Heft 1/2008


Remapping Critique

Editorial


Kritische Perspektiven sind meist von einem eigentümlichen Spannungsverhältnis gekennzeichnet. Sozial, ästhetisch wie diskursiv existieren zahlreiche Bruchstellen, was die Beziehung zwischen Kritikpositionen und den von ihnen anvisierten Objekten betrifft. Aber nicht nur die Gegenstände, derer sich eine avancierte Kulturkritik annimmt, sind von dieser Spannung betroffen, sondern auch die Art der Fürsprache und der Selbstpositionierung, die damit einhergeht. Oft genug werden Standpunkt und Kontext, von denen aus eine kritische Haltung propagiert wird, großzügig ausgeblendet oder gar nicht erst in Betracht gezogen.

»Remapping Critique« fragt nach dem spezifischen Gefälle, das sich zwischen Kritik, Kritisiertem und den dabei häufig in Aussicht gestellten (positiven) Gegenbildern auftut. Ohne in endlose Relativierungen verfallen oder vorschnelle Versöhnungen herbeireden zu wollen, gehen die Beiträge dieses Heftes ganz bestimmten Spannungsmomenten nach, die sich gegenwärtig auf vielerlei Schauplätzen der »kritischen Kultur« abzeichnen. So liest Bojana Pejic das neuerdings wiedererwachte Interesse für feministische Kunst und Theorie auf dessen blinde Flecken und die im Zuge dieser Rückkehr häufig vergessen gemachten Genealogien hin. Nicht nur dass dabei eine historische Verschiebung von konfrontativen hin zu eher selbsttechnologischen, ja Lifestyle-orientierten Momenten zum Tragen kommt, auch der ehemals kritische Impuls fällt dabei einer eigentümlichen Selbstvergessenheit anheim. Einer nicht unähnlichen Symptomatik geht Helmut Draxler anhand größerer Themenkomplexe nach – sei es in Bezug auf die vom ihm konstatierte Gefahr einer »Substanzialisierung« kritischer Praxis, sei es in der Nachbetrachtung einer von ihm kuratierten Schau zu Fragen von Autorschaft und Ausstellungspraxis.

Auf welche Weise soziale Verhältnisse bzw. die Geschichte der »Entdeckung des Elends« Einzug in den aktuellen Ausstellungsbetrieb halten, beleuchtet Jochen Becker im Rekurs auf eine gesellschaftspolitisch ausgelegte und nicht allein formalästhetisch gewichtete Moderne. Hu Fang schließlich nähert sich dem Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und den Möglichkeiten kritischer Kunst aus umgekehrter Richtung: Nicht was es heißt, die Verhältnisse im heutigen China künstlerisch abzubilden, steht bei ihm im Vordergrund, sondern welche intellektuellen und geistesgeschichtlichen Vorarbeiten nötig sind, um sich solchen Abbildungs- und Reflexionsprozessen überhaupt annähern zu können.

Dieser und viele weitere Beiträge dieser Ausgabe widmen sich der schwierigen Aufgabe, kritische Herangehensweisen an Themen und Agenden der Gegenwartskunst einer Neubetrachtung zu unterziehen, ja Kriterien und Ansatzpunkte für eine Schärfung kritischer Perspektiven selbst zu finden. Ein implizites Leitmotiv, das über dieses Heft hinaus weiter nachwirken wird, könnte so zusammengefasst werden: Wie muss eine Kulturkritik beschaffen sein, die nicht – vornüber gebeugt bzw. aus anderen Sphären – auf das zu Kritisierende und vermeintlich Verbesserungswürdige herabblickt, sondern ihren Themen auf Augenhöhe begegnet?