Heft 1/2008 - Artscribe


»Oh Girl, it’s a Boy!«

12. Januar 2008 bis 10. Februar 2008
Kunstverein München / München

Text: Dietmar Schwärzler


München. Als 1994 im Münchner Kunstverein die von Hedwig Saxenhuber und Astrid Wege kuratierte Ausstellung »Oh Boy, It’s a Girl« nach Vorbild angloamerikanischer Gender-Theorien, Fragen nach aktuellen Feminismen, Geschlechterpolitiken und entsprechenden Kunstpraktiken stellte, stand das Werk »Gender Trouble« (dt. »Das Unbehagen der Geschlechter«, 1991) von Judith Butler ganz im Zentrum der Auseinandersetzung. Die von Butler geprägten Reflexionsfiguren Parodie, Maskerade oder performative Subversion hatten unter anderem zum Ziel, Geschlechterverwirrung anzustiften und sich von festgeschriebenen Identitätspolitiken zu verabschieden. Dies sollte auch die Queer-Theorie nachhaltig prägen, deren Aneignung zu Beginn der 1990er Jahre in Analogie zur AIDS-Krise, zahlreiche kritische, künstlerische Arbeiten hervorbrachte, die Teil einer radikal (kunst)politischen Bewegung wurden. Knapp 13 Jahre später drehen nun die Kuratoren Stefan Kalmár, Daniel Pies und Henrik Olesen den Titel der damaligen Ausstellung um, und bedienen sich damit gewitzt einer binären Geschlechterlogik, deren Auflösung ein nach wie vor visionäres Versprechen ist. »Oh Girl, it’s a Boy« versucht anhand einer »repräsentationspolitisch veränderten Gegenwart«– so der Ausstellungsfolder – »den Widerstreit zwischen dem Kampf um Anerkennung und Integration auf der einen, und der Aufrechterhaltung identitärer Differenz auf der anderen Seite« zu diskutieren. Der Ort des Sprechens ist dabei in der Auswahl geografisch beschränkt, der Großteil der in der Ausstellung präsentierten Kunstschaffenden leben und arbeiten in den westlichen Metropolen New York, Los Angeles, London und Berlin; also an Orten an denen die Abweichung von der so genannten Norm quasi ein integrativer Bestandteil des Zusammenlebens ist, aber auch einen wesentlichen ökonomischen Faktor darstellt. Aufgrund dieser Konzentration kommen allerdings mittlerweile vollzogene historische Veränderungen, wie die Verlagerung der AIDS-Krise in Armutsregionen, oder die in den letzten Jahren immer deutlicher werdende offensiv heteronormative Organisation sexueller Relationen in den postsozialistischen Ländern, in der Ausstellung praktisch nicht vor. Dies ist zwar auf den ersten Blick eine irritierende Auslassung, macht aber aufgrund der erwähnten Fragestellung durchaus Sinn, da sich Repräsentations- und Identitätspolitiken abseits der westlichen Metropolen schlichtweg anders gestalten. Allerdings erweist sich hier das Konzept als durchlässig, da mit den Videos von Akram Zaatari »Red Chewing Gum«, 2000 und Dorit Magreiter »The She Zone«, 2004 oder Danh Vos Installation »Good Life«, 2007, Spuren nach Beirut, Dubai und Vietnam führen. Auch überrascht es, dass aktuelle Verschiebungen und Neupositionierungen der Geschlechterpolitiken in der Kunst doch wieder bei historischen Galionsfiguren gesucht werden, die auch das (formale) Vokabular zu zahlreichen Arbeiten liefern. So finden sich zwei Filme von William S. Burroughs und Brion Gysin »William Buys a Parrot«, 1963 und »Bill and Tony«,1972, die anhand der Cut ups, einer metrischen Schnitttechnik, Identitätsverschiebungen simulieren und gleichzeitig homosexuelle Codes herausarbeiten. Cerith Wyn Evans ist mit seiner Filmarbeit »Pasolini Ostia Remix« (1998–2003), vertreten, eine Überarbeitung von »Firework Text« aus 1998. Illuminierte Feuertafeln liefern ein Zitat aus dem Pasolini-Film »Oedipus Rex«, installiert am italienischen Hafen Ostia, jenem Ort, an dem der Filmemacher 1975 unter nach wie vor nicht ganz geklärten Umständen ermordet wurde. Es war auch Mitte der 1970er Jahre, als Felicity Mason unter ihrem Pseudonym Anne Cummings »The Love Habbit: The Sexual Confessions of an Older Women« veröffentlichte. Wie der Titel skizziert, wird die Geschichte einer reifen Frau erzählt, die vorwiegend Beziehungen zu jungen Männern einging. Ariane Müller nimmt dieses Buch als Ausgangsmaterial und präsentiert in einer Glasvitrine Aquarelle und Zeichnungen, die einerseits als Buchillustrationen funktionieren, andererseits aber das kunsthistorisch klar geschlechtsspezifisch hierarchisierte Blickregime subvertieren. Auch Tom Burr dienen historische Materialien – ein Text von Jean Genet und Filmstills von Kenneth Anger – als Referenzpunkte, um queere Räume zu konstituieren. Ein Ausschnitt aus der TV-Show »I have got a secret« von 1960 zählt zu den unerwarteten Beiträgen der Schau: Der Gründervater der elektronischen Musik John Cage zelebriert live vor breitem Publikum den musikalischen Reichtum von Küchenutensilien. Damit wird den BetrachterInnen sehr elegant eine zentrale Arbeit der feministischen Videokunst »Semiotics of the Kitchen« (1975) von Martha Rosler in Erinnerung gerufen, auf die auch via Texttafel verwiesen wird. Einen zeitlich ganz weiten Schritt zurück setzt Kaucyila Brooke mit ihrer bis dato aus dreizehn Wandtafeln bestehenden Arbeit »Tit for Twat«, in der sie den biblischen Schöpfungsmythos unter einer lesbischen Sichtweise neu collagiert. Madame und Eve, Adam und Steve heißen nun die paradiesischen Gestalten, die sich gegen ein schon in der Genesis formuliertes System auflehnen, das sexistische und rassistische Praktiken rechtfertigt. Der nackte (weibliche) Körper, an dem sich in zahlreichen (historischen) Gender-Arbeiten noch gesellschaftliche Vorstellungen und Zwänge manifestieren, erscheint hier, und nicht nur in dieser Arbeit, wohltuend lustbetont eingesetzt. Nicht mehr der Schmerz oder die Gewalt schreibt sich ein, sondern der Körper wird zunehmend zu einem selbstbestimmten Feld eines offensiven, aber zärtlich akzentuierten Spiels, das die aktionistischen Wurzeln der feministischen und schwul/lesbischen Bewegung dennoch mitreflektiert. Letzteres lässt sich auch für die Arbeit »Normal Work« (2007) von Pauline Boudry & Renate Lorenz behaupten. Gefundene Fotografien aus dem Nachlass von Hannah Cullwick, einer Hausangestellten, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in verschiedenen sozialen Positionen – als bürgerliche Frau, junger Mann oder schwarzer Sklave – vor der Kamera inszeniert, stellen Boudry und Lorenz nach und überführen die auch sadomasochistisch geprägte Beziehung zu einem Mann aus bürgerlichen Kreisen in witzige filmische Tableaus, die abseits einer hegemonialen Logik, die üblicherweise das Feld sexueller Politik bestimmt, agieren. Neben der historischen Referenz ist das vorherrschende formalästhetische Element der Ausstellung die Technik der Collage, die in zahlreichen (zum Teil schon erwähnten) Arbeiten zur Anwendung kommt. Während Stephen Willats in einer facettenreichen Kombination von Flyern, Gebrauchsutensilien, Fotografien und handgeschriebenen Notizen die Geschichte eines Londoner Nachtclubs für Frauen rekonstruiert und dabei ganz nebenbei die Punk-Bewegung als vorwiegend hetero-normativ bloßstellt, bestechen die Arbeiten von Ray Johnson, Charles Henri Ford und Richard Hawkins durch ein formales, visuell extrem attraktives Eigenleben. Diesen Arbeiten steht ein diskursiv inspiriertes Formenvokabular näher als die vormals oft eingesetzte dezidiert politische Geste. Den deutlichsten Kommentar zu einem zunehmend erkennbaren konservativen Backlash der Gegenwart liefert das Video »Just Say No To Family Values«, 2005. Deren Macher John Giorno und Antonello Faretta feiern in emphatischer Liebenswürdigkeit ganz ungeniert den Hedonismus und nehmen wertekonservative Haltungen in einem lyrischen Sprechakt auf die Schippe, ein Video, das übrigens auch auf YouTube zu finden ist.