Bildung zugunsten einer gerechteren Verteilung durch die Begriffe der Potenzialität und der Aktualisierung ersetzt werden: Die Vorstellung, dass in unserem Inneren bereits unerschöpfliche Möglichkeiten liegen, die wir womöglich niemals zu einer erfolgreichen Umsetzung werden bringen können. Statt zur erfolgreichen Umsetzung wird Bildung zum Ort dieser Dualität, eines Denkens des »Ich kann«, das immer schon an ein »Ich kann nicht« gebunden ist.4 Einer der interessantesten Aspekte der Potenzialität liegt darin, dass sie sowohl die Möglichkeit des Nicht-Tuns als auch die des Tuns birgt. Wenn sich diese Dualität nicht lähmend auswirkt, wovon ich nicht ausgehe, dann bietet sie Möglichkeiten für ein Verständnis dessen, was genau an der Bildung es ist, das tatsächlich zu einem Modell des »In-der-Welt-Seins« taugt. Es bedeutet die Aufgabe eines Großteils jener Instrumentalisierung, die anscheinend mit Bildung einhergeht, eines Großteils jenes Managertums, das sich mit einem Begriff von »Ausbildung« für diesen oder jenen Beruf oder Markt verbindet. Es bedeutet auch, viele der Auffassungen über Bildung als Ausbildungsgrundlage zu verabschieden, deren einzig zugelassenen Ergebnisse bestimmte Dinge oder Praktiken sind. Das ermöglicht die Einbeziehung von Begriffen sowohl der Fehlbarkeit als auch der Aktualisierung in eine Praxis des Lehrens und des Lernens, die mir einen interessanten Einstiegspunkt für ein Denken von Kreativität im Verhältnis zu verschiedenen Momenten des »Zur-Welt-Kommens« zu liefern scheint. Vielleicht liegt ja etwas Spannendes darin, unsere Wahrnehmung weg von einem Erziehungs- und Ausbildungswesen zu lenken, das nicht reine Vorbereitung, reiner Entschluss ist. Stattdessen könnte Fehlbarkeit dazu gehören, die es zu einer Form der Wissensproduktion und nicht der Enttäuschung werden ließe.

Zugleich möchte ich Bildung als Ausgangspunkt des Übergangs von einer Kultur des Ausnahmezustands hin zu einer Kultur der Dringlichkeit verstehen. Der Ausnahmezustand reagiert stets auf eine Reihe staatlicher Imperative, die eine endlose Kette von zumeist hausgemachten Krisen nach sich ziehen. So viele von uns haben schon an jämmerlichen Podiumsdiskussionen über die »Bildungskrise« teilgenommen, bei denen all die beklagenswerten Bedingungen, unter denen wir arbeiten, als Ausnahmezustand dargestellt werden, auf den wir vermutlich nur mit irgendeiner Form von »Nothilfe« reagieren können. Dringlichkeit dagegen bedeutet die Möglichkeit, uns selbst ein Verständnis davon zu verschaffen, was die entscheidenden Anliegen sind, sodass sie zu Triebkräften werden können. Am Morgen nach der Wiederwahl von G. W. Bush wandelte sich die Verblüffung in meinem Seminar schnell zu einer Diskussion darüber, warum die Wahlforen nicht Orte politischer Partizipation waren bzw. was diese eigentlich sein könnten. Hier zeigt sich die Bewegung von einem Ausnahmezustand hin zu einer Dringlichkeit, es geht nicht mehr nur um die Einzelheiten der Ereignisse, sondern darum zu verstehen, dass uns solche Krisen mit der Frage konfrontieren, wie man das Feld der Partizipation anders betreten könnte.
Vor allem jedoch möchte ich über Bildung nicht im Sinne der unversieglichen Forderungen nach Zugänglichkeit nachdenken, die sowohl Kultur als auch Bildung aufgezwungen werden, nach denen sie schnell einen Einstieg in ganz gleich wie komplexe Gegenstände liefern soll – da fällt einem etwa die Tate Modern als Unterhaltungsmaschine ein, die eine Schwundstufe von Kritik zelebriert. Vielmehr will ich bei dem Begriff Bildung an die Gesamtheit der Orte denken, an denen wir Zugang zu etwas haben. Zugang wiederum bedeutet für mich die Fähigkeit zur Formulierung eigener Fragen im Gegensatz zu denen, die einem im Namen eines offenen und partizipatorischen Demokratieprozesses gestellt werden. Denn es ist ganz klar: Wer die Fragen formuliert, der stellt auch das Feld her, in dem sich alles abspielt. Mehr als alles andere verschafft Bildung Zugangsmöglichkeiten, und zwar nicht zu Arbeitsplätzen oder sozialem Status, sondern zu Prozessen informierten Engagements. Dieser Zugang, von dem ich hier zu sprechen versuche, ist kein Eintritt im eigentlichen Sinne, sondern ein Begriff davon, wie die angebliche Einfachheit transparenten Wissens in Wirklichkeit die extreme Schwierigkeit der Herstellung von engagierter Auseinandersetzung verbirgt.

Und schließlich soll es darum gehen, Bildung als den Austragungsort zu begreifen, an dem unser tägliches Tun zu einer »Herausforderung« wird, wo wir kritisch informierte Herausforderungen kennenlernen und umsetzen, die nicht auf eine Unterminierung, einen Widerspruch oder eine Übernahme abzielen. Wenn politische Parteien, Gerichtshöfe oder irgendeine andere Autorität solche Herausforderungen aussprechen, dann geschieht das mit dem Ziel zu delegitimieren und eine andere Lösung oder eine andere Haltung anzubieten, absolutes Recht und Unrecht zu etablieren. Im Bereich der Bildung bedeutet es eine Herausforderung zu sagen, dass Platz da ist für die Vorstellung von einer anderen Denkweise, für ein Denken jenseits des Konflikthaften, das uns davor bewahrt, unsere Kraft in reiner Oppositionshaltung zu vergeuden und etwas davon für die Vorstellung einer anderen Denkweise aufzubewahren. Dadurch soll nicht das von Chantal Mouffe so genannte »Agonische« jeder politischen Gemeinschaft in Abrede gestellt werden, vielmehr soll die Herausforderung nicht als reaktiver Modus, sondern als Teil der Denkhaltung verstanden werden.

Bei einer Tagung, an der ich vor einigen Jahren teilgenommen habe, zeigte Jaad Isaac, ein palästinensischer Geograf, Transportkarten zur israelischen Besetzung des Westjordanlandes, die eine fast unglaubliche Klarheit hatten. Sie erinnerten mich daran, welche unvorstellbaren Kräfte nötig waren, um das böse Chaos dieser Besetzung in die kristalline Klarheit dieser Karten zu verwandeln. Kräfte, die weitaus dringender zur Erfindung Palästinas benötigt würden, um dabei zu helfen, dass nicht nur für Palästina gekämpft wird, sondern dass es überhaupt Wirklichkeit werden kann. Doch in ihrer makellosen Klarheit leisteten die Karten genau das – eine Herausforderung an den ganzen Energieaufwand, und nicht einfach eine Reaktion auf die schlimme Situation.

Wenn wir Bildung als die Loslösung unserer Kräfte von dem verstehen, wogegen wir zu kämpfen haben, oder zumindest von einer Art der Verhandlung darüber, dann kann Bildung vielleicht tatsächlich zu »mehr« werden.

 

Übersetzt von Clemens Krümmel

 

1 http://summit.kein.org
2 Giorgio Agamben, Mittel ohne Zweck – Noten zur Politik. Übers. v. Sabine Schulz, Freiburg/Berlin 2001, S. 59 f.
3 Nicholas Ridout in einer Sonderausgabe der Zeitschrift »frakcija«, Nr. 35, Frühjahr 2005.
4 Ich leite diese Begriffe von Giorgio Agambens »Potentialitäten« ab.