Heft 1/2008 - Artscribe


Jochen Schmith

3. November 2007 bis 20. Januar 2008
Kunstverein Harburger Bahnhof / Hamburg

Text: Hans-Christian Dany


Hamburg. Jochen Schmith wirkt auf den ersten Blick gewöhnlich, buchstabiert sich aber als eine seltsame Person. Ein eingedeutschter Angelsachse pendelt zwischen SCH und TH. Wer sich da als einer vorstellt, entpuppt sich als viele. Zwei Teile der Künstlergruppe heißen Peter, das andere Drittel Carol. Gemeinsam geben sie sich als weltläufiger Jedermann aus. Ich wusste zunächst nur, Jochen Schmith hätte in Hongkong Wohnungen besichtigt und den Ausblick vom Balkon in das dichte Häusermeer fotografiert, da dieser ein wichtiger Wertmaßstab sei. Solche Beschäftigungen kenne ich aus dem Fernsehen, wo diese Nachahmungen des Verhaltens wohlhabender Menschen in den entsprechenden Formaten müde machen. Mit Vorurteilen fuhr ich deshalb über die Elbbrücken in Richtung Harburg, wo Jochen Schmith in der Ausstellungsfolge »Reihe: Ordnung sagt« zu dem Unterpunkt »Geld« ausstellen sollte. Auch Geld versprach nicht viel, aber Jochen Schmith war ein wohlklingendes Gerücht und vor allem fuhr ich, da mir die ersten beiden Teile der von Tim Voss kuratierten Serie heitere Nachmittage beschert hatten. Zudem führt der Weg in den südlichen Teil der Stadt an einem der Lieblingsgebäude meiner Kindheit vorbei, der »New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie« von 1871. An der Ecke wo die verwitterte Bilderbuchfabrik steht, verfahre ich mich jedes Mal, um anschließend viel zu lange durch den Hafen zu irren. Diesmal sollte der Umweg ein passendes Vorspiel für die Ausstellung liefern: Eine Bodenarbeit, die alle anderen Arbeiten verbindet, bezieht sich auf eine Nachricht, die im vergangenen Jahr durch die regionalen Medien ging. In Containern hatte der Zoll zehntausende chinesische Turnschuhnachbauten einer bekannten Marke entdeckt. Raubkopien die nun vernichtet werden mussten. Jochen Schmith behauptet, die Zerkleinerungen der Imitate seien zu einem Granulat verarbeitet worden, wie es sich in dem Gummiboden findet, der nun durch die Ausstellung führt. Der Weg durch das Gezeigte wird somit von einem Recyclingprodukt geebnet, zu dessen Rohstoff es durch die Erhaltung der Rechte des Originals gekommen war. Zunächst sehe ich das Industrieprodukt aber kaum, weil es dunkel ist und verstehe den Zusammenhang erst, als das überall ausliegende Katalogheft ihn mir erklärt. Erst gehe ich also ahnungslos auf Gummi und werde weich vor eine weiße Platte geführt auf der steht, »Zwischen den Krisen«. Selbst im schummrigen Licht wirkt der Halbsatz in geschäumter Schrift wie ein zeitnaher Allgemeinplatz, von dem ich annehme, ihn schon oft gelesen zu haben. Etwas Gesagtes wird noch einmal gesagt und bildet bald einen der Punkte in dem Muster, das sich zu entspinnen beginnt. Die Platte gehört zu vielen Platten, die als künstliche Wände entfernt wurden, was ein nacktes Metallgerüst und schöne Stapel zurücklässt. Durch diese Entkleidung glaube ich den Raum mit seiner Vergangenheit als Wartesaal für Reisende der ersten Klasse, trotz verhängter Fenster, viel genauer erkennen zu können. Warum wird es eigentlich dunkel, wenn die Wände abgenommen werden? Langsam zieht mich das Wechselspiel aus umkreisten Fragen, pointierten Behauptungen und widersinnigen Einsichten in seinen Bann. An einer der verbliebenen Wände hängen schwere Goldrahmen, in ihnen befinden sich zwei in China hergestellte Kopien von Jan Brueghels Gemälde »Die Allegorie der Erde« – genau zwei Kopien eines Originals, das als verschwunden gilt. Produktionsverhältnisse werden als Krimi vorgestellt. Das Aufgehängte lässt sich lesen als Dokument veränderter Wertschöpfung, es ruft aber auch den sprachlichen Ursprung des Wortes Allegorie, das »Anderssagen«, auf und lässt anklingen, wie hier gesprochen wird: Jochen Schmith bedient sich verschiedener Formen des Sprechens im Dazwischen und ordnet die uneigentlichen Tonlagen zu neuen Formationen an. Die elegant und clever angeschlagenen Töne wechseln dabei zwischen Analyse und Strategie, wodurch sich weitere Zwischenräume öffnen. Bedeutungen scheinen auf, verbergen aber nicht, dass sie durchlöchert sind. Unterbrochen wird die künstlerische Linguistik auf der Suche nach dem möglichen Ort des Zur-Sprache-Kommens der Zeichen durch die scheinbare Beobachtung einer Situation: Ein Parkwächter schläft neben einer Mercedes-Limousine. Ob er aus der Wirklichkeit oder einem Drehbuch kommt, lässt sich nicht entscheiden. In jedem Fall verweist das lebende Bild auf drei weitere Lichtinseln. Auf der ersten läuft in einem Monitor das Video des Gastes in der Ausstellung, Willem Oorebeek. Fast eine Stunde folgt der Zuschauer der Handkamera des holländischen Künstlers durch China. Auf der zweiten Lichtinsel stehe ich unter einem Lautsprecher und höre Beschreibungen aus einer Welt, die sich wie Arbeit ausnimmt. Dabei sehe ich die dritte Lichtinsel mit einem seltsam golden verspiegelten Steckobjekt oder Paravant aus Sicherheitsglas. Die Frage nach dem Geld klingt in der virtuellen Architektur der Bedeutungen aber immer wieder an, um sich im nächsten Moment in Abstraktionen zu verlieren. Trotzdem verkürzt sich ihr Anklang nicht zu einer Tautologie, die sich in Abstraktionen über das abstrakte Geld verliert. Es ist eher ein eingefangener Geruch zwischen den Dingen und Zeichen, der sich wie intelligentes Parfüm gelegentlich in der Nase meldet.